Grenzregion Vorpommern

Deutsch-polnische Befindlichkeiten

Hinweisschild an der B 104 in Pasewalk aufgenommen, ca. 20 km vor der dt.-poln. Grenze
Hinweisschild an der B 104 in Pasewalk aufgenommen, ca. 20 km vor der dt.-poln. Grenze © Deutschlandradio / Silke Hasselmann
Von Silke Hasselmann · 26.01.2016
Nicht zuletzt wegen der gegensätzlichen Positionen in der Flüchtlingspolitik ist der Ton zwischen den Politikern in Berlin und Warschau rauer geworden. Inwieweit dies auch auf den deutsch-polnischen Alltag im Grenzgebiet abfärbt, hat Silke Hasselmann erkundet.
Immer, wenn man das vorpommersche Papendorf Richtung Osten durchquert, bekommt man schlagartig fünf bis sechs polnische Sender ins Autoradio. Auf den folgenden 25 Kilometern bis zur deutsch-polnischen Grenze werden es noch mehr – sehr zur Freude der etwa 2500 Polen, die seit Anfang der 2000er-Jahre auf der deutschen Seite der Grenzregion von Polen und Mecklenburg-Vorpommern leben.
Die günstigen Plattenbauwohnungen lockten viele Polen an
Viele von ihnen haben sich in Löcknitz niedergelassen, das vor allem weniger betuchte Stettiner mit vielen leeren, preiswerten Plattenbauwohnungen lockte. Auch Elzbieta konnte sich keine vergleichbare Wohnung in Stettin leisten, sagt sie, als sie ihren Nachbarn mit einer Suppe besucht.
"Habe gekocht eine wunderschöne Suppe. – Ach, ein Paradies!" Er lacht: "Sie secht ja nu immer, dat is ein Paradies. Ick mein, Paradies is ja nu wat andret, ne."
Herr Michmann weiß, dass Elzbieta die Natur, die herrlichen Gärten, die Ruhe meint und nicht so sehr die Tatsache, dass die Gegend hier finanziell gesehen eher arm ist. Und ein wenig unsicher. Denn da sind die vielen Laubeneinbrüche in der Grenzregion, das organisierte Verschieben von Autos, von Kupfer und neuerdings auch von landwirtschaftlichen Geräten wie Traktoren und Erntemaschinen. Ein altes Polen-Klischee scheint sich zu bestätigen.
"Es gibt ja solche, die sind richtig bald rassistisch"
Doch Herr Michmanns meint:
"Ick sach, man kann die ja nu nich all immer über einen Kamm scheren. Man muss die Leute auch kennenlernen, und zwischen den Deutschen gibt es ja auch solche Halunken, muss man sagen. Dat is doch so. Ick persönlich oder wir hier in der Umgebung haben keine schlechten Erfahrungen gemacht mit den Leuten. Die sind hilfsbereit und nett, einwandfrei."
Doch eines versteht er nicht: Dass eine absolute Mehrheit der Polen voriges Jahr die nationalkonservative Partei "Recht und Gerechtigkeit" gewählt hat. Die regiert nun zum zweiten Mal, stichelt wieder gegen Deutschland und wehrt sich mit sehr drastischen Worten gegen die Aufnahme von Flüchtlingen.
"Es gibt ja solche, die sind richtig bald rassistisch, muss man sagen. Und so wat kann ick ja nu gar nich ab."
Dank der Polen leben die deutschen Dörfer wieder auf
Von Löcknitz bis zur Grenze sind es knapp 12 Autokilometer auf der B 104 – quer durch nahezu unberührte Natur. Auf polnischer Seite geht es auf der D10 weiter Richtung Sczcecin oder Stettin, wie auch die Polen hier sagen. Das Ehepaar Haar könnte die Strecke im Schlaf fahren, so oft waren sie hier schon unterwegs. Wie bei vielen Deutschen aus der Grenzregion ist ihr erster und oft einziger Stopp der "Polenmarkt" gleich hinter dem Grenzübergang.
Hier reihen sich Tankstellen an McDonald´s an Straßenstände, wo es von A wie Autoreifen bis Z wie Zäune alles Mögliche zu kaufen gibt. Die Haars fahren mindestens einmal im Monat hierher. Noch immer sei das alles billiger als im heimischen Pasewalk. Außerdem habe sich diese Gegend, die noch grauer erschien als die DDR, sehr gut entwickelt: Überall neue Häuser, frische Farben, moderne Straßen. Und sonst? Würden sie zwar keine Polen persönlich kennen, fänden es aber gut, dass in letzten sieben bis acht Jahren vor allem gutverdienende Polen die vorpommersche Grenzregion als eine Art Vorort des großen, lauten, teuren Stettin betrachten und übersiedeln.
"Das finde ich eigentlich sehr positiv für unsere Region, weil viele polnische Familien in den Dörfern aufgegebene Grundstücke kaufen und übernehmen und die für ihren eigenen Bedarf ausbauen. Und das bedeutet natürlich, dass die Dörfer faktisch wieder ein bisschen aufleben."
Extrempositionen der deutschen und polnischen Regierung in der Flüchtlingsfrage
Seine Ehefrau stimmt ihm zu. Ihr fällt zu Polen aber noch etwas ein:
"Na, ich bin erstmal von dem Wahlausgang in Polen sehr enttäuscht. Und was die Asylpolitik betrifft, dieses rigorose Nein-Sagen der Polen ist für mich nicht verständlich. Wenn es um Mittel für die Infrastruktur geht, sagen sie ja auch nicht, sie wollen keine Euros oder keine EU-Hilfe haben, ne. Man muss aber auch sagen, dieses Mit-offenen-Armen-Empfangen der Flüchtlinge, was vor allem in Person unserer Bundeskanzlerin stattfindet, ist ebenso zu hinterfragen."
Auch ihr Mann findet, dass Berlin und Warschau extreme Positionen einnehmen, und beide seien nicht gut. Doch es gebe einen erheblichen Unterschied:
"Die polnische Regierung muss ja auch sehen, dass sie die Meinung ihrer polnischen Bevölkerung widerspiegelt. Und wenn die Polen selber meinen, dass das der richtige Weg ist, dann sollen sie ihn gehen."
Die deutsche Flüchtlingspolitik hingegen gehe an der mehrheitlichen Meinung der deutschen Bevölkerung vorbei.
Dauerthema Flüchtlingskrise
Mit "Polskie Radio Szczecin" im Autoradio geht es zurück auf die deutsche Seite nach Ramin, einem kleinen Dorf im Löcknitzer Amtsbereich. Hier - knapp 20 Kilometer vor Stettin – haben sich vor acht Jahren Edward Orlowski und seine Frau Yolanda niedergelassen. Im ständigen Kampf mit deutschen Vorschriften und vor allem mithilfe polnischer Handwerker bauen sie das alte Gutshaus um, wo sie wohnen und das sie auch für Konzerte, Lesungen, Meditationswochenenden öffnen.
Edward Orloswki mit Stettiner Veranstaltern eines Konzertabends im Gutshaus Ramin (Vorpommern).
Edward Orloswki mit Stettiner Veranstaltern eines Konzertabends im Gutshaus Ramin (Vorpommern). © Deutschlandradio / Silke Hasselmann
Beruflich kümmert sich Edward Orlowski um erneuerbare Energien mit Büros auf beiden Seiten der Grenze. Auch dort ist die gegensätzliche Flüchtlingspolitik der beiden Regierungen ein Dauerthema, was den 60-Jährigen in eine seltsame Lage bringt.
"Ich glaube, ich muss mich auf beiden Seiten rechtfertigen. (lacht) Also, wenn ich nach Berlin fahre, da fragen die Leute auch, was ist denn mit euch Polen passiert? Und wenn ich in Polen bin, gibt's Leute, die fragen: 'Ach, was wollt ihr Deutsche uns wieder befehlen, und warum und wieso? Macht eure Suppe selber!' - Klar."
"Habt ihr Angst vor 7000 Flüchtlingen?"
Er streite mit polnischen Kollegen, die es absolut richtig finden, dass sich die polnische Regierung strikt dagegen wehrt, wenigstens jene 7000 Flüchtlinge aufzunehmen, die die EU für Polen vorgesehen hat, um Italien und Griechenland zu entlasten.
"Ich sage immer: aber Moment mal. Man weiß, schon alleine in den 80er-Jahren sind 180.000 Polen jährlich nach Deutschland gekommen. Und das verstehe ich nicht, warum diese 7000 ein Problem sein sollten für ein Land, das 35 Millionen (Einwohner, d.A) hat. Und die ganzen Argumente: Polen wird jetzt islamisiert? Dann bringe ich immer das Argument: 123 Jahre - ohne Staat. Katholische Kirche - immer sehr starke Rolle. Und jetzt habt ihr Angst vor siebentausend Leuten?"
Viele Deutsche finden den polnischen Kurs besser
Und auf deutscher Seite? Hat der derzeit einzige polnische Gemeinderat in Mecklenburg-Vorpommern beobachtet, dass es viel Kritik an Polen gibt, weil es bei den EU-Hilfen die Hand aufhalte, bei den Flüchtlingen aber unsolidarisch sei. Zugleich aber würden viele Deutsche den Kurs in Warschau grundsätzlich besser finden als den der Regierung Merkel.
"Der Unterschied zur deutschen Politik ist vor allem Wortschatz. Die Polen sprechen viele Sachen einfach direkt an, und manchmal sogar sehr brutal. Die deutschen Politiker versuchen es ein bisschen um die Ecke und nochmal und ein bisschen anders. Und ich kann mir schon gut vorstellen, dass den Deutschen diese direkte Art sehr, sehr gut gefällt."
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