Griechenlands neue Außenpolitik

"Ernsthafte Sorgen sind angebracht"

Griechenlands neuer Ministerpräsident Alexis Tsipras stößt die anderen EU-Länder vor den Kopf.
Griechenlands neuer Ministerpräsident Alexis Tsipras stößt die anderen EU-Länder vor den Kopf. © dpa / Pantelis Saitas
Bernhard Stahl im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 29.01.2015
Dicke Luft in der EU, denn Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras schießt bei den neuen Russland-Sanktionen quer. Das sei nicht nur ein Manöver, um die EU unter Druck zu setzen, meint der Politikwissenschaftler Bernhard Stahl. Es sei auch Ausdruck einer generell anti-westlichen Haltung.
Nachdem Syriza-Chef Alexis Tsipras die internationale Öffentlichkeit schon durch die unkonventionelle Wahl seines Koalitionspartners - in Form der rechtspopulistischen "Unabhängigen Griechen" - irritiert hatte, schießt der neue griechische Ministerpräsident jetzt auch auf EU-Ebene quer und verweigert sich verschärften Sanktionen gegen Russland.
Bernhard Stahl, Professor für Internationale Politik an der Universität Passau, betrachtet diese Entwicklung mit Sorge: Denn dabei gehe es nicht nur darum, die EU wegen neuer Finanzhilfen unter Druck zu setzen. "Die griechische Regierung sieht einfach die Welt und sieht Europa und die europäische Integration völlig anders als die meisten Regierungen."

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Dass Griechenland, dass die neue Links-Regierung von Alexis Tsipras ungemütlich werden könnte für Brüssel, das war allen Beobachtern von Anfang an klar, in Sachen Sparpolitik, in Sachen Eurorettung natürlich. Dass dieser neue Mann in Athen aber gleich auch noch ein anderes Fass aufmacht, das dürfte viele überrascht haben. Tsipras schießt quer bei den Russland-Sanktionen, die die EU nach der neuen Gewalt in der Ukraine verschärfen will. Mit ihm, das ließ er gestern ganz undiplomatisch und offen erklären, sei das alles nicht abgestimmt, er sei dagegen. Und ganz demonstrativ traf sich Tsipras dann auch noch mit dem russischen Botschafter.
Welches Spiel spielt Griechenland? Wie kann und muss Europa darauf reagieren? Darüber spreche ich mit Bernhard Stahl, Professor für internationale Politik an der Universität Passau. Einen schönen guten Morgen!
Bernhard Stahl: Schönen guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Ist da einer noch ein bisschen übermütig und trunken vom Wahlsieg, oder müssen wir uns ernsthaft Sorgen machen über diese Querschüsse aus Athen?
Griechische Linke: Immer schon gegen NATO und EU
Stahl: Ja, ich fürchte, ernsthafte Sorgen wären, glaube ich, eher angebracht. Denn man kann natürlich das griechische Verhalten jetzt als so eine Art Verhandlungsstrategie sehen. Griechenland will vielleicht die Europäische Union ein bisschen unter Druck setzen, damit es dann auch die Finanzhilfen bekommt, die versprochen sind oder zumindest aus griechischer Sicht versprochen sind. Und das wäre die einfache Variante.
Ich fürchte, der Konflikt liegt doch etwas tiefer, denn wir müssen uns immer klar sein, dass die griechische Linke und auch die griechische extreme Rechte immer schon gegen den Kurs der EU war, immer schon antiamerikanisch war, gegen die NATO, gegen Globalisierung, gegen den Westen allgemein. Und das besetzt Tsipras mit seiner Regierung, mit seinem neuen Außenminister Kotzias und auch mit dem Verteidigungsminister Kammenos eigentlich sehr gut.
Frenzel: Fangen wir mal an mit der einfachen Variante, die, die Sie als die einfache Variante bezeichnen, dass es also nur eine Verhandlungsposition ist. Selbst das ist aber eigentlich schon hochproblematisch. Das erinnert mich schwer an Zeiten des Kalten Krieges, wo sich viele afrikanische Staaten dann immer so ein bisschen ausgesucht haben, sind wir amerikafreundlich, sind wir moskaufreundlich, je nachdem, wer die besseren Bedingungen geboten hat. Können wir denn in einer "EU28", wo wir eng miteinander zusammenarbeiten, so ein Spiel überhaupt betreiben, ohne dem Ganzen nicht schwer zu schaden?
Stahl: Ja. Da würde ich Ihnen völlig recht geben. Das wird die gemeinsamen Positionen schwächen und der EU Schaden zufügen. Aber es ist in der Tat eine Strategie, mit der sich einige Länder schon versucht haben. Wir denken vielleicht an Großbritannien zurück in der sogenannten BSE-Krise, wo sie auch versucht haben, den Rest der Gemeinschaft zu erpressen. Oder auch Frankreich hat das auch verschiedentlich versucht. Dass man also versucht, unkooperativ zu sein, um dann in anderen Politikbereichen gewünschte Ergebnisse zu bekommen.
Ich glaube, dass das eine sehr schlechte Strategie ist, aber auch die griechische Linke hat in den 1980er Jahren immer wieder zu diesem Mittel gegriffen, und wir haben auch in der Vergangenheit eben sehr unsolidarisches Verhalten seitens Griechenland schon erlebt.
Die EU-Staaten vergessen unkooperatives Verhalten nicht
Frenzel: Glauben Sie denn, dass sich die EU darauf einlässt? Wir haben gestern schon Martin Schulz gehört. Er hat im ZDF relativ deutlich gesprochen, hat gesagt, er habe "keinen Bock" auf eine solche Sache.
Stahl: Die Europäische Union ist ja als Solidargemeinschaft schon auf eine kooperationsfreundliche Verhandlungsführung angewiesen, und eigentlich ist es auch so, dass sich in den letzten Jahrzehnten so ein gemeinsamer Konsens auch herausgebildet hat. Und die einzelnen Staaten haben gemerkt: Wenn wir nicht kooperativ sind, dann schaden wir uns eigentlich nur selbst.
Denn man muss ja immer sehen, die Staaten haben ja auch ein Gedächtnis. Das heißt, wenn ein Staat in einer Verhandlung sehr, sehr unkooperativ ist, dann wird er in der nächsten, übernächsten das zu spüren bekommen von den anderen Mitgliedsstaaten. Das heißt, es lohnt sich langfristig überhaupt nicht, eine solche Strategie zu fahren. Aber die neue griechische Regierung hat diese Erfahrung nicht. Sie ist auch nicht europäisch sozialisiert, würde man sagen, also in Brüssel, sondern will ihre neuen Erfahrungen hier machen, und das kann dauern.
Frenzel: Ich versuche jetzt gerade noch mal einen kompletten Perspektivwechsel, werde der Griechenland-Versteher und sage, da hat ein Volk eine Regierung gewählt, ganz klar auch mit einem politischen Programm. Das wird nun umgesetzt in einzelnen Schritten schon, in Fragen der Rücknahme der Sparpolitik, mit Blick auf Russland. Sie haben gesagt, das ist auch durchaus Programmatik. Das ist ja durchaus legitim. Ist die EU mittlerweile auch ein so enges Korsett, dass individuelle Bedürfnisse, Politikwechsel in Ländern gar nicht mehr zugelassen sind?
Stahl: Ja, das ist auch durchaus ein interessanter Gedanke. Denn die Europäische Union, wie ich gesagt habe, erfordert eben kooperatives Verhalten, damit man weiterkommt zusammen. Es kann aber nun sein, und das haben wir jetzt in Griechenland erlebt, dass ein Volk in der EU das gar nicht möchte. Es möchte überhaupt kein kooperatives Verhalten. Und dann haben wir in der Europäischen Union ein Problem.
Und ich würde das so ein bisschen in der Europäischen Union einordnen und sagen, wir haben schon in anderen Politikfeldern Entsolidarisierungen, weil wir generell mit der europäischen Integration in einer Krise stecken. Und wir sehen Entsolidarisierung nicht nur beim Euro, auch beim gemeinsamen Binnenmarkt. Wir sehen es im Schengen-Raum, wir sehen es in allen Errungenschaften, die wir haben in Europa, dass einzelne Staaten ausscheren, Extrawürste möchten und extreme Verhandlungsführung in einigen Politikfeldern vornehmen.
Grexit - warum nicht?
Frenzel: Was ist denn dann die Konsequenz, die wir daraus ziehen müssen? Ich war ja immer gegen diese Grexit-Strategie, wenn es um das Ökonomische ging, aber jetzt, wo es politisch wird, kann ich fast schon so ein bisschen Sympathie dafür entwickeln, dass man sagt, wenn es nicht zusammen geht, dann doch vielleicht lieber getrennt, also ohne Griechenland.
Stahl: Ja, in der Tat. Das kann man so sehen, wenn man sagt, ja, das Volk möchte das eigentlich gern, das griechische Volk möchte das, und die Mehrheit der EU-Staaten möchte das auch, dann finde ich das auch ein völlig legitimes Anliegen, aus politischer Sicht zu sagen, okay, dann sollte man sich trennen. Vielleicht wieder nur für eine Zeit, und irgendeine zukünftige Regierung Griechenlands kehrt vielleicht zurück. Aber ich finde das politisch und von der Idee des Volkswillens her durchaus eine legitime Strategie, auch einen Grexit zu diskutieren.
Frenzel: Glauben Sie denn, was ist Ihre Vermutung, werden sich die Dinge eher beruhigen oder werden sie eher eskalieren?
Stahl: Eher eskalieren, denn, ich hab versucht schon am Anfang, es anzudeuten, ich glaube eben, dass diese neue Regierung mit der extremen Rechten und der extremen Linken außenpolitisch unglaublich polarisieren wird in der Europäischen Union. Wir haben eben "nur" in Anführungszeichen die Ukrainekrise, aber es wird auch in anderen Fällen dann zu starken Reibungen kommen, denn die griechische Regierung sieht einfach die Welt und sieht Europa und die europäische Integration völlig anders als die meisten Regierungen.
Frenzel: So sagt es und sieht es Bernhard Stahl, Professor für Internationale Politik an der Universität Passau. Ich danke Ihnen!
Stahl: Ja, danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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