Grüne fürchten Instrumentalisierung der Skandalfotos

Moderation: Birgit Kolkmann · 26.10.2006
Nach der Veröffentlichung der Skandalfotos von Bundeswehrsoldaten befürchtet der verteidigungspolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Winfried Nachtwei, nun schwere Ausschreitungen in Krisengebieten durch eine Instrumentalisierung der Fotos.
Birgit Kolkmann: Herr Nachtwei, welche Konsequenzen befürchten Sie für den Einsatz in Afghanistan?

Winfried Nachtwei: In der Tat diejenigen, die Sie schon angedeutet haben. Es könnte wirklich zu entsprechenden Reaktionen, nicht nur in Afghanistan, sondern auch in anderen islamisch geprägten Ländern kommen: Weil nämlich mit diesen Fotos, mit diesem unentschuldbaren Verhalten dieser Soldaten ja eine demütigende Botschaft gegen die Werte dieser Gesellschaften transportiert wird. Und das hatten wir ja in der Vergangenheit auch schon öfter, dass dann die Reaktionen ganz empfindlich waren und nicht mehr kontrollierbar waren. Außerdem gibt es doch etliche, die darauf schlichtweg warten, dieses auszunutzen.

Kolkmann: Wie konnte es dazu kommen, was ist Ihre Erklärung?

Nachtwei: Wir wissen das natürlich noch nicht im Einzelfall, aber Erklärungen können vielleicht in die Richtung gehen, dass diese Soldaten schlichtweg mit den ganz besonderen Herausforderungen eines Auslandseinsatzes überfordert waren und dass bei ihnen offenkundig die besondere Vorbereitung auf diese Art von Auslandseinsatz nicht zureichend übergekommen ist. Denn die Anforderungen an Soldaten im Auslandseinsatz, in fremden Kulturen, sind deutlich höher als an Menschen hierzulande. Hierzulande kann man sich alles Mögliche erlauben, und im Privatleben erst recht, aber dort ist es eben von vorneherein äußerst gefährlich. Hier werden höhere Ansprüche gestellt notwendigerweise an auch immer einfachere Dienstgrade.

Kolkmann: Muss denn in der Ausbildung doch noch mehr auf ethische und sittliche Verantwortung eingegangen werden?

Nachtwei: Also einmal spielt das, man wird das vielleicht kaum glauben, angesichts eines herkömmlichen Verständnisses von Militär, spielt das schon jetzt eine erhebliche Rolle, also zum Beispiel die interkulturelle Kompetenz. Ich war noch am letzten Wochenende beim UN-Ausbildungszentrum der Bundeswehr in Hammelburg, und da wurde uns das sehr deutlich und glaubwürdig gesagt. Aber in der Tat muss in der Gesamtausbildung möglicherweise noch viel mehr darauf Wert gelegt werden, dass allen Soldaten, die ins Ausland kommen, deutlich wird, dass sie mit einem Fehlverhalten - das, was hierzulande möglicherweise unter "makabre, obszöne Spiele" zu rechnen wäre -, dass dieses im Ausland brandgefährlich ist, und viel gefährlicher, als das unsachgemäße Hantieren an einer Waffe.

Kolkmann: Es wird ja jetzt darauf abgehoben, dass die interkulturelle Ausbildung in der Bundeswehr eine große Rolle spielt, aber die Militärpsychologen haben jetzt auch gesagt: Seit 15 Jahren kultiviert die Bundeswehr das Bild eines Kämpfers, der kämpfen will und kämpfen muss, und dass sich da natürlich schon Dinge einstellen, wo dann die Ethik auf der Strecke bleiben könnte.

Nachtwei: Ja, wenn das so wäre, dass wirklich also das Bild eines Kämpfers einfach nur gefördert würde, dann wäre das also eben fast die zwangsläufige Folge, sozusagen der Umgang mit dem Kämpferstress oder dem Stress in besonderen Bedrohungs- und Belastungssituationen. Aber ich glaube, in Wirklichkeit ist die Situation in der Bundeswehr differenzierter: Wo einerseits sowohl dafür ausgebildet wird, dass Soldaten kämpfen können, dass sie aber auf der anderen Seite, und das macht die enorme Spannweite dieser Anforderung aus, dass sie auf der anderen Seite aber auch genau sehen, wann also eben der Waffengebrauch unbedingt zu vermeiden ist. Wann eben das Gespräch zu suchen ist, und das haben Soldaten auf Patrouille besonders zu führen. Also sie müssen gleichzeitig oder innerhalb von Sekunden umschalten können von hoher Wachsamkeit zu Gesprächsfähigkeit, und wenn dann wieder was passiert, zu Kampffähigkeit. Also das sind so hohe Ansprüche, die auch bei Zivilberufen, glaube ich, kaum so zu finden sind.

Kolkmann: Nun ist die Frage, ob diejenigen, die in die Bundeswehr gehen und sich auch verpflichten, dem überhaupt gewachsen sind. Vielfach gehen sie in die Bundeswehr, weil sie sonst keine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben. Zeigt sich denn in diesen Vorfällen der Totenschändung auch eine Verrohung insgesamt der Gesellschaft, dass es eben nicht nur um persönliche Probleme geht, sondern darum, dass viele junge Menschen nicht mehr auf einem sicheren moralischen Fundament stehen?

Nachtwei: Das kann sicher damit zu tun haben, aber da ist es also wirklich wichtig, die Einzelfall-Aufklärung hinzukriegen. Denn auch in Zeiten, von denen es heißt, dass damals eben moralische Werte mehr anerkannt gewesen wären, hatten wir es immer wieder mit solchen Skandalen zu tun, also auch "moralisch klarere Zeiten" schützen wohl offenkundig nicht vor solchen schändlichen Taten.

Kolkmann: Heute ist ja die Zukunft der Bundeswehr Thema im Bundestag. Es wird eine Regierungserklärung des Verteidigungsministers geben, eine Debatte. Hat durch diese Vorfälle das Bild der demokratisch verfassten Bundeswehr einen Kratzer bekommen?

Nachtwei: Ja, es hat einen Kratzer bekommen. Allerdings wissen auch alle, die mit Bundeswehr etwas näher zu tun haben, dass diese Vorkommnisse in keiner Weise exemplarisch sind für das Verhalten der allergrößten Masse der deutschen Soldaten hierzulande und im Ausland. Und das irritiert einen ja auch ganz besonders, dass das Verhalten von solchen Soldaten alle anderen mit ihrer tollen Arbeit so sehr in Misskredit bringen kann.

Kolkmann: Das war Winfried Nachtwei, der verteidigungspolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag.