Grönlandroman

Kampf gegen eigene Begierden

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Josephine Peary bei einer Arktis-Expedition Ende des 18. Jahrhunderts © dpa
Von Peter Urban-Halle · 06.02.2014
1793 lässt der frisch ordinierte Pfarrer Morten Franck seine Verlobte in Kopenhagen sitzen, er fühlt sich zum Missionar in Grönland berufen. Was er dort antrifft, erschüttert seinen Glauben an die Menschen und an sich selbst.
Dieses dicke Buch spielt am Ende des 18. Jahrhunderts in Kopenhagen und der dänischen Kolonie Grönland. Der immer noch relativ junge Morten Pedersen, der sich Falck nennt, weil das edler klingt, seziert gerne Leichen und will eigentlich Arzt werden, aber der Papa besteht darauf, dass sein einziger Sohn – bis auf eine Schwester sind ungefähr sechs Geschwister gestorben – Theologie studiert.
Er verguckt sich in Abelone, die Tochter seines Vermieters, die er vergewaltigt, was sie offenbar herausforderte. Danach will sie gar nicht mehr von ihm lassen. Ein bisschen geübt hat er schon, die dänische Residenzstadt bietet Gelegenheit en masse, damals scheint man dort 24 Stunden am Tag kopuliert zu haben.
Falck aber fühlt sich zu Höherem berufen. Mit einer famosen Examenspredigt macht er den Bischof von Grönland auf sich aufmerksam: Er wird Missionar bei den Eskimos. Vielleicht gerade weil er ein nüchtern denkender Mensch ist, ist die Fahrt ins Eis für ihn auch eine Bußreise, er will das sühnen, was er Abelone angetan hat. Dabei ist er wirklich nicht der schlimmste Sünder auf Erden, und das Interessanteste an diesem Buch ist, dass es zwar eindeutige Täter gibt, aber eigentlich nie eindeutige Opfer. Die Mannschaft auf seinem Schiff missbraucht der Reihe nach den minderjährigen Schiffsjungen und jagt ihn irgendwann in den Tod, aber der Kleine hat auch Spaß daran, die unappetitlichen Matrosen zu verführen; auf der Totenfeier bescheinigt ihnen Franck, "gute Christenmenschen" zu sein.
Selbsternannte Propheten
Auf Grönland ist es nicht besser, die Kolonie ist sittlich, menschlich, moralisch ein einziges Sodom. Hier konzentriert sich alles Schlechte dieser Welt: Unmoral, Trunksucht, Betrug, Missbrauch, Hunger, Dreck, Stumpfsinn. Kein Wunder, dass irgendwann die Frage aufkommt: „Was machen wir hier eigentlich?“ Unser Pfarrer, der mit seiner ersten Stelle total überfordert ist, muss sich nicht nur mit seinen körperlichen Begierden, seinem schlechten Gewissen, der Gemeinheit seiner Landsleute herumschlagen, sondern auch mit jenen aufmüpfigen, von den Eheleuten Maria und Habakuk geführten „Propheten im Ewigkeitsfjord“, die dem Buch im Original den Titel gaben.
Leine hat viel zu erzählen, kann aber nicht schreiben. Angestrengt versucht er, Stimmungen heraufzubeschwören, seine paar Landschaftsschilderungen sind voller Klischees. Das versucht er zu überspielen, indem er immer drastisch, ständig lärmend, sozusagen mit 100 Dezibel erzählt. Dazu passt, dass er im historischen Präsens schreibt, das in der Stilistik ein Mittel der Zuspitzung sein sollte. Nur: 640 Seiten Zuspitzung und Erregung, das schafft man nicht mal mit Viagra.
Historisch-moralische Abenteuerromane, die in der Regel unterhalten und immer erbauen wollen, ist ureigenes skandinavisches Metier. Leines Buch wurde mit Preisen überschüttet. Es soll schon mit Per Olov Enquists Romanen und Peter Høegs "Fräulein Smilla" verglichen worden sein. Ersteres wäre geradezu eine Beleidigung für den eleganten Seelenforscher Enquist, und Høegs "Smilla" ist einfach orgineller, spannender und künstlerisch bewusster geschrieben als Leines hölzernes Buch. Der Ewigkeitsfjord sollte in Langweiligkeitsfjord umgetauft werden.

Kim Leine: Ewigkeitsfjord

Aus dem Dänischen von Ursel Allenstein

Hanser Verlag, München 2014, 640 Seiten, 24,90 Euro