Grausame Christen

Empathie für die Menschen, die im Namen Gottes gequält wurden

Besprochen von Adolf Stock · 14.12.2013
Karlheinz Deschners Lebensaufgabe ist es, der Welt zu zeigen, wie mörderisch das Christentum in den 20 Jahrhunderten seiner Existenz war. Nun ist der zehnte und letzte Teil seiner "Kriminalgeschichte des Christentums" erschienen.
1986 ist der erste Band von Karlheinz Deschners "Kriminalgeschichte des Christentums" erschienen. Ein gutes Vierteljahrhundert später liegt nun der zehnte und letzte Band vor. Ein Lebenswerk. Auf rund 5000 Seiten beschreibt der streitbare Historiker eine oft menschenverachtende Machtpolitik, die sich auf Christus beruft. Für Karlheinz Deschner ist es die Chronik einer skrupellosen Verbrecherbande.
"Wo sonst noch gibt es diese atemverschlagende Mischung von Wolfsgeheul und Friedensschalmei, Weihnachtsbotschaft und Scheiterhaufen, von Heiligenlegende und Henkersgeschichte! Wo sonst dieses allumfassende Liebespalaver und den praktisch alles verschlingenden Haß! Wo sonst eine Religion, die aus Liebe tötet, aus Liebe foltert, aus Liebe raubt, erpreßt, entehrt, verteufelt und verdammt!"
Angeblich gottgefällige Christen sind Heuchler
Mord und Totschlag durchziehen die Geschichte der Kirchen in vielen Jahrhunderten. Ein Unding, wenn man an die Bergpredigt denkt, doch Karlheinz Deschner macht sich keine Illusionen. Für ihn steht fest, dass es sich bei den angeblich gottgefälligen Christen um Heuchler handelt, die mit seelenguten Worten ihr gottloses Geschäft betreiben. Mit theologischen Fragen hält sich Deschner gar nicht erst auf, ihm reichen die historischen Fakten, und sein Herz gehört den vielen Opfern und Verlierern, die das scheinfromme Christentum im Zeitlauf der Geschichte auf der Erde hinterlassen hat.
Der zehnte und letzte Band von Deschners "Kriminalgeschichte des Christentums" beschreibt das 18. Jahrhundert. Nordosteuropa – also Skandinavien und Russland – ein halber Kontinent blutet im Namen Gottes. Die vielen Gräueltaten, die Karlheinz Deschner detailverliebt auflistet und beschreibt, sind nichts für schwache Nerven.
Die Zeit der Aufklärung wird zum Thema. Prinz Eugen von Savoyen, den die Nachwelt verharmlosend "den Edlen" nennt, ist ein düsteres Kapitel gewidmet. Ausführlich beschreibt Deschner einen eitlen und kriegslüsternen Soldatenführer, der die Türken bezwang und im Wiener Stephansdom unter einer Marmorplatte begraben liegt. Nach seinem Tod wurde der Prinz zum Vorbild und Hüter christlicher Werte. Hier liegt für Deschner der eigentliche Skandal, auch wenn er zu dieser fatalen Rezeptionsgeschichte nichts Genaueres mehr sagt.
Machtkämpfe innerhalb der Kirche
Im Kapitel sieben geht es – wie an vielen anderen Stellen – um Machtkämpfe innerhalb der Kirche. Damals wurden die Jesuiten in Südwest-Europa gnadenlos bekämpft. Sie beförderten das Bildungswesen und versorgten das einfache Volkes "mit dem primitivsten religiösen Kitsch", vermerkt Deschner kritisch.
Das kann man auch freundlicher sehen: Als Speerspitze der Gegenreformation propagierten die Jesuiten die Herz-Jesu-Verehrung und brachten Weihnachtskrippen in die Wohnstuben und Gotteshäuser, um den volksnahen Protestanten mit ihren frommen und populären Liedern etwas Sinnliches entgegensetzen zu können.
Anderen Mönchsgemeinschaften passte die ganze Richtung nicht. Sie sahen in den Jesuiten nur Pharisäer und Heuchler, die bekämpft und vernichtet werden mussten. Die europäischen Herrscher machten sich den innerreligiösen Zwist zu Nutze, um ihre eigenen Machtansprüche durchzusetzen. Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts geriet der gelehrte und jesuitenfreundliche Papst Klemens XIV. mitten in die Streitigkeiten. Schließlich gab er dem Druck der Bourbonen nach und verordnete 1773 die Aufhebung des Ordens. Danach wurde vermutet, er sei von den Jesuiten vergiftet worden. Solche Geschichten, schreibt Deschner, waren weiß Gott kein Einzelfall.
"Aufsässige und in Mißkredit geratene Gemeinschaften der Catholica, zumal unter den Orden, hatte es immer wieder gegeben: die Templer, zum Beispiel, oder die Regularkanoniker von S. Giorgio in Alga zu Venedig, die Hieronymiten von Fiesole, die Jesuaten, die mit den Jesuiten nichts als die Namensähnlichkeit verband, die Jesuitinnen, von Urban VIII. anno 1631 aufgehoben."
In weiteren Kapiteln werden der Siebenjährige Krieg, das orthodoxe Christentum sowie der zeitweilige Machtverlust des Papsttums zum Thema. Ein letztes Kapitel beschreibt die Armut im absolutistischen Zeitalter. Im 17. Jahrhundert wächst die Armut unaufhörlich, auch weil die Menschen durch Kriege entwurzelt sind. Deschner zitiert unendlich viele Quellen, um das Elend anschaulich zu belegen.
Während die einen hungern, schwelgen Bischöfe in Luxus
"Und wie auf der einen Seite die Armut zunimmt, so auf der anderen die Sucht, die Armen auszuschalten, unschädlich zu machen, schwillt die Härte des Bürgers, ja steigert sich 'ins Ungemessene', notiert Fernand Braudel in seiner Sozialgeschichte des 15. – 18. Jahrhunderts und zitiert seinerseits: 'Im 16. Jahrhundert pflegt und speist man den Bettler, bevor man ihn fortschickt. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts schert man ihn kahl. Später peitscht man ihn aus; und gegen Ende des Jahrhunderts greift die Repression zum letzten Mittel und macht ihn zum Zuchthäusler'."
In Europa herrschen Elend und Hunger. Ganze Heerscharen von Habenichtsen bevölkern die Landstraßen und Städte. Vor allem die ungebildeten Schichten leiden. Zur gleichen Zeit schwelgten Bischöfe in "Luxus und Lüsten". Schon 1587 hatte Papst Sixtus V. gegen die Bettler gewettert, ihr Rufen und Jammern störe die Gläubigen in den Kirchen.
Welchen Anteil die Kirchen an dieser Not hatten, wird nicht schlüssig belegt. Fakt ist wohl aber, dass die Kirche damals nicht viel gegen das Elend unternommen hat. Karlheinz Deschner notiert, die Wut über solche Not habe ihn veranlasst, die "Kriminalgeschichte des Christentums" zu schreiben. Ganz zum Schluss seines zehnbändigen Werks zitiert er sich noch einmal selbst aus seinem Buch "Opus Diaboli", das 1987 erstmals erschien.
"Ja, es muß ein eigentümliches Vergnügen sein, von Jahrhundert zu Jahrhundert im Blut der Menschheit zu schwimmen und Halleluja zu rufen! Es muß ein eigentümliches Vergnügen sein, fast zwei Jahrtausende hindurch zu lügen, zu fälschen und zu täuschen."
Aus dem Christentum wurde der Antichrist. Das ist die Botschaft Deschners. Seine Argumentation ist nicht in jedem Fall stringent und lässt auch manche Frage offen. Doch wie immer man es dreht und wendet, die "Kriminalgeschichte des Christentums" bleibt das notwendige Korrektiv einer halbherzigen Religionsgeschichte, die reale Fakten viel zu oft verklärt oder einfach ignoriert.
Auf über 5000 Seiten widmet sich Deschner, der am Ende seines Lebens steht, mit Empathie und Polemik all jenen Menschen, die seit 2000 Jahren im Namen Gottes unterdrückt, gequält und gemordet worden sind. Die Kirchen sind gut beraten, das sperrige Lebenswerk Deschners ernst zu nehmen. Sie haben viel aufzuarbeiten. Denn die zehn gewichtigen Bücher Karlheinz Deschners sind randvoll mit unseligen Tatsachen, die keinen Leser unberührt lassen können.
Karlheinz Deschner: Kriminalgeschichte des Christentums. Zehnter Band. 18. Jahrhundert und Ausblick auf die Folgezeit
Reinbek bei Hamburg, Rowohlt Verlag 2013
320 Seiten, 22,95 Euro
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