Grünen-Chefin Peter

"Wir müssen Kompromisse machen"

Simone Peter spricht bei einer Pressekonferenz, im Hintergrund das Parteilogo der Grünen.
Simone Peter sieht ihre Partei bei der Koalitionsbildung in der staatspolitischen Verantwortung © dpa / Bernd von Jutrczenka
Simone Peter im Gespräch mit Nana Brink  · 16.03.2016
Die Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Simone Peter, hat die Bereitschaft ihrer Partei zu Kompromissen betont. Bei der Beteiligung an Koalitionsregierungen sehe sie allein bei der AfD ein "No-Go".
Die Grünen fänden in den drei Bundesländern Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Rheinland Pfalz sehr unterschiedliche Voraussetzungen vor und müssten sich darauf einstellen, sagte Peter im Deutschlandradio Kultur. Das Thema Flüchtlinge und Asyl bleibe aber für ihre Partei ein zentrales Thema. Die Grünen seien immer mit dem Anspruch angetreten, die Menschenrechte zu wahren und für Schutzsuchende da zu sein. Das habe sich nicht verändert. Die Grünen seien aber in neun Landesregierungen vertreten und müssten zusammen mit ihren Partnern schauen, was für das jeweilige Land die beste Lösung sei.

Wichtige Rolle bei Verhandlungen

"Wir müssen Kompromisse machen", sagte Peter. Angesichts einer Situation, in der das Parteiensystem ins Rutschen gekommen sei und es keine einfachen Mehrheiten mehr gebe, müsse man jenseits der AfD Mehrheiten organisieren. "Dann passt ja in Sachen-Anhalt nur noch eine Koalition mit SPD und CDU und dann sehen wir durchaus die staatpolitische Verantwortung", sagte sie. Wenn es um Bildungspolitik, Asylpolitik und Umweltpolitik gehe, müssten sich grüne Positionen im Koalitionsvertrag widerspiegeln. "Deshalb spielen wir da eine wichtige Rolle in den Verhandlungen."

Klares grünes Profil für 2017

Bei der Bundestagswahl 2017 wolle die Partei einen eigenständigen Kurs fahren, sagte Peter. "Aber wenn es darum geht, Regierungsverantwortung zu übernehmen und ein klares grünes Profil mit zu setzen, dann nehmen wir das auch wahr." Allerdings sehe sie jetzt in Sachsen-Anhalt keine andere Lösung, als sich an einer Regierung zu beteiligen, um eine Neuwahl und ein weiteres Erstarken der AfD zu verhindern. Peter sagte, dass es für die Grünen nur eine Partei gebe, mit der ein Bündnis ausgeschlossen sei. "Das müssen auch alle demokratischen Parteien absolut ausschließen, sonst wären auch mit uns Bündnisse nicht mehr möglich", sagte sie. "AfD ist ein No-Go."

Das Interview im Wortlaut:

Nana Brink: Die Party ist vorbei, jetzt ist Arbeit angesagt, harte Arbeit. Nach dem rauschhaften Sieg der Grünen in Baden-Württemberg beginnen ja heute die Sondierungsgespräche. Grün-Schwarz, zum ersten Mal auf Länderebene, das könnte die Option sein, und das will auch Winfried Kretschmann hinbekommen. Auch in Sachsen-Anhalt könnten die Grünen mitregieren mit CDU und SPD, und man kann sich vorstellen, dass der Parteibasis da einiges abverlangt werden könnte. Rücken die Grünen in die Mitte? Das will ich jetzt Simone Peter fragen, Vorsitzende der Grünen. Schönen guten Morgen!
Simone Peter: Guten Morgen, Frau Brink, grüße Sie!
Brink: Kretschmann gilt ja als Konservativer im grünen Gewand. Nach dem Wahlsieg hatte ja schon Ihr Partner an der Parteispitze, Cem Özdemir, den "wertorientierten Pragmatismus" von Kretschmann gelobt. Ist das jetzt die neue Linie?
Peter: Zunächst mal ist es Winfried Kretschmann auf hervorragende Weise gelungen, seinen guten Status als Ministerpräsident, seine Beliebtheit und Ruhe und Kraft, die er ja durchaus ausstrahlt, in Verbindung mit der Programmatik zu setzen, dafür Mehrheiten zu gewinnen, und das ist ein toller Erfolg für uns Grüne. Also einen Ministerpräsident nochmals zu bestätigen und als stärkste Kraft aus der Wahl hervorzugehen, ist schon toll. Man muss allerdings die unterschiedlichen Bedingungen sehen. Winfried Kretschmann konnte als Ministerpräsident, als derjenige, der die Richtlinie vorgibt, in den letzten Monaten interpretieren, welche Vorstellungen er hat, und er ist durchaus wertegeleitet. Das haben wir in vielen Fragen, ob es die ökologische Modernisierung angeht, ob es die Frage des Humanismus angeht in der Asylfrage, da gibt es immer wieder die Notwendigkeit des Kompromisses.
Deswegen auch der Begriff Pragmatismus, den mein Co-Vorsitzender Cem Özdemir verwendet. Aber grundsätzlich muss man eben bei den anderen Bedingungen in den anderen Bundesländern sehen, passt dieser Begriff. Und da haben wir doch sehr unterschiedliche Voraussetzungen. Das haben wir in Rheinland-Pfalz gesehen, in Sachsen-Anhalt – wir treten jeweils in unterschiedlichen Rahmenbedingungen an, mal aus der Opposition heraus, wie in Sachsen-Anhalt, mal in der Regierung, aber nicht mit Regierungschef, und mal, in Baden-Württemberg, mit dem Regierungschef. Und das muss man dann auch für die nächsten Wahlen austarieren, ausloten und damit auch entsprechende Konzepte vorlegen.

Thema Flüchtlinge bleibt zentral

Brink: Aber Sie haben ja schon gesagt, das ist eine Leitlinie, und es ist ja schon bemerkenswert, wenn sich ein Parteichef hinstellt und sagt, das ist jetzt unsere neue Leitlinie. Da frage ich mich ja – Sie haben ja auch Kretschmann deutlich kritisiert, zum Beispiel, dass er sich ja auch klar gegen das Mehrheitsvotum in Ihrer Partei gewandt hat. Sie haben es selbst erwähnt, den Asylkompromiss, zum Beispiel die Anerkennung von sicheren Herkunftsländern im Balkan. Ist das jetzt plötzlich nicht mehr wichtig?
Peter: Das wird weiter wichtig sein. Gerade das Thema Flüchtlinge, Asyl ist für uns ein ganz zentrales. Wir sind immer angetreten mit dem Anspruch, die Menschenrechte zu wahren und für Schutzsuchende da zu sein. Das hat sich auch nicht gewandelt. Es ist klar, dass diejenigen, die in Regierungen sind, und wir sind als Grüne jetzt in neun Landesregierungen angekommen, mit Sachsen-Anhalt vielleicht sogar demnächst in zehn, wenn wir in allen drei Ländern die Regierung weiterhin stellen können, mitstellen können, dann muss man eben Kompromisse eingehen mit dem jeweiligen Partner und schauen, was für das Land die jeweils beste Lösung ist.
Brink: Also gerade wenn wir Sachsen-Anhalt – wenn ich da einhaken kann – die dortigen Grünen haben ja schon gesagt, da gibt es eigentlich – so wörtlich zitiert – "Fast überhaupt keine Schnittmengen" zum Beispiel mit der CDU, und Sie haben die Bildungspolitik da genannt. Müssen Sie nicht zwangsweise Kompromisse machen?
Peter: Genau. Wir müssen Kompromisse machen, und wir sehen in der jetzigen Situation, in der das Parteiensystem ins Rutschen geraten ist, in der einfache Mehrheiten aus zwei Parteien nicht mehr reichen – wir hatten ja in Baden-Württemberg angestrebt, Grün-Rot fortzusetzen, dort ist auch ein Dreierbündnis weiterhin in der Diskussion. Wir haben die Diskussion in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Wenn es aber darum geht, jetzt Mehrheiten jenseits der AfD zu organisieren, dann passt ja in Sachsen-Anhalt nur noch eine Koalition mit SPD und CDU, und dann sehen wir durchaus die staatspolitische Verantwortung.

Grüne Inhalte einbringen

Brink: Und dann geben Sie auch Ziele, und dann geben Sie auch Inhalte auf – Entschuldigung, wenn ich da einhake.
Peter: Wir müssen natürlich erst mal in den Sondierungen jetzt klar machen, dass wir Inhalte reinbringen wollen. Das heißt, wenn es um Bildungspolitik geht, wenn es um Asylpolitik geht, wenn es um ökologische Punkte geht, dann müssen wir die auch ganz klar im Koalitionsvertrag, in der Programmatik wiedergespiegelt haben. Das ist wichtig, darauf kommt es an, und deswegen spielen wir da auch eine ganz wichtige Rolle in den Verhandlungen.
Brink: Rücken die Grünen in die Mitte? Ich meine, von Ihrer Wählerschaft sind Sie das ja schon längst, das ist ja überhaupt gar kein Geheimnis mehr. Aber ist es jetzt auch die Partei, die wirklich in die Mitte rückt?
Peter: Das ist nicht so einfach zu beantworten. Wenn Sie sich die Wählerströme anschauen, dann geht es immer wieder in erster Linie im Austausch mit der SPD. Das hat ja gerade jetzt Baden-Württemberg auch und Rheinland-Pfalz gezeigt: Einmal ging es zu unseren Gunsten aus, dass wir gestärkt hervorgegangen sind, die SPD hat verloren, wir haben Plätze von der SPD an Stimmen dazugewonnen. In Rheinland-Pfalz war es umgekehrt. Das sind schon ein Stück weit kommunizierende Röhren. Das muss man sicher perspektivisch sehen. Wenn man Wähler dazugewinnen will von der einen oder anderen Seite, dann muss das im Mittelspektrum gehen, um als Sieger, Siegerin hervorzugehen. Aber trotzdem noch mal: Die Bedingungen in den einzelnen Bundesländern sind unterschiedlich. Die Linkspartei hat zum Beispiel jetzt sehr schlecht in den Ländern jeweils abgeschnitten. Ob sie sich da noch mal berappelt, ob man zum Beispiel mit Blick auf Nordrhein-Westfalen noch andere Optionen hat wie Linksbündnisse aus drei Parteien, das werden wir in den nächsten Monaten ausloten. Das heißt aber auch, dass die Linkspartei sich klar in der Asylfrage aufstellt. Das war bisher auch mehr als zweideutig.

Mit Blick auf 2017

Brink: Aber es ist schon erstaunlich bei den Grünen, wenn man sich so frühere Auseinandersetzungen, gerade diese unglaublich erbittert geführten Konflikte zwischen Realos und Fundis – so lange ist das ja nun auch nicht her – vor Augen führt und jetzt Sie hört, ganz moderat, wir rücken in die Mitte, wir haben eine staatsbürgerliche Pflicht – das sind doch schon andere Grüne.
Peter: Nein, ich habe nicht bestätigt, dass wir in die Mitte rücken. Es war für Baden-Württemberg sicher ein Wahlerfolg, viele Stimmen von SPD und CDU dazu zu bekommen. Aber noch mal, es waren vor allen Dingen Stimmen aus dem sozialdemokratischen Lager. Auch in anderen Ländern sind es vor allen Dingen Stimmen der SPD. Das muss man im Kopf haben, wenn man Bündnisse anstrebt. In Nordrhein-Westfalen steht das ja auch an, ein Bündnis mit der SPD weiter fortzusetzen. Das ist eine ganz klare Zielperspektive. Wir regieren in acht Bundesländern mit der SPD beziehungsweise in Thüringen noch mit der Linkspartei. Das hat ja Hintergründe. Wir sagen ganz klar mit Blick auf 2017, wir wollen da einen Eigenständigkeitskurs fahren, unsere Politik nach vorne stellen und werden sehen, mit wem man zusammen regiert. Aber wenn es darum geht, Regierungsverantwortung zu übernehmen und ein klares grünes Profil mit zu setzen, dann nehmen wir das auch wahr. Und im Fall von Sachsen-Anhalt sehe ich überhaupt keine andere Lösung, als sich daran zu beteiligen, um eine Neuwahl und ein weiteres Erstarken der AfD zu verhindern. Das ist ja der zentrale Punkt.
Brink: Ganz kurze Antwort: Im Hinblick auf 2017 gibt es eigentlich nur eine Partei, mit der Sie gar nicht können, die AfD?
Peter: Absolut. Also das müssen aber auch alle demokratischen Parteien absolut ausschließen, sonst wären auch mit uns Bündnisse nicht mehr möglich. AfD ist ein No-go.
Brink: Aber sie sind immerhin demokratisch gewählt. Herzlichen Dank! Die Grünen-Chefin Simone Peter. Vielen Dank für Ihre Einschätzungen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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