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Griechische Bildungspolitiker im Taunus
Zukunftschancen für Flüchtlingskinder verbessern

Seit der Schließung der Balkanroute bleiben viele Flüchtlinge in Griechenland. Rund 60.000 Flüchtlingskinder müssen dort zur Schule gehen. Eine griechische Delegation hat sich nun im Taunus informiert, wie in Deutschland der Schulunterricht mit Flüchtlingskindern funktioniert.

Von Ludger Fittkau | 31.03.2017
    Eine Lehrerin lehrt Flüchtlingskinder im Klassenzimmer.
    Eine Gruppe von griechischen Abgeordneten hat sich in Deutschland informiert, wie Flüchtlingskinder beschult werden. (Rodothea Seralidou)
    "Herzlich willkommen in der Dikla."
    "Dikla"- das ist die Abkürzung für Deutschintensivklasse. Der gut eingeübte Gruß der Schüler aus Syrien, Afghanistan oder auch osteuropäischen Ländern gilt einer Gruppe von griechischen Abgeordneten und hohen Beamten des Bildungsministeriums in Athen. Sie sind in die Theistal-Schule im Taunusort Niedernhausen bei Wiesbaden gekommen, um sich darüber zu informieren, wie an dieser kooperativen Gesamtschule Flüchtlingskinder beschult werden. In der ersten Klasse, die die griechische Delegation besucht, richten die Flüchtlingskinder gerade gemeinsam ein Puppenhaus ein:
    "Keine Möbel. Kein, Bett, kein Stuhl, kein Tisch, keine Badewanne …"
    Seitdem Griechenland kein reines Transitland für Flüchtlinge mehr ist, müssen auch dort an bisher rund 120 Schulen die Kinder von 60.000 Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem Nahen und Mittleren Osten Unterricht bekommen. Der konservative griechische Parlamentsabgeordnete Christos Kellas hat eine Arztausbildung in Deutschland gemacht und gehört zu der Reisegruppe, die den Unterricht im Taunus kennenlernen will. Anschauen will man sich vor allem, wie in Deutschland der Übergang von der Schule in die Berufsausbildung organisiert wird. Da gibt es jedoch ein besonderes Problem in Griechenland:
    "Weil das große Problem für Griechenland ist, dass wir die Kinder natürlich beschulen können und erziehen können, aber wir haben keine Arbeitsstelle. Ich muss ihnen sagen, dass in Griechenland die Arbeitslosigkeit bei rund 23 Prozent ist und bei jungen Leuten bis 30 Jahre über 50 Prozent ist. Und das ist der große Unterschied zwischen Griechenland und Deutschland."
    Deutschland - der Traumort vieler Flüchtlinge
    Immer noch sei Deutschland der Traumort vieler Flüchtlinge, die nun in Griechenland untergebracht sind. Dennoch bemüht man sich im griechischen Schulsystem, den Flüchtlingskindern auch genügend Griechisch beizubringen, damit sie im Alltag zurechtkommen und auch eine Ausbildungsperspektive in Griechenland haben. Das betont die griechische Delegation am Rande der Unterrichtsbesuche in den verschiedenen Klassen der Theistal-Schule.
    "Dann wollen wir jetzt mal schauen, wie gut ihr eure Vokabeln heute gelernt habt."
    Während die Flüchtlingskinder Vokabeln üben, schaut sich Jerasimos Kousellis aufmerksam die Unterrichtsmaterialien an, die in den Deutschintensivklassen der Theistal-Schule angewendet werden. Ein Würfelspiel etwa, mit dem Präpositionen eingeübt werden:
    "Das Wörterbuch ist zwischen dem Lineal und dem Heft."
    Jerasimos Kousellis ist Präsident des griechischen Instituts für Bildungspolitik, das für das Athener Bildungsministerium Forschung zur Unterrichtsentwicklung betreibt. Der Pädagoge hat 15 Jahre lang in Marburg und Frankfurt am Main wissenschaftlich gearbeitet und weiß, wie wichtig gute Unterrichtsmaterialien etwa für syrische Kinder sind, die womöglich jahrelang nicht in die Schule gegangen sind.
    "Da gibt es vermutlich in Deutschland mehr Erfahrung mit und es ist wichtig, dass wir uns gegenseitig unterstützen, was das betrifft."
    Ähnlicher Bildungsalltag in Deutschland und Griechenland
    Mit Fliegenklatschen versucht eine Gruppe von Flüchtlingskindern im Alter von zwölf oder 13 Jahren, ganz schnell auf Memory-Karten zu hauen, wenn sie ein Symbol erkannt haben. Etwa auf eine stilisierte Schneeflocke. Die Lehrerin ist mit dem Begriff Schnee noch nicht ganz einverstanden:
    "Ist das der Schnee? Nein!"
    Der Athener Bildungsforscher Jerasimos Kousellis hält nach dem Besuch in Niedernhausen die Lernbedingungen in Griechenland und Deutschland grundsätzlich für vergleichbar.
    "Es ist nicht so katastrophal wie sonst im Lande. Weil es tatsächlich EU-Gelder gibt für die Flüchtlingskinder. Es gibt eine Extra-Finanzierung. Und somit ist das möglich."
    Der Bildungsalltag in Deutschland und Griechenland ähnelt sich also wohl mehr, als man denken könnte. Der entscheidende Unterschied zurzeit ist nicht die Schule, sondern die Jugendarbeitslosigkeit. Die ist in Griechenland viel höher als hierzulande und trübt auch die Zukunftschancen für Flüchtlingskinder in Athen oder Saloniki.