Green Bay Packers

Gladiatoren aus der Fleischfabrik

Drei Spieler der Green Bay Packers attackieren den Angriffsspieler der Chicago Bears
Drei Spieler der Green Bay Packers attackieren den Angriffsspieler der Chicago Bears © dpa / picture alliance / Tannen Maury
Von Martin Ganslmeier · 14.09.2015
American Football ist die mit Abstand beliebteste Sportart in den USA. Und in keiner Stadt ist die Faszination dieses uramerikanischen Sports so spürbar wie in Green Bay in Wisconsin. Nicht nur die Finanzierung des Teams ist einzigartig.
Green Bay liegt am Lake Michigan, im äußersten Norden der Vereinigten Staaten. Hier im Bundesstaat Wisconsin wurde 1919 das älteste und traditionsreichste Team in der National Football-League gegründet: die Green Bay Packers.
In der Bucht von Green Bay weht auch im Sommer stets eine frische Brise. Von Chicago aus fährt man vier Stunden mit dem Auto nach Norden, immer am Ufer des Lake Michigan entlang. Hat man das 100.000-Einwohner-Städtchen erreicht, fällt einem sofort der Kontrast auf: herrliche Parks und Naturlandschaften an einem der größten Süßwasser-Seen der Welt. Doch entlang des Fox River, der bei Green Bay in den Michigan-See fließt, reiht sich Fabrik an Fabrik: vor allem die Holz- und Papierindustrie und das fleischverarbeitende Gewerbe haben Green Bay zu einer Arbeiterstadt gemacht. Rund 1000 Beschäftigte arbeiten in einer der größten Toilettenpapier-Fabriken Amerikas.
Mehrmals am Tag verlassen große Transportschiffe den Fox River in Richtung Michigan-See. Von hier aus werden abgepacktes Rindfleisch und eben Klopapier aus dem Mittleren Westen in den Osten der Vereinigten Staaten verschifft.
Vermutlich war es der Wunsch nach mehr Abwechslung vom harten Arbeitsalltag für die überwiegend deutschen, skandinavischen und irischen Einwanderer, der 1919 zwei Männer bewog, einen Football-Verein zu gründen. Einer von ihnen war Curly Lambeau, der schon an der Highschool einer der besten Football-Spieler war. Als Sponsor hatte Curly Lambeau seinen Arbeitgeber gewonnen: die Indian Meatpacking Company, das führende Fleischverpackungs-Unternehmen. So kam es zum Vereinsnamen Green Bay Packers.
Anfangs gab es kaum Regeln
In der Innenstadt von Green Bay gibt es heute eine Art Lehrpfad zur Geschichte der Packers. Es ist eine der touristischen Attraktionen. Der Sport entstand ab 1870 an den Elite-Universitäten der Ostküste - als eine Mischung aus den beiden europäischen Vorbildern Fußball und Rugby. Anfangs gab es kaum Regeln und es ging hart zur Sache.
Nachdem 1905 während der College-Saison 18 Spieler ums Leben kamen, verlangte der damalige US-Präsident Teddy Roosevelt strengere Regeln. Seit 1912 entsprechen sie im Wesentlichen den heutigen. 1920 wurde die National Football League gegründet, die erste Profi-Liga. Schon zwei Jahre später traten die Green Bay Packers der NFL bei.
Im Bahnhofs-Restaurant von Green Bay versammelten sich Curly Lambeau und seine Mitspieler vor Auswärtsspielen. Bevor der Zug nach Chicago, Milwaukee oder Minneapolis abfuhr, wünschten die Fans ihnen alles Gute. Obwohl der Bahnhof 1976 still gelegt wurde, seien die glorreichen Anfangsjahre lebendig geblieben, sagt Michael Oldenburg, der Manager der Brauerei-Gaststätte "Titletown Brewery" im alten Bahnhof. Der Name "Meister-Stadt-Brauerei" ist Programm:
"Über der Bar hängen Wimpel für sämtliche unserer Meisterschaftsjahre. Von hier, dem alten Bahnhofsgebäude, gingen die Spieler zum Gleis, um nach Chicago zu fahren. Ziemlich cool!"
Überall in der "Titletown Brewery" hängen alte Fotos der Packers.
Die Green Bay Packers sind nicht nur der älteste Verein in der NFL, sondern auch Rekordmeister - und das als Kleinstadt, betont Michael Oldenburg stolz, also wie eine Mischung aus Borussia Mönchengladbach und Bayern München. Und noch etwas mache die Packers zur Ausnahmeerscheinung im gesamten US-Profisport. Ein Verkauf des Teams in eine andere Stadt - wie in den USA oft geschehen - sei bei den Packers ausgeschlossen:
"Unmöglich! Sie gehören den Bürgern. Das ist klipp und klar. Die Packers werden immer in Green Bay bleiben. Etwas anderes ist nicht möglich."
Gemeinschaftseigentum von über 360.000 Anteilseignern
Die Packers sind das einzige Profi-Team in den USA, das nicht einem Millionär gehört, sondern den Bürgern von Green Bay und Wisconsin. Mehrere Male in den vergangenen Jahrzehnten konnten die Fans Aktien an den Packers erwerben. Heute sind die Packers das Gemeinschaftseigentum von über 360.000 Anteilseignern - ein im kapitalistischen Amerika seltenes Beispiel eines erfolgreichen Genossenschaftsmodells.
Zu den Mit-Eigentümern des Profi-Vereins gehören Tim und Janay Mierstein und ihre drei kleinen Kinder. Sie haben vor vier Jahren für 1000 Dollar vier Packers-Aktien erworben. Damals brauchte der Verein Geld für den Stadion-Ausbau. Heute sind die Miersteins mehrere Stunden mit dem Auto gefahren, um an einer Stadion-Führung durch das Lambeau Field teilzunehmen.
Tim und Janay Mierstein wollen vor allem die neuen Tribünen sehen, die mit ihrem Geld gebaut worden sind. Nun passen mehr als 80.000 Zuschauer ins Lambeau Field, obwohl das Stadion immer noch die ursprüngliche Gestalt einer Schüssel aus den 50er-Jahren hat.
"Eine Aktie ist wie eine Spende. 250 Dollar pro Aktie. Wir haben jeweils eine für unsere drei Kinder gekauft. Meine Frau und ich teilen uns eine. So lange sie damit nicht abhaut, bin ich glücklich..."
Weil sich so viele Bürger aus Wisconsin mit Aktien beteiligt haben, mussten sich die Packers nicht einmal Geld bei den Banken leihen. Anstelle der erhofften 30 Millionen Dollar kam bei der Aktienausgabe vor vier Jahren mehr als das Doppelte zusammen. Und was bekommen die Fans im Gegenzug? Tim Mierstein zuckt mit den Achseln: "eine nette Urkunde an der Wand":
"Es gibt weder einen Ertrag noch eine Dividende. Ich kann die Aktie nicht verkaufen und sie wird im Wert nicht steigen. Es ist wirklich nur eine Spende."
Allerdings stehen Tim und Janay seither auf der Warteliste für eine Jahres-Karte für die Packers-Heimspiele. Doch mit ihnen warten auf der Liste weitere 116.000 Fans.
Seit 1960 ununterbrochen ausverkauft
Zwischen 80 und 120 Dollar kostet ein Jahres-Abo - pro Spiel versteht sich. Dennoch sind die Heimspiele der Green Bay Packers regelmäßig ausverkauft. Und das ununterbrochen seit 1960!
In den Besitz einer Jahreskarte zu gelangen, ist wie ein Lottogewinn. Einer der wenigen Glücklichen ist Ron Shebuski. Er ist mit seiner Frau Marisa aus Michigan zum öffentlichen Trainingscamp der Packers gekommen. Im Juni beginnt die intensive Vorbereitung auf den Saisonstart Anfang September. Ron hat die Jahreskarte von seiner Mutter geerbt. Obwohl er seit vielen Jahren drei Stunden mit dem Auto entfernt in Michigan lebt, käme er gar nicht auf die Idee, die Jahreskarte zu verkaufen:
"Die behält man und vererbt sie sogar an seine Kinder. Das kommt ins Testament. Und das erste, worüber bei Scheidungen gestritten wird, ist die Jahres-Karte der Packers."
Zum öffentlichen Training der Packers sind mehr als 500 Zuschauer gekommen. Jeff Hubbard ist zwei ganze Tag lang mit dem Auto aus South Carolina gefahren. Um die Green Bay Packers zu sehen, sei keine Entfernung zu weit, sagt er:
Vor einem Spiel der Packers kommen die Fans schon um acht Uhr morgens zum Stadion. Auch im Winter bei minus 20 Grad, selbst wenn das Spiel erst am Nachmittag angepfiffen wird. Weil American Football den ganzen Winter durch gespielt wird, gehört die Kälte einfach dazu. Vor allem in Green Bay, wo es im Winter eisig kalt wird. Lambeau Field ist bei allen anderen Football-Teams gefürchtet: als "frozen tundra" - gefrorene Tundra.
Härte, Kälte und trotz widriger Umstände niemals aufgeben - auch das macht die Faszination des American Football aus. Die meisten Profis spielen auch im Winter mit nackten Oberarmen. In den vergangenen 60 Jahren wurde nur ein Spiel der NFL wegen eines schweren Schneesturms abgesagt.
Auch beim Training der Packers schonen sich die Spieler nicht. Ohne diese Aggressivität und die harten Bodychecks wäre American Football nicht so beliebt, ist Winston Dutchin überzeugt. Er ist zum Training der Packers aus seiner Wahl-Heimat Seattle eingeflogen, wo er seit 16 Jahren arbeitet.
"Das ist so amerikanisch. Nur 16 Spiele, um Dich zu beweisen. Die brutalen Körperkontakte. Das Gemeinschaftsgefühl, wenn alle gemeinsam jubeln. Das bringt alle zusammen."
"Ich will nicht, dass meine Kinder Football spielen"
Winston hat seine beiden Söhne aus Seattle mitgebracht. Weil er als Packers-Fan aufgewachsen ist, will er, dass sich auch seine Söhne für Grün-Gold begeistern und nicht etwa für die grün-blauen Seattle Seahawks. Ob seine Söhne auch einmal Football spielen werden? Winston ist nachdenklich:
"Ich bin mir nicht so sicher. Ich werde sie nicht dazu drängen. Ich weiß, das ist heuchlerisch von mir, weil ich einerseits ein solch großer Football-Fan bin, aber andererseits nicht will, dass meine Kinder Football spielen. Ich habe da doch Sicherheitsbedenken. Aber wenn sie es wirklich wollen, würde ich sie nicht abhalten."
So wie Winston Dutchin verhalten sich viele Eltern. Weshalb American Football zwar immer noch mit Abstand der beliebteste Sport in den USA ist. Aber bei Kindern und Jugendlichen gehen die Anmeldezahlen seit Jahren zurück. Davon profitiert nicht etwa Baseball, Amerikas älteste Traditionssportart, sondern Soccer, der europäische Fußball, der vielen Amerikanern lange Zeit als Sportart für Weicheier galt.
Das öffentliche Training der Packers ist zu Ende. Während die Profis unter der Dusche stehen, warten die Journalisten im großen Umkleideraum der Packers. Er ist nicht rechteckig, sondern oval-förmig wie ein Football. Nur mit einem Handtuch bedeckt, erinnern die Football-Profis erst recht an antike Gladiatoren. Einige von ihnen sind fast zwei Meter groß, alle sind muskelbepackt.
Tim Masthay gehört nicht zu den Super-Stars, obwohl er Stammspieler bei den Packers ist und einen Fünf-Jahresvertrag über sechs Millionen Dollar hat. Dabei wollte Tim bis zu seinem 16. Lebensjahr eigentlich Baseball- oder Soccer-Profi werden. Dann entdeckte ihn der Football-Trainer seiner Highschool als Punter. Das sind jene Spieler, die das Leder-Ei wie ein Fußball-Torwart möglichst weit und zielgenau ins gegenerische Feld kicken müssen. Am besten dorthin, wo ihn keiner auffangen kann. Tim Masthay gehört heute zu den erfolgreichsten Puntern der NFL.
"Es gibt beim Football sehr unterschiedliche Positionen mit speziellen Anforderungen. Ganz anders als beim Fußball, Baseball, Basketball oder Hockey. Es gibt sogar einen Unterschied zwischen dem Kicker für die Feld-Tore und mir, dem Punter. Und die anderen 51 Spieler berühren das Ei gar nicht mit dem Fuß. Wir dagegen lassen die Hände weg. Wieder andere werfen nie, sondern attackieren nur den Gegner."
"Es entspricht unserem zähen, unabhängigen Geist"
Wegen dieser ausgeprägten Spezialisierung wird American Football oft auch "Rasen-Schach" genannt. Was für Laien aussieht wie chaotische Rangeleien um den Ball, sind strategisch ausgeklügelte Spielzüge, um Yard für Yard Raum zu erobern. Der Quarterback gibt als Spielmacher den jeweiligen Angriffsplan vor. Wie ein guter General muss er den Überblick behalten. Dabei helfen ihm Offensivkräfte und ein Defensiv-Team. Ziel ist es letztlich, mit dem Leder-Ei in die gegnerische Endzone vorzudringen. Auch wenn Tim Masthay als Punter selten Opfer harter Bodychecks wird - für ihn ist es das Martialische, das American Football so attraktiv macht:
"Die Leute mögen die Härte, die Schnelligkeit, das Toughe. Auch das Rauhe und den Körpereinsatz finden Amerikaner sehr attraktiv. Es entspricht unserem zähen, unabhängigen Geist."
Soccer, der europäische Fußball, habe auf absehbare Zeit keine Chance gegen American Football, meint Tim. Zwar gelte Soccer zurecht als "the beautiful game" - "das schöne Spiel" - und es werde immer beliebter in den USA. Aber:
"Was verhindert, das Soccer noch populärer wird, ist dieses Sich-Hinfallen-Lassen. Selbst wenn einer wirklich gefoult wurde: dann rollt er melodramatisch auf dem Boden herum, damit es noch eine gelbe Karte gibt oder das Foul auch ja gepfiffen wird."
Allerdings haben die harten Bodychecks Folgen für die Gesundheit der Spieler. Immer wieder sorgen Klagen ehemaliger Football-Profis vor Gericht für Negativschlagzeilen. Sie leiden unter Parkinson und Demenz als Folge der vielen Gehirnerschütterungen während ihrer Profi-Karriere. Die Verantwortlichen nehmen das Problem mittlerweile sehr ernst, sagt Packers-Profi Tim Masthay:
"Und zwar sowohl in der NFL als auch im Jugendbereich - durch Regel-Änderungen und bessere Ausrüstung. Ich hoffe, dass dieses Problem unseren Sport künftig nicht negativ beeinflusst."
Jetzt zu Beginn der neuen Football-Saison verschwindet das Thema ohnehin wieder aus den Schlagzeilen. Vorfreude und Begeisterung der Fans überwiegen und bestimmen die Berichte in den Medien. In den kommenden Monaten dreht sich alles darum, wer es diesmal schafft, das Finale am 7. Februar zu erreichen. Zumal es dann der 50. Superbowl ist - ein Jubiläums-Finale, das erneut alle bisherigen Rekorde übertreffen wird.
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