Griechenland

Die spinnen, die Tsipras-Leute

Eine Frau sieht in Athen die Fernsehansprache des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras.
Tsipras lässt das Volk entscheiden. Doch welche Wahl hat das Volk dabei? © picture alliance / EPA / Fotis Plegas A.
Von Annette Riedel, Studio Brüssel · 04.07.2015
Eigentlich sei sie eine Griechenversteherin, gesteht unsere Brüssel-Korrespondentin Annette Riedel. Doch mittlerweile glaube sie: Die Griechen spinnen. Sie meint, die Politik des griechischen Ministerpräsidenten sei nicht mehr nachvollziehbar.
Eigentlich bin ich eine Griechenland-Versteherin. Eigentlich habe ich sogar einiges Verständnis für die Tsipras-Regierung. Ja, ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass ich eine gewisse Sympathie für ihr Anliegen hege, dem Primat der Sparpolitik etwas entgegensetzen und zumindest theoretisch dem Klientelismus der politischen und wirtschaftlichen Eliten in ihrem Land die Stirn bieten zu wollen.
War. Hatte. Hegte. Irgendwo auf halber Strecke ihres wilden Schlinger-Kurses zwischen Februar und dem morgigen Referendum habe ich eine Kurve nicht mehr gekriegt. Und jetzt kann ich es nur noch so sehen: Die spinnen, die Griechen. Oder, nein, nicht die Griechen spinnen, sondern diese griechische Regierung spinnt.
Da ist Anfang des Jahres in Athen ein regierungsunerfahrenes Kabinett angetreten, ins Amt getragen vor allem wegen der erklärten Ansage: Nieder mit der Troika. Nieder mit dem Sparen. Nieder mit den sozialen Ungerechtigkeiten. Die und der ausbleibende wirtschaftliche Aufschwung des Landes sind aus ihrer Sicht nahezu allesamt das Verschulden jenes verhassten Dreigestirns aus Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und EU-Kommission. Die hätten ihre marktfern günstigen Kredite an widersinnige Reform-Bedingungen geknüpft. Die hätten Griechenland vom Rande des wirtschaftlichen Abgrunds zielgerichtet - ja kriminell! - einen Schritt weiter geführt: in den Abgrund.
Die Bevölkerung in Geiselhaft
Aus Syrizas Sicht war es von Anfang an eine Frage der politischen Überzeugungen und der Glaubwürdigkeit – wenn nicht gar Ehre – sich weiteren Schritten in dieselbe Richtung zu verweigern. Ich finde, über all das kann und muss man reden, verhandeln, streiten, wenn es um neue Hilfen geht, die Griechenland mit Sicherheit brauchen wird. So weit, so legitim.
Absolut spinnert allerdings finde ich, dass eine Regierung nicht bereit ist, vertraglich vereinbarte Reformen umzusetzen, wenn sie zwingend Geld braucht. Wenn sie fällige Raten bei Kreditgebern nicht mehr bezahlen kann oder will, aber mehr oder weniger im gleichen Atemzug von den Vertragspartnern neues Geld und den Teil-Erlass alter Schulden verlangt. Für diese Forderungen die schon in weiten Teilen darbende eigenen Bevölkerung sozusagen in Geiselhaft nimmt, um Zugeständnisse der Geldgeber zu erreichen (um nicht zu sagen zu erpressen). Um dann noch einen oben drauf zu setzen, indem sie anschließend zu einem Referendum über eingegangene Reform-Verpflichtungen für ein Hilfspaket aufruft, das seit Dienstagnacht gar nicht mehr auf dem Tisch liegt.
Tsipras' Idee, das Volk beziehungsweise die Wähler ins Boot zu holen und sie bei unpopulären, aber gebotenen Entscheidungen mitreden zu lassen, hätte mir einleuchten können. Das Referendum kommt aber zu spät. Und nicht nur das. Es ist, ganz abgesehen vom Timing, ein vielleicht richtiger Schritt – jedoch mit Sicherheit in die falsche Richtung. Die Tsipras-Regierung wirbt bei der Bevölkerung für ein 'Nein', den Eindruck erweckend, dass die Regierenden mit gestärktem Rücken durch ein solches 'Nein' zu Reformen den wirtschaftlichen Untergang besser bremsen kann. Und dass ein 'Nein' nicht das faktische Herausrutschen aus dem Euro bedeuten muss. Beides ist schlicht falsch. Punkt.
Zermürbende, voltenreiche Verhandlungen - und kein Ergebnis
In den letzten Monaten der zermürbenden, voltenreichen, Verhandlungen haben Athen und die europäischen Partner große Worte bemüht: Solidarität, Zusammenhalt, Glaubwürdigkeit, Ehre gar. Dumm nur, dass sie nicht das Gleiche darunter verstanden haben.
Die Geldgeber empfanden ihre angepassten Reform-Vorschläge als Athen weit entgegenkommenden, ehrenvollen, solidarischen Kompromiss. Die griechische Regierung betrachtete sie dagegen als unangemessene, ehrabschneidende unsolidarische Härte. Als realitätsblindes Pochen auf starre Vertragstreue. Da für beide Seiten auch noch jeweils die Glaubwürdigkeit auf dem Spiel stand, sind wir nun da, wo wir jetzt sind.
Egal wie das Referendum ausgeht – das Gemeine ist, die Griechen werden es auszubaden haben: Entweder stehen sie ohne Regierung da. Zwar wären die internationalen Kreditgebern bei einem 'Ja' geneigter für schnelle neue Verhandlungen. Aber wer sollte sie in dem Fall auf griechischer Seite in der gebotenen Eile führen? Oder sie behalten bei einem 'Nein' zwar ihre Regierung. Die aber hat wenig Aussicht, die bitternötige Finanzhilfe für den Staate Griechenland und seine Banken auszuhandeln, nach allem, was passiert ist.
Und genau da hört mein Verständnis auf. Soweit hätte es die Tsipras-Regierung unter keinen Umständen kommen lassen dürfen. Aber, zugegeben, die anderen Regierungen der Euro-Länder auch nicht.
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