Grenzpolitik

Ungarn ohne Flüchtlinge

Ein Flüchtlingskind an der geschlossenen ungarisch-serbischen Grenze.
Ungarn schließt seine Grenze zu Serbien. © picture alliance / dpa / Koca Sulejmanovic
Von Stephan Ozsváth · 17.09.2015
Nachdem Ungarn seine Grenze zu Serbien geschlossen hat, weichen die Flüchtlinge nach Kroatien aus. Nicht nur UN-Generalsekretär Ban Ki Moon verurteilt das Vorgehen, sondern auch ungarische Bürger, die gern helfen wollen.
Es sind etwa 1000 wütender Flüchtlinge, vor allem junge Männer, die den ungarischen Grenz-Zaun bei Röszke am Grenzübergang an der alten Landstraße angreifen. Sie werfen Steine, Betonteile, öffnen gewaltsam ein Tor. Die ungarische Polizei drängt sie mit Tränengas und Wasserwerfern zurück. Kinder werden verletzt – und 20 Polizeibeamte. Ungarns Außenminister Szijártó verurteilt die Krawalle:
"Ich habe meinen serbischen Amtskollegen Ivica Dacic aufgerufen, endlich gegen diese aggressiven Zuwanderer vorzugehen, die von serbischem Territorium aus ungarische Polizisten angreifen. Sagt er. Es ist unvorstellbar und inakzeptabel, dass eine aggressive Zuwanderergruppe so auftritt. Natürlich tritt die Polizei so auf, dass sie Ungarn vor dem Zutritt solch gewalttätiger Menschen schützt."
Am Abend verstärken die Serben ihre Polizeikräfte an der Grenze zu Ungarn. Die ungarische Polizei soll vor weiteren Angriffen geschützt werden, so das Belgrader Innenministerium. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und Hilfsorganisationen verurteilen das ungarische Vorgehen. Es sei nicht hinnehmbar, wie Flüchtlinge behandelt würden, sagt Ban Ki Moon.
Am Abend werden die Flüchtlinge dann mit serbischen Bussen abgeholt und in das angrenzende Flüchtlingslager Kanjiza gebracht.
Auch noch 180 Kilometer entfernt, auf dem Budapester Ostbahnhof, in der Transitzone zwischen Bahngleisen und U-Bahn, machen die Bilder aus Röszke diesem Mann Angst:
"Was da im Süden, an der Grenze passiert, das ist beängstigend, sagt er. Da, wo mit einem Waggon die Grenze geschlossen wurde, schlagen sie mit Eisenstangen darauf und schreien: Lasst uns rein, lasst uns rein!"
Ungarische Helferin: "Dafür schäme ich mich."
Hier – am Ostbahnhof, zeigen Ungarn im Wortsinne Herz – für die vielen freiwilligen Helfer der privaten Initiative "Migration Aid", die vor ihren Büros vergeblich auf Flüchtlinge warten. Mitarbeiterinnen eines Blumenladens bringen ein Herz aus Blumen.
Helferin Amina ist gerade von der serbischen Grenze zurückgekommen. Sie schimpft auf die Regierung:
"Unsere Regierung hat nichts getan. Die Flüchtlinge haben hier wegen der Spenden der Bürger Essen und Trinken bekommen, ehrenamtliche Ärzte haben sie medizinisch versorgt. Nur den Freiwilligen ist zu verdanken, dass keine Katastrophen geschehen sind. Von der Regierung bekamen sie einen Zaun und eine Plakatkampagne. Dafür schäme ich mich. Und das regt mich auf", schimpft die 42-Jährige.
Ein paar Einmann-Zelte stehen noch vor den Räumen der Initiative "Migration Aid". Hier, wo vor Wochen Tausende campierten, sind jetzt keine Flüchtlinge mehr. Márton Kovács hat beobachtet, wie sie abtransportiert wurden:
"Sie wurden in Busse gesetzt und nach Hegyeshalom gebracht, ein paar blieben noch hier, aber die wurden jetzt auch weggebracht."
Auch nach Vámosszabadi wurden Flüchtlinge transportiert, ein offenes Lager bei Györ, erzählt Helferin Amina. Von dort können sie jederzeit weg. Laut Flüchtlingshilfswerk sind derzeit noch etwa 1000 Flüchtlinge in Ungarn – vorher waren es laut Regierung zwischen 4 und 6000 Flüchtlinge gewesen. Das ist ganz im Sinne des Premiers Viktor Orbán, der am Montag vor frisch vereidigten Grenzschützern sagte:
"Innerhalb weniger Monate ist eine Menschenmasse über die serbisch-ungarische Grenze gekommen, so viele wie Szeged Einwohner hat. Ungarn ist ein 1000-jähriges Land mit christlicher Kultur. Wir Ungarn wollen nicht, dass eine weltweite Völkerwanderung unser Land verändert."
Mittlerweile verändern die Flüchtlinge ihre Route: Tausende haben sich in Richtung Bulgarien in Bewegung gesetzt. Und sie weichen nach Kroatien aus.
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