Gut und Böse in einer Person

27.06.2012
Claire DeWitt ist, laut Titelzusatz des Buches, "die beste Ermittlerin der Welt". Sara Gran hat hier eine toughe Privatdetektivin geschaffen, die auf ihre eigene Art und Weise Fälle löst. Im von Katrina zerstörten New Orleans versucht sie, einen schwulen Staatsanwalt finden.
2005 zerstörte Hurrikan Katrina große Teile von New Orleans. Auf die Naturkatastrophe folgte ein weiteres Desaster: das Krisenmissmanagement aus Inkompetenz, Rassismus, Gewalt, politischem Kalkül und Profitstreben. Ein Debakel, das eine der schönsten und kulturhistorisch wichtigsten Städte zu Grunde richtete und dessen Folgen heute noch nicht behoben sind.

2007 spielt "Die Stadt der Toten" von Sara Gran. Ein Trip durch verwüstete Stadt- und Seelenlandschaften mit Claire DeWitt, einer der rätselhaftesten und seltsamsten Privatdetektiv-Figuren überhaupt. Eine entfernte Verwandte der toughen Privatdetektivinnen à la V.I. Warshawksi, eine tätowierte, trinkfeste Mittdreißigerin mit unklarer sexueller Präferenz und dem Hang zur Gewalt ("Ich hatte auf vier Menschen geschossen und zwei getötet, keinen davon aus Notwehr"). Ihr persönlicher Mythos ist Jacques Silette, der fiktive Autor eines Traktats mit dem Titel "Détection", das schräge Antworten auf alle Fragen gibt, die man sich lieber nicht stellt. Claire DeWitt hat für jede Lebenslage ein Silette-Zitat, sie wirft sich das I Ging, sie vertraut auf Visionen, Träume, Halluzinationen und Eingebungen. All das und handfeste Detektivarbeit helfen ihr, das Schicksal eines schwulen Staatsanwaltes zu klären, der in den Wirren von Katrina verschwunden ist.

Gran durchmischt die Sortierungen, die einem üblicherweise helfen, sich einer durchgeknallten Welt anzunehmen. Gut und Böse sind nicht in Grautöne verwischt, sondern bleiben als Pole stehen, notfalls in einer Person. Der verschwundene Staatsanwalt war ein Heiliger, ein Menschenretter - und gleichzeitig ein übler Mensch. Das geht bei Gran zusammen, ohne dass seine guten Seiten ein bisschen gut, seine schlechten nur ein bisschen schlecht gewesen wären. Der Haupttäter des Buches ist ein Mörder. Seine Tat war ganz und gar "richtig". Ohne Grauwerte. Die jungen schwarzen Männer, die den Roman bevölkern, sind gewalttätig, mörderisch, skrupellos. Sie sind ganz evident Produkte einer bösartigen Politik und einer noch bösartigeren politischen Ökonomie.

Die Kühnheit und Souveränität des Konzepts wird erzählerisch eingelöst. Gran wechselt nicht nur blitzschnell die Zeitebenen und Realitätsmodi, sie weiß extrem unterhaltsam und pointensicher die komplexe Story zu inszenieren. Der Roman ist das, was man gerne "dicht" nennt - nichts ist überflüssig, alles ist eng miteinander verwoben.

Dazu kommt ein empathischer, klischeefreier Blick auf die geschundene Stadt. Präzise seziert Gran den schon immer für New Orleans typischen destruktiven Wahnsinn: die korrupte Polizei und Staatsanwaltschaft, die reine Willkür, so dass man nicht einmal Morde aufklären möchte, vor allem nicht, wenn das Opfer schwarz ist. Die radikal-kritische, angriffslustige Grundhaltung des Buches gegenüber dem psychopolitischen Zustand einer Nation und damit einer Gesellschaftsordnung lässt eine klare Position der Autorin erkennen, die auch ästhetisch gedeckt ist.

Besprochen von Thomas Wörtche

Sara Gran: Die Stadt der Toten. Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt
Roman. Ins Deutsche übersetzt von Eva Bonné
Droemer, München 2012
361 Seiten, 14,99 Euro
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