Gut gemeinte Worte

Von Jürgen König · 21.02.2011
Zum Internationalen Tag der Muttersprache rief die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag zum Kongress "Sprache ist Heimat". Die Veranstaltung mäanderte ziellos in verschiedene Richtungen. Alle waren dafür: Die Sprache ist ein hohes Gut. Das Thema Sprache als zentraler Faktor der Integration wurde nur beiläufig erwähnt.
Sprache ist Heimat – dieser voluminöse Kongress-Titel wurde von Herta Müller gleich dezent kritisiert: Nur Emigranten könnten tatsächlich sagen, für sie, die die Heimat verloren hätten, sei einzig die Sprache noch als Heimat übrig geblieben. Die Sprache, die Muttersprache:

"Die Muttersprache bleibt unverrückbar, was sie einem ist. Im großen Ganzen glaubt man ihrem Maß, auch wenn dieses vom Geschau der dazukommenden Sprache relativiert wird. Man weiß, dieses, wenn auch zufällig so doch instinktive Maß, ist das sicherste und notwendigste, das man hat. Es steht dem Mund gratis zur Verfügung, ohne bewusst gelernt worden zu sein. Die Muttersprache ist momentan und bedingungslos da. Fast wie die eigene Haut. Und genauso verletzbar wie diese, wenn sie von anderen gering geschätzt, missachtet oder gar verboten wird."

Wie atemlos hörte das Publikum im Konferenzsaal der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag Herta Müller zu, niemand hustete, niemand flüsterte, niemand aß belegte Brötchen, die am Eingang schon ausgelegen hatten. Den anderen Rednern dieses prominent besetzten Podiums ward solche Konzentration eher nicht zuteil, vielleicht auch, weil das Gesagte, zwar aller Ehren wert, aber doch schon bekannt war.

Die Sängerin Edda Moser, die 2006 das "Festspiel der deutschen Sprache" gegründet hatte, charakterisierte die Sprache als einen Freund, von dem man plötzlich merkt, dass er dabei ist, sich davonzumachen:

"Ein bisschen geht es uns so mit unserer Sprache. Sie hat schon die Klinke in der Hand. In Gestalt von Anglizismen, Verrottung, falscher Grammatik, Nachlässigkeit in der Diktion, Reduktion auf wenige Begriffe wie 'Spaß' oder 'spannend', und täglich nimmt die Faulheit zu, welche verhindert, der Schönheit unserer Sprache endlich wieder Tür und Tor zu öffnen."

Wolfgang Börnsen von der Arbeitsgruppe Kultur und Medien der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, der die Tagung organisiert hatte, nahm auch die eigene Zunft vom Vorwurf des sorglosen Umgangs mit der Sprache nicht aus:

"Die Politik möchte ich von dieser Kritik nicht ausnehmen, im Gegenteil. Sie muss sich ihrer Vorbildfunktion stärker bewusst werden. Unaussprechliche Sprachungetüme wie 'Frequenzbereichszuweisungsplanverordnung', die wir Kulturpolitiker derzeit diskutieren, gehen weder leicht von den Lippen noch hören sie sich schön an, sie schaden unserer Sprache."

... und ermüden das Publikum, möchte man hinzufügen - tragen nicht dazu bei, dass man mit Freuden Anteil nimmt am politischen Geschehen. Volker Kauder, Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, zeigte sich ebenfalls sprachsensibel:

"Und das absolut Größte, was ich fast täglich erlebe: Wenn Politiker sich treffen, um etwas zu vereinbaren und dann darüber berichten. Ich habe zum ersten Mal gar nicht verstanden, was die wollten! Und sagen: Wir haben uns committed. Da kann ich nur sagen: Wir haben uns committed, wie bitte? Haben wir uns nun verständigt? Haben wir beschlossen? Haben wir vereinbart, was haben wir eigentlich? Ja, Herr Kauder, wir haben uns committed."

Am Ende seiner Rede mahnte Volker Kauder die Kolleginnen und Kollegen, mit dem Handwerkszeug Sprache sorgsam umzugehen. Vertieft wurde dieser Punkt leider nicht und dabei hätte man doch - gerade im Bundestag - gerne mehr darüber gehört, wie Politiker selber das Niveau von Parlamentsreden empfinden, ob ein Bewusstsein dafür vorhanden ist, dass wir nicht eben in einer Blütezeit parlamentarischer Auseinandersetzung leben.

Stattdessen mäanderte der Kongress ziellos mal in diese, mal in jene Richtung: Alle waren dafür, dass die Sprache ein hohes Gut sei, die meisten sahen es, aus den Gründen, die Edda Moser benannt hatte, als bedroht an.

Einzig Hellmuth Karasek setzte dem gelassen entgegen, die Sprache verändere sich seit Jahrhunderten, im 19. Jahrhundert sei es schick gewesen, für den Bahnsteig Perron zu sagen, für das Abteil Coupé und für den Bürgersteig Trottoir: Immer wieder habe die Sprache "Wörter aus der Fremde" in sich aufgenommen und verarbeitet, zu wahrer Sorge gäbe es keinen Anlass:

"Die Sprache ist ein wunderbarer großer Magen. Sie verdaut alles und speit es wieder aus."

Norbert Lammert, der Präsident des Deutschen Bundestages, sprach sich erneut dafür aus, das Deutsche als Landessprache ins Grundgesetz aufzunehmen – was allenthalben Zustimmung fand – und auch dafür, sich innerhalb der Europäischen Union für das Deutsche starkzumachen. Es sei immerhin eine der Arbeitssprachen der EU, faktisch hätte jedoch längst eine Reduzierung auf die Arbeitssprachen Englisch und Französisch stattgefunden – dieses sei nicht hinzunehmen.

Das Thema "Sprache und Integration" wurde wie beiläufig nur erwähnt. Maria Böhmer, die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, sprach sich dafür aus, dass Migrantenkinder im Deutschen gefordert und gefördert werden, ohne die Sprache ihrer Herkunftsländer dabei außer Acht zu lassen:

"Dieser Sprachenstreit, den wir manches Mal haben, Türkisch oder Deutsch, der ja besonders ausgeprägt ist, der muss sich auflösen im Sinne von: Türkisch ja, aber Deutsch ist dann die Sprache des Landes, in dem man auf Dauer lebt, und wo man ankommen muss, und deshalb sag ich: durchaus die Unterstützung der Herkunftssprache, aber Deutsch muss Vorrang haben, weil das die Zukunft der Kinder sein wird."

Viel wurde darüber gesagt, wie sehr doch die Sprache Identität stiftet, Menschen verbindet, Grundlage des Miteinanders bildet. Dass die Sprache zum Trost werden kann, aber auch zur Bedrohung: wo die Sprache der Opfer auch die Sprache der Täter ist. Dass das Nebeneinander vieler Sprachen Reichtum bedeutet, wenn dabei die eigene Sprache erhalten und gepflegt wird. Große Worte, wer wollte ihnen widersprechen. Und doch wurde der Berichterstatter den Eindruck nicht los, dass das Thema "Sprache ist Heimat" zu unscharf formuliert war, das Podium unter seinem Niveau blieb. Gut gemeinte Worte, zu allem ein bisschen. Dass unsere Bundestagsredner jetzt mitreißender werden, auch sprachlich ein Vorbild – ach, wer mag das hoffen!