Griechenland

Patronage, Kalkül und Symbolpolitik

Der Containerhafen von Piräus vor Athen, aufgenommen am 17.06.2012. Der Hafen steht unter dem Management des chinesischen Hafenbetreibers COSCO.
Containerhafen von Piräus, Griechenland © picture alliance / dpa / Emily Wabitsch
Rezensiert von Stefan Berkholz · 28.02.2015
Wie kann Griechenland mit neuen Strukturen und Ideen aus der Krise kommen? Ein Sammelband mit 28 Texten, herausgegeben von zwei intimen Kennern des Landes, zeichnet ein wenig optimistisches Landesporträt.
Er bringt umfassend auf den Stand der Diskussion – mit Stichworten wie Klientelismus, Monopolstrukturen, Reparationsforderungen, Rolle der Medien oder "Mentalität des politischen Autoritarismus".
Und bereits in seiner Einleitung gibt Herausgeber Wolfgang Schultheiß einen Ton für dieses Griechenland-Buch vor, der gleichermaßen um Verständnis und Verständigung ringt:
"Eine Warnung vorab: Die Tatsache, dass das griechische Parlament ein Reformgesetz verabschiedet, hat wenig zu sagen. Manchmal geschieht das nur, um den Forderungen der Troika zu entsprechen und die Voraussetzung für weitere Kredite zu schaffen; seine Umsetzung wird dann durch Widerstand in der Regierungspartei selbst verhindert, manchmal weigert sich die Verwaltung auch einfach, Anordnungen auszuführen. Das war besonders beim Personalabbau im öffentlichen Dienst zu beobachten."
Und eine zweite Warnung schickt Ko-Herausgeber Ulf-Dieter Klemm gleich hinterher:
Cover Ulf-Dieter Klemm, Wolfgang Schultheiß: "Die Krise in Griechenland"
Cover Ulf-Dieter Klemm, Wolfgang Schultheiß: "Die Krise in Griechenland"© Campus Verlag
"Für viele Griechen ist die europäische Integration keine Herzenssache, so wie es zwischen Deutschen und Franzosen oder Deutschen und Polen der Fall ist. (...) Die EU (...) ist für Griechen mehr eine Sache der politischen Vernunft, des finanziellen Kalküls, der Absicherung der eigenen Position im Verhältnis zur Türkei.
Griechenland ist ein relativ neuer Staat. Die Bereitschaft, sich einem supranationalen Staatsgebilde anzuschließen und auf nationale Kompetenzen zu verzichten, ist wenig ausgeprägt."
Beide Herausgeber stehen für deutsch-griechische Verständigung und Diplomatie. Wolfgang Schultheiß war von 2005 bis 2010 Botschafter in Athen und Ulf-Dieter Klemm arbeitete von 1986 bis 1990 als Kulturreferent an der Deutschen Botschaft in Athen.
Beide sind intime Kenner des Landes und haben daraus die Auswahl ihrer Autoren getroffen. Und diese gehen hart zur Sache, zeichnen in insgesamt 28 Texten ein Landesporträt, das nicht unbedingt optimistisch stimmt.
Calliope Spanou, die Athener Politikwissenschaftsprofessorin, stellt fest, dass "das System der politischen Patronage bis heute überdauert" habe. Panajótis Karkatsoúlis, Professor an der Griechischen Verwaltungshochschule und Berater des Ministers für Verwaltungsreform, spricht von "Aufschüben und Verschleppungen". In den vergangenen Jahren sei reine "Symbolpolitik" betrieben worden.
Vision voller Golfplätze und Rennpisten
Mulmig wird dem Leser, wenn Michael Massourákis, Chefvolkswirt der Alpha Bank, daraufhin von seinen "wilden Blütenträumen" schreibt und behauptet, Griechenland befinde sich auf einem guten Weg "lobenswerter Erfolge".
Sodann stellt er eine hemmungslose Liberalisierung des Tourismus in Aussicht, eine Vision voller Golfplätze, Konferenzzentren, Technologieparks, Thalassoburgen, Großflughäfen, ja sogar "Autorennpisten". Nicht einmal vor öffentlichem Strand macht er halt:
"Man muss sich auch von alten Denk- und Verfahrensmustern lösen. So stellt beispielsweise der gegenwärtige Flächennutzungsplan, der für Hotels einen Mindestabstand vom Strand vorsieht, in einem Land mit 16.000 Kilometern Küstenlinie eine enorme Verschwendung von Ressourcen und Möglichkeiten dar, die sich das Land nicht leisten kann."
Sollte Griechenland zum Benidorm des 21. Jahrhunderts werden, dann gute Nacht. Es würde – bereits gebeutelt durch die mehrfache Bank- und Schulden-, Politik- und Gesellschaftskrise – nachhaltig zerstört werden.
Der Sammelband liefert also nicht nur Daten und Fakten für die aktuelle Diskussion. In einigen Passagen vermag er auch, hitzigen Streit zu entfachen. Und dank eines Sach- und Personenregisters ist das Buch außerdem leicht zu handhaben.

Ulf-Dieter Klemm, Wolfgang Schultheiß (Hg.):
Die Krise in Griechenland - Ursprünge, Verlauf, Folgen

Campus Verlag, Frankfurt / New York, Februar 2015
546 Seiten, 29,90 Euro, auch als e-Book erhältlich

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