Gruppenwahn mal anders

Das Smartphone in Südamerika

Mädchen tippen in Berlin auf ihren Handys.
Warum miteinander reden, wenn man whatsappen kann? © imago stock&people
Von Victoria Eglau · 04.01.2017
Das Smartphone ist in Südamerika in der Regel mit seinem Besitzer verwachsen. Besonders intensiv wird über WhatsApp kommuniziert, mit der Familie, Kollegen und Freunden. Aber auch für die Stundenhotel-Suche sollte man das Handy immer dabei haben.
Ein Park in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires: Auf einer Bank sitzt eine mollige Frau mit blondiertem Haar und tippt auf ihrem Smartphone herum. Patricia zeigt kurz das Display – sie chattet gerade in einer der fünf WhatsApp-Gruppen, denen sie angehört.
"Ich bin in zwei Kollegen-Gruppen, einer Familien-Gruppe und zwei Freundes-Gruppen. Wir Argentinier sind ganz schöne Plaudertaschen. In den Gruppen-Chats haben wir Spaß und organisieren gemeinsame Aktivitäten. Und wenn es einem nicht gut geht, dann kriegen das alle in der Gruppe mit und versuchen, zu helfen."
In ganz Südamerika gibt es wohl nur wenige Smartphone-Nutzer, die dem WhatsApp-Gruppenwahn nicht erlegen sind. Arbeits- und Studienkollegen, alte und neue Freunde, Fans desselben Fußballclubs, Bekannte, die ein Hobby teilen – sie alle tauschen in Gruppen-Chats Wichtiges und Banales aus.

Mütter kommen an Whatsapp-Eltern-Gruppen nicht vorbei

Mütter und Väter von Schulkindern kommen an Eltern-Gruppen kaum vorbei – diese Chats allerdings gelten als besonders unbeliebt. Dagegen ist die WhatsApp-Kommunikation mit Verwandten in einem Land wie Argentinien, in dem Familie groß geschrieben wird, für viele eine Herzenssache. Patricia, die Frau aus dem Park:
"Wegen der Unsicherheit, die heutzutage herrscht, sind wir ständig mit der Familie in Kontakt. Es gibt viel Kriminalität, Überfälle und Entführungen. Per WhatsApp kann man Bescheid sagen, wo man sich gerade befindet. Auch Nachbarn nutzen die Gruppen-Chats, um sich zu warnen, wenn ihnen in ihrem Viertel etwas Merkwürdiges auffällt."
Ein Restaurant in Buenos Aires, ein großer Tisch, an dem Freunde sich zum Essen versammelt haben. Zwischen den Tellern und Bestecken liegen fast so viele Smartphones wie Anwesende, und häufig greifen ihre Besitzer danach, starren auf das Display und verschicken Nachrichten. Was anderswo vielleicht als unhöflich gelten würde, ist bei vielen Argentiniern ganz normal. Der Social Media-Experte Italo Daffra:
"Der Umgang mit Smartphones spiegelt doch Eigenheiten einer Gesellschaft wider. Die Argentinier sind im Allgemeinen sehr ungezwungen und spontan. Daran liegt es wohl, dass sie nicht viel Wert auf Etikette legen und kein Problem damit haben, in Anwesenheit von anderen mit ihren Smartphones zu kommunizieren."

Das Essen wird simultan ins Netz übertragen

Die Smartphone-Kameras dienen wiederum dazu, Treffen mit Freunden und Verwandten fast simultan im Netz zu übertragen. Kaum ein Argentinier, der nicht fröhliche Fotos von der Silvesterparty an seine virtuelle Pinnwand hängte. Und auch das Silvester-Essen wurde häufig gepostet.
Foodporn ist in Südamerika, einer Region mit immer mehr Feinschmeckern und Gourmet-Tempeln, ausgesprochen beliebt. In vielen Metropolen nutzen Smartphone-Besitzer die App Restorando, um einen Restaurant-Tisch zu reservieren.
Es gibt auch Anwendungen, die wohl nur in Lateinamerika vorstellbar sind – etwa ReservaTelo, eine neue App,mit der man Zimmer in den sehr verbreiteten Stundenhotels reservieren kann. Entwickelt wurde sie von drei jungen Frauen aus Uruguay – eine von ihnen: Victoria Ortiz.
"Junge Leute, die noch bei den Eltern wohnen, nutzen traditionell solche Hotels, um Sex zu haben. Oder Paare mit Kindern, die einen ungestörten, intimen Ort suchen. Natürlich gehen auch Leute in die Telos, die ihre Partner betrügen."

Start Up-Hilfe vom Staat für die Stundenhotel-App

Mit ihrer App, für deren Entwicklung sie eine Start Up-Hilfe vom uruguayischen Staat bekamen, wollen die drei Gründerinnen dem Telo oder Stundenhotel ein moderneres Image verpassen. Und die Kunden sollen sich besser über die Etablissements informieren können. In Buenos Aires wurde ReservaTelo innerhalb von zwei Wochen schon 13.000 Mal auf Smartphones geladen.
"Unsere Zielgruppe sind die Millennials – unsere eigene Generation. Wir fühlen uns von der traditionellen Werbung der Telos – sexy Frauen in roten Spitzen-Dessous - nicht angesprochen. Unsere App erlaubt eine frische, natürliche Kommunikation der Stundenhotels – ohne Machismo und Sexismus. Und damit haben wir Erfolg."

"Die ganze Welt in der Hosentasche - wie das Smartphone uns verändert hat" heißt unsere Themenwoche. Die anderen Beiträge finden Sie hier.

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