Griechenland muss "Steuerflucht und Steuervermeidung bekämpfen"

15.02.2012
Der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer, hat sich skeptisch zu einem Schuldenschnitt für Griechenland geäußert. Ohne Senkung der Neuverschuldung und ein "vernünftiges Steuersystem" sei diese Maßnahme sinnlos.
André Hatting: Griechenlands Parlament hat artig die neuen Sparpläne durchgewinkt, jetzt ist Brüssel am Zug. Aber das geplante Treffen wurde kurzfristig in eine Telefonkonferenz umgewandelt. Ob und wann Athen neue Notkredite bekommt, bleibt damit erst mal offen. 130 Milliarden Euro sollen es insgesamt sein, so weit, so bekannt. Weniger bekannt ist, dass man mit den ramschigen griechischen Staatsanleihen auch wunderbar zocken kann. Viele Anleger, auch Banken, verdienen daran, dass der Bankrott immer wieder abgewendet wird. Wie das genau funktioniert, erklärt uns jetzt Jörg Krämer, er ist Chefvolkswirt der Commerzbank. Guten Morgen, Herr Krämer!

Jörg Krämer: Guten Morgen!

Hatting: Seit einem Jahr gelten griechische Staatsanleihen eigentlich als Ramsch. Wie kann man denn damit Geld verdienen?

Krämer: Ja, das sind die Investoren, die kaufen die Anleihen sehr billig, weil die Kurse ja gefallen sind. Und die setzen dann darauf, dass sie am Ende den vollen Nennwert der Anleihen zurückbekommen. Das können sich natürlich keine Banken leisten und Rentenversicherungen oder Versicherungen insgesamt würden das auch nicht machen, aber ich sage mal, einzelne Investoren oder vielleicht sogar Hedgefonds, schwer zu sagen, Privatpersonen könnten natürlich so eine Roulette-Strategie fahren. Denn nichts anderes ist das.

Hatting: Sie sagen, Banken oder auch Pensionskassen könnten sich das nicht leisten. Aber die hängen ja nun auch mittendrin?

Krämer: Ja gut, aber das Problem ist, dass Banken und Versicherungen griechische Staatsanleihen ja in den Jahren vor Ausbruch der Krise vor allen Dingen gekauft haben zu sehr, sehr niedrigen Zinsen. Bei denen findet was anderes statt: Die versuchen, das loszuwerden. Und diejenigen, die Sie gerade eben beschrieben haben, das sind andere Typen von Anleger, die im Grunde genommen Roulette spielen. Weil, es kann ihnen ja keiner sagen, ob Griechenland am Ende wirklich zurückzahlt oder nicht. Und die wichtigere Frage ist noch: Nicht alle Privatanleger werden ja an den Kosten einer Umschuldung beteiligt, sondern bestimmte Banken, bestimmte Versicherungen und Privatanleger oder nicht regulierte Anleger wie Hedgefonds wetten natürlich auch darauf, dass sie nicht in den Kreis, dass sie nicht als Private angesehen werden, die sich an einer Umschuldung beteiligen.

Hatting: Verhandelt wird seit Wochen ja auch über einen sogenannten Schuldenschnitt, also eine Reduzierung der Zinsen, die für die Anleihen gezahlt werden. 100 Milliarden Euro sind da im Moment im Gespräch. Würde das Griechenland tatsächlich spürbar entlasten?

Krämer: Das wäre ein deutlicher Schuldenschnitt. Die Frage ist natürlich, ob die Schulden dann ausreichend sinken würden mit Blick auf die riesigen Probleme, die Griechenland hat. Und da habe ich meine Zweifel. Ich glaube, selbst in den optimistischen Szenarien verbliebe immer noch ein Schuldenberg, den Griechenland mit seiner sehr schwachen Wirtschaft, glaube ich, schwer dauerhaft tragen kann.

Hatting: Sie sehen das trotzdem kritisch, einen solchen Schuldenschnitt, nicht nur, weil Sie für eine Bank arbeiten, sondern auch, weil Sie eine Ansteckungsgefahr sehen, im Falle Portugals zum Beispiel. Wie meinen Sie das?

Krämer: Ich will es mal folgendermaßen erklären: Sie haben Staatsschulden in Griechenland von 355 Milliarden Euro. Eigentlich müssten die halbiert werden, das heißt, eigentlich müssten Sie 155 Milliarden Euro, die Staatsschulden, reduzieren. Wenn aber Private nur noch im Umfang von 190 Milliarden Anleihen halten, dann würde sich ja fast der gesamte Verlust, würde sich auf einen Teil der Privaten konzentrieren, sodass bei denen Ausfälle drohen, die extrem hoch sind. Die EZB hatte damals davor gewarnt, einen Teil der Anleger nur heranzuziehen, weil sie sagte, diese könnten dann befürchten, dass es in Portugal noch mal so läuft, dass es dann zu Ansteckungseffekten kommt und dass dann keiner mehr bereit ist, aus Angst viel mehr zu verlieren als üblich bei Umschuldungen, dass dann keiner mehr bereit ist, andere Peripherieländer zu finanzieren. Und die Warnung des ehemaligen EZB-Präsidenten Jean-Claude Trichet scheinen sich bewahrheitet zu haben.

Sie haben gesehen in den letzten Wochen, dass die Risikoaufschläge für portugiesische Anleihen massiv hoch gegangen sind, weil eben Anleger fürchten, dass es, anders als die Politik sagte, ja zu einer zweiten Umschuldung kommt, dann diesmal nicht in Griechenland, sondern in Portugal. Inhaltlich ist das völlig offen, aber die Befürchtung ist natürlich da. Und es ist zu diesen Ansteckungseffekten leider schon gekommen, wie von der Europäischen Zentralbank damals befürchtet.

Hatting: Deren neuer Chef heißt Mario Draghi und der hat gesagt, die Europäische Zentralbank werde sich auf gar keinen Fall an einem Schuldenschnitt beteiligen, obwohl sie ja nun auch in großem Stil griechische Anleihen gekauft hat. Sie halten das für völlig richtig. Warum?

Krämer: Na ja, in großem Stil griechische Anleihen gekauft, das hört sich so an, als wollten sie da ein Schnäppchen machen, hätten auf irgendwas spekuliert. Nein, die Europäische Zentralbank hat auf Drängen der Politik griechische Staatsanleihen gekauft, letztendlich, ja, um mithilfe der Notenpresse Griechenland Zeit zu kaufen. Aber die Europäische Zentralbank hat ja vor einem Jahr gesagt, dass sie davor warnt, eine Umschuldung in Griechenland vorzunehmen, und sie hat auch gesagt, dass sie deshalb nicht mitmachen würde an einem solchen Tausch. Und dieses Wort der Zentralbank steht im Raum.

Hatting: Was halten Sie denn von Plan B, der jetzt angeregt worden ist, unter anderem auch von Draghi: Die EZB schüttet wie üblich ihre Gewinne an die Notenbanken der beteiligten Staaten aus und diese leiten das dann an Griechenland weiter?

Krämer: Ja, also, rein prognostisch glaube ich, dass es dazu durchaus kommen kann. Das heißt, die Europäische Zentralbank hat die griechischen Anleihen gekauft zu so einem Durchschnittskurs von 76. Die würde dann am Ende, wie sie es auch gefordert hat, die Anleihen voll zurückgezahlt bekommen, das heißt zu 100. Sie würde dann einen Gewinn pro Anleihe machen von 26. Das würde natürlich, wenn am Ende Gewinne blieben, würden dann die nationalen Zentralbanken wie üblich an die Finanzminister ausschütten. Was die dann damit machen, kann ja die EZB im Prinzip nicht wissen, und sie könnten natürlich diese bei der EZB realisierten Buchgewinne dann benutzen, um sie an Griechenland weiter zu überweisen und dadurch das Land eben auch weiter zu entschulden.

Hatting: Was sagt der Ökonom, hätte das wirklich einen großen Effekt?

Krämer: Ja, da käme also sicherlich ein Betrag zusammen in der Größenordnung so von zehn, 15 Milliarden und das würde natürlich weiterhelfen, die Staatsschulden in Griechenland zu senken. Aber als Ökonom sage ich Ihnen auch: Entschuldung ist eine Sache und das ist auch grundsätzlich richtig. Aber wenn Sie jedes Jahr neue Schulden machen, die wiederum zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen, dann sind die Schulden schnell wieder gestiegen. Das heißt, eine Entschuldung macht nur dann Sinn, wenn auch die Defizite, die neuen Schulden gesenkt werden. Das haben wir bisher nicht gesehen in Griechenland. Und es macht auch nur dann Sinn, wenn in Griechenland die Reformen nicht nur im Parlament beschlossen werden, sondern auch umgesetzt werden.

Wir brauchen dort eben ein vernünftiges Steuersystem, was auch genug Steuereinnahmen generiert und die Steuerbekämpfung, die Steuerflucht und die Steuervermeidung bekämpft, und b) brauchen wir eben auch eine Befreiung dieser Volkswirtschaft aus Partikularinteressen, damit sie da mal wieder ein ordentliches Wirtschaftswachstum und eine Perspektive für die Menschen haben. Denn nur dann sprudeln ja auch die Steuereinnahmen.

Hatting: Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Krämer!

Krämer: Ja, bitte!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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