Griechisches Theater in der Krise

Von fehlenden Subventionen und Zweit-Jobs

Der griechische Schauspieler und Regisseur Akillas Karazissi
Der griechische Schauspieler und Regisseur Akillas Karazissi © Diana Olbert
Akillas Karazissis im Gespräch mit Andrea Gerk · 23.09.2015
Der Regisseur und Schauspieler Akillas Karazissi gehört zu den bekanntesten Theatermachern Griechenlands. Gerade hat er in Gera die "Bluthochzeit" von F. G. Lorca in Szene gesetzt. Die Situation der Theater in seiner Heimat betrachtet er sorgenvoll.
Andrea Gerk: Der Schauspieler und Regisseur Akillas Karazissis gehört zu den bekanntesten Theatermachern Griechenlands. Er hat am Nationaltheater seiner Heimat ebenso gearbeitet wie am Theaterhaus Jena oder an großen Institutionen der freien Szene wie dem La MaMa Theatre in New York.
Gerade hat Akillas Karazissis an der Bühne am Park Gera mit Schauspielern aus Deutschland, Burkina Faso und Griechenland Lorcas Drama "Bluthochzeit" in Szene gesetzt, und jetzt auf dem Heimweg nach Griechenland hat er hier bei uns Station gemacht und ist hier bei mir im Studio. Erst mal guten Abend, Herr Karazissis!
Akillas Karazissis: Ja, guten Abend!
Gerk: Wie haben Sie denn das Wahlergebnis aufgenommen, hat Sie das überrascht?
Karazissis: Nein, überrascht, ich weiß es nicht, es war zu erwarten, denke ich. Syriza und Tsipras, ich denke, die haben einen Strom in Griechenland, und da hat sich nicht viel geändert.
Also ich, ich hab so ein bisschen befürchtet, dass dieser ultralinke Flügel, der weggegangen ist von Syriza, vielleicht ein bisschen mehr Prozente nehmen würde von Syriza. Das ist nicht passiert, und ich finde es gut, ich finde es auch positiv.
Gerk: Ist das ein gutes Ergebnis auch für die Theaterszene in Griechenland? Atmen da Ihre Kollegen und Sie auf, oder ändert sich da nicht viel?
In der Krise gibt es kein Geld - und für das Theater sowieso nicht
Karazissis: Wir sind halt in der Krise, da gibt es kein Geld, und für Theater ist sowieso, ich denke, für die nächsten Jahre ist nichts ... Also es hängt auf jeden Fall sozusagen nicht von der Regierung oder von einem Regierungswechsel ab, ob es besser läuft oder nicht. Geld gibt es nicht.
Gerk: Wie ist denn die Stimmung überhaupt, wie wird da überhaupt noch gearbeitet, wenn Sie sagen, es gibt kein Geld?
Karazissis: Griechenlands Theaterszene ist eine ganz andere als die deutsche. Es gibt Stadttheater, es gibt städtisches und staatliches Theater, sowohl in Athen als auch in Saloniki und bis vor Kurzem und vielleicht immer noch auch in größeren Städten wie Patras, wie Kalamata, also so Städte, die über 60-, 70-, 100.000 Einwohner haben.
Erst mal, dieses Theater, dieses Provinztheater, das steht in großer Gefahr, also die Kürzungen betreffen erst diese kleineren Theater. Im Stadttheater in Saloniki gab es dieses Jahr sogar Schwierigkeiten, die Löhne zu zahlen, im Nationaltheater Gott sei Dank noch nicht.
Die Situation ist nicht so schlimm, wie es manchmal halt hier oder auch anderswo im Ausland dargestellt wird, aber es ist schon schwer. Ich bin in einer Theaterlandschaft aufgewachsen, nachdem ich aus Deutschland ... Ich war lange in Deutschland, ich bin dann zurück nach Griechenland. In Athen, 90er-Jahre und ab 2000, es war eine florierende Zeit fürs griechische Theater.
Früher gab es viele Subventionen für die Theater - das ist vorbei
Sehr viele Subventionen, staatliche Subventionen, sehr viele freie Gruppen wurden subventioniert, und so hat die Theaterlandschaft – hauptsächlich in Athen, zumindest zwei Drittel Griechenlands leben in Athen – floriert. Dann kam die Krise, und die Subventionen wurden nicht gekürzt, sondern abgeschafft, auf griechische Art und Weise. Man sagt nichts, man bezahlt aber nicht.
Die sagen, ja, vielleicht, mal sehen – vom Ministerium und so. Das ist vor Jahren passiert, also vor fünf, sechs Jahren, am Anfang der Krise. Sie wissen, wenn eine Situation halt sich durchsetzt, dann etabliert sich diese Situation, man sieht sie als selbstverständlich – die Subventionen, die gab es seit 30 Jahren in Griechenland, das war nicht seit eh und je. Subventionen an freie Gruppen, an große, freie Gruppen, mit viel Arbeit, mit Ensembles, mit Technikern, mit Häusern, mit zwei Bühnen, mit vielen Produktionen, das wurde subventioniert Anfang der 80er-Jahre – PASOK hat so etwas und Melina Mercouri haben das eingeführt. Und dass es jetzt abgeschafft wird – wir kommen halt wieder an den Punkt Anfang der 80er Jahre, wo man gekämpft hat für Subventionen. Bloß damals gab es Geld, heute gibt es keins.
Gerk: Das heißt, alle müssen noch irgendwie nebenher arbeiten und müssen es ...
Karazissis: Entweder arbeitet man ... Wissen Sie, es gibt auch viele Differenzierungen – bei den Schauspielern, bei den Regisseuren, bei den Theatergruppen. Es gibt das kommerzielle Theater in Griechenland, das gab es immer. Die verdienen Geld vom Publikum, und die verdienen gutes Geld.
Es gibt das Stadttheater/Staatstheater, Nationaltheater, das hat ein Ensemble von ungefähr hundert Schauspielern, das heißt, hundert Schauspieler, die sind nicht immer die gleichen, die wechseln von Jahr zu Jahr, auch viele Regisseure und Ausstatter und so weiter und so fort arbeiten da.
Szene aus dem Stück "Bluthochzeit" von F. G. Lorca unter der Regie von Akillas Karazissis in der Bühne am Park Gera
Szene aus dem Stück "Bluthochzeit" von F. G. Lorca unter der Regie von Akillas Karazissis in der Bühne am Park Gera© Stephan Walzl
Es gibt das Onassis-Center, das ist auch eine große Foundation mit einem großen Haus in Athen, mit zwei Bühnen, da arbeiten auch Leute – nicht fest, aber immer auf Gastvertrag und für griechische Verhältnisse auch gut bezahlt –, und es gibt auch das Athener Festival, die Athener Theatertage im Juni, Juli.
Das sind die drei, in Athen jetzt mindestens, die drei Stätten, wo man feste Gagen kriegt. Fest Gagen heißt für drei Monate, vier Monate, bis zur nächsten Produktion. Wenn man da nicht arbeitet, dann ist man dem freien Markt ausgeliefert. Diesen anderen Raum haben die Subventionen geschützt. Das gibt es jetzt nicht.
Viele junge Schauspieler haben Zweit-Jobs
Wenn man nicht wie gesagt in diesen drei großen Häusern ist oder Institutionen, dann muss man auf gutes Glück halt ... Ich mach mit Ihnen eine Arbeit, ein Projekt, und wenn Leute kommen, dann ist es gut, wenn Leute nicht kommen, dann müssen wir was anderes machen. Das heißt dann für viele junge Leute, sie arbeiten nebenher – gut, für Schauspieler von New York bis Berlin bis Athen ist es üblich, dass man halt auch jobbt, aber für mich, ich bin jetzt Mitte, Ende 50, ich arbeite seit 30, 40 Jahren im Theater, ich hab keine Lust gehabt – wie in meiner Jugend in Heidelberg – irgendwann in einer griechischen Taverne zu arbeiten, um Gottes Willen. Ich finde nichts Schlimmes dran, aber ich arbeite seit Jahren im Theater, und ja, dieses Recht habe ich, glaube ich, weiter da zu arbeiten.
Gerk: Ist es denn so, dass diese ganze Krise und auch das Ringen mit der Europäischen Union, ist das auch ein Thema auf den Theatern, also spiegelt sich das im Spielplan oder in den Projekten, die in freien Gruppen gemacht werden?
Karazissis: Ja, indirekt immer, als Satire immer. Direkt auch, in einer Art dokumentarischem Theater. Die Krise beeinflusst indirekt die Dramaturgie des Theaters. Also zum Beispiel jetzt inszeniere ich von Horváth "Glaube Liebe Hoffnung".
Gerk: Ist ja das Stück zur Stunde, oder?
Karazissis: Ja, genau, also ich weiß nicht, ob ich es vor zehn Jahren inszeniert hätte. In dem Sinne natürlich beeinflusst die Krise sehr. Allerdings, ist bin sehr skeptisch, wenn ich höre, Krise fördert die Solidarität unter den Leuten und man wird offener und so weiter und so fort, da bin ich sehr skeptisch. Krise produziert erst mal Probleme, und nur Probleme, und lässt Leute ihre Träume, ihre Wünsche nicht verwirklichen, und die müssen nach Deutschland oder nach Frankreich oder ich weiß nicht wohin, nach England, um halt Zukunft finden zu können – ob Wissenschaftler, Künstler oder halt ... ja.
Gerk: Und das Publikum, sind denn die Griechen eifrige Theatergeher oder ist das für sie ein wichtiges Medium, mit dem sie sich auseinandersetzen?
Griechenland hat ein geübtes und sehr treues Theaterpublikum
Karazissis: Es gibt eine sehr gute Theatertradition auch im Publikum. Es gibt ein geübtes und sehr treues Theaterpublikum – auch unter der jüngeren Generation. Durch die Krise, da gab es eine Art von Solidarität. Die Preise sind niedriger geworden, Eintrittskarten und so, es gab dann Abonnements, es gab verschiedene Tricks, also gratis für Arbeitslose und so, dadurch hat das Theater die Krise bis jetzt sehr gut überstanden, was die Zuschauerzahlen betrifft. Die Theater sind voller geworden in der Krise.
Gerk: Das ist doch ein gutes Zeichen.
Karazissis: Das ist ein sehr gutes Zeichen, ja, aber ich weiß nicht, wenn die Krise noch 20 Jahre ...
Gerk: Das wollen wir nicht hoffen.
Karazissis: Ja, ja, dann weiß ich nicht, was ...
Gerk: Der griechische Schauspieler und Regisseur Akillas Karazissis, vielen Dank für dieses Gespräch! Und seine Inszenierung von Lorcas Drama "Bluthochzeit", die ist am Theater Altenburg-Gera zu sehen, das nächste Mal am 27. September.
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