Grüner Grusel

03.04.2011
Rein pflanzlich heißt nicht unbedingt gesund. Denn die Botanik produziert in ihren Wurzeln, Blättern und Blüten unzählige gefährliche Giftstoffe.
Jahr für Jahr kostet die Unkenntnis der heimischen Pflanzenwelt viele Menschen das Leben. Als unterhaltsame Warnung präsentiert die Kalifornierin Amy Stewart ihren Lesern einen Spaziergang durch ihren "Garten des Grauens".

Zu fast jeder der oft unscheinbaren Pflanzen weiß die Autorin und Hobbygärtnerin eine makabere Geschichte zu erzählen. So verzehrte im Jahr 1848 der schottische Schneider Duncan Gow ein lecker aussehendes Sandwich mit allerlei grünen Kräutern, die seine Kinder für ihn gesammelt hatten. Wenige Stunden später war er tot, denn statt Petersilie hatten die Kinder ähnliche aussehende Schierlingsblätter auf das Brot gelegt.

Der gefleckte Schierling ist seit der Antike als Giftproduzent bekannt. Sein berühmtestes Opfer war 399 vor Christus der griechische Philosoph Sokrates. In Kenntnis der tödlichen Wirkung trank der aus dem Schierlingsbecher, nachdem er unter anderem wegen "Verführung der Jugend" zum Tode verurteilt worden war.

Neben bekannten Giftpflanzen wie Schierling, Eibe, Eisenhut, Tollkirsche, Mutterkorn oder Strychninbaum erwähnt Amy Stewart auch Allerweltsgewächse, die als harmlose Nahrungsmittel Verwendung finden. So liefern Platterbse, Holunder, Mais und Rhabarber zum einen schmackhafte Nahrung, produzieren aber auch Gifte, die dem Menschen gefährlich werden können. Nur die sorgfältige Ernte und die richtige Zubereitung stellen sicher, dass die Giftwirkung nicht zum Zuge kommt.

Amy Stewart liefert einen ungewöhnlichen und zugleich verstörenden Einblick in die Vielfalt der Botanik. Mit viel schwarzem Humor und Freude an zweideutigen, ironischen Formulierungen zeigt sie die dunkle Seite der Natur, die sowohl Großstadtmenschen als auch naive Naturfreunde gerne übersehen. Geeignet ist das Buch zum gelegentlichen Schmökern, als kleine Giftdosis für Zwischendurch. Die Illustrationen und Radierungen liefern eine Orientierung, reichen aber nicht aus, um bei einem Spaziergang Giftpflanzen eindeutig zu bestimmen.

Was genau die pflanzlichen Gifte im Körper des Menschen anstellen, erfährt der Leser leider nicht. Auch ökologische Hintergrundinformationen, warum Pflanzen zu Giftproduzenten wurden, fehlen. So weist das Buch für Pflanzenkenner und wissenschaftlich interessierte Leser allerlei Lücken auf. Die Einordnung in die botanische Systematik ist gelegentlich verwirrend und die Übersetzung fehlerhaft. So werden Leguminosen (Schmetterlingsblütler) einfach als "Gemüse" bezeichnet und das Silizium in den Brennnesselhärchen als "Silikon".

Wer über diese kleinen Fehler hinwegsieht, erhält jede Menge schwarz-grüne Unterhaltung. "Gemeine Gewächse" ist ein leicht zu lesender, botanischer Gruselschmöker, ohne Anspruch auf wissenschaftliche Genauigkeit.

Besprochen von Michael Lange

Amy Stewart: Gemeine Gewächse – Das A bis Z der Pflanzen, die morden, verstümmeln, berauschen und uns anderweitig ärgern
Übersetzung aus dem Englischen von Stephan Pauli
Berliner Taschenbuchverlag, Berlin 2011
236 Seiten, 11,95 Euro