"Grauenhafte Figuren"

Wolfgang Nowak im Gespräch mit Gabi Wuttke · 21.07.2011
Die griechische Schuldenkrise hat nicht nur die Währungsunion ins Wanken gebracht, sie gefährdet das Konzept eines vereinten Europas. Die Politik, so sagt Wolfgang Nowak, habe in Bezug auf Europa alles falsch gemacht - vor allem habe sie die falschen Leute nach Brüssel geschickt.
Gabi Wuttke: Es geht um die Wurst beim heutigen europäischen Krisentreffen. Wie ist Griechenland aus dem Sumpf zu ziehen? Wird der Kraftakt sich auf mehrere Schultern verteilen lassen? Wird Europa das alles überhaupt aushalten? Um 7 Uhr 50 begrüße ich im Deutschlandradio Kultur Wolfgang Nowak. Er arbeitete unter Gerhard Schröder im Kanzleramt, wollte dann nicht mehr SPD-Mitglied sein und ist inzwischen Geschäftsführer der Alfred Herrhausen Gesellschaft, dem internationalen Forum der Deutschen Bank. Guten Morgen, Herr Nowak!

Wolfgang Nowak: Guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Warum haben Sie griechische Staatsanleihen gekauft?

Nowak: Ich habe griechische Staatsanleihen gekauft, weil ich glaube, dass wir in Deutschland nach dem Krieg zu einem erfolgreichen Land gekommen sind, weil wir so etwas wie einen Lastenausgleich eingeführt haben, einen Lastenausgleich zwischen armen und reichen Ländern. Das ist eines der großen Erfolgsrezepte Deutschlands, und ich hatte gedacht, wir sollten dieses Erfolgsrezept auch auf Europa anwenden.

Wuttke: Der Wirtschaftswissenschaftler Stephan Homburg argumentiert anders, er rechnet mit einem 25-prozentigen Gewinn für seine Staatsanleihen, weil die Politik auch einen Totalausfall wie Mary Poppins aus der Tasche begleichen würde. Sind, Herr Nowak, Krisentrittbrettfahrer Europas größter Schaden?

Nowak: Ich glaube nicht, dass die Krisentrittbrettfahrer Europas größter Schaden sind. Der größte Schaden Europas sind Länder, die Schulden machen und das Solidaritätsgebot, von dem ich gesprochen habe, nicht auf sich anwenden. Wenn Griechenland – und in Deutschland kann ich sagen Nordrhein-Westfalen oder Berlin und Bremen – hemmungslos Schulden machen, weil sie wissen, dass Baden-Württemberg und Bayern dafür eintreten müssen, dann sind die Krisenverursacher diejenigen, die die Schulden machen und sich dann in die Hände von Krisengewinnlern, von Ratingagenturen, von Finanzdienstleistern begeben und im Grunde genommen ihre Demokratie an den Nägel hängen, weil sie sie gar nicht mehr ausüben können unter dem Zwang der Schulden, die sie gemacht haben.

Wuttke: Also ist Europa nur ein schöner, aber teurer Gedanke?

Nowak: Es ist zwei Europa: Es ist dieses Brüsseler Europa und dieses jetzt Griechenland-Europa, und es ist ein Europa, das wir gar nicht mehr wahrnehmen, weil es so selbstverständlich ist, dass wir überall hinreisen können, dass wir überall studieren können, dass es keine Grenzkontrollen gibt, dass wir keine Feinde mehr in Europa haben. Also meine Familie hat im Ersten Weltkrieg noch fast alle Mitglieder im Krieg verloren, und das ist völlig undenkbar geworden heute. Ich glaube, dass wir dieses selbstverständliche Europa für zu selbstverständlich halten.

Wuttke: Also das heißt, Sie teilen die Meinung von Fritz Stern, dass es jetzt eine erste Pflicht der Politik ist, der Bevölkerung zu sagen, dass Europa schon aus nationalem Interesse erhalten bleiben muss?

Nowak: Ja, das tun sie ja alle. Die Franzosen sind auch für Europa, weil dann ihre Landwirtschaft gesichert werden kann. Ich glaube, die Politik hat vollkommen versagt. Sie hat versagt, indem sie es versäumt hat, Europa ein Gesicht zu geben, wie es zum Beispiel Blair gewesen wäre als Präsident. Es sind namenlose Leute, die man nach Brüssel entsorgt – denken Sie an die schrecklichen Kommissare, das dürfen Sie als öffentlich-rechtlicher Rundfunk jetzt nicht bestätigen, den Verheugen oder den Bangemann, das sind ja grauenhafte Figuren …

Wuttke: Ich hab auch gar nichts gesagt.

Nowak: … die wir hingeschickt haben und die dann sozusagen im Grunde genommen eine Beleidigung für alle Leute waren, die das für Europa halten. Oder die Koch-Mehrin, das sind die Abgeordneten, die man kennt. Daniel Cohn-Bendit ist immer ganz niedlich in Talkshows, aber das ist auch alles dann. Wir schicken die schlechtesten Leute ins Parlament, und wir entsorgen unsere Politiker nach Brüssel. Wie sollen die Leute – wo soll das Gesicht Europas herkommen? Und das Gesicht Europas, ich glaube, das wollen wir uns längst außerhalb der Politik, indem wir die neuen Schnellzüge benutzen und nach Straßburg fahren, nach Frankreich fahren, nach England fahren, indem wir nach Polen nach Warschau fahren, überall hinfahren, das ist das Gesicht Europas, diese Menschen, die wie selbstverständlich reisen, aber nicht die Figuren, die wir leider nach Brüssel entsorgen.

Wuttke: Also wandele ich jetzt mal das Wort von Fritz Stern um und sage, die Politik muss der Bevölkerung zeigen, dass Europa erhalten werden muss?

Nowak: Ich glaube, die Bevölkerung muss der Politik endlich sagen, dass sie an der Willensbildung der Politik mitwirkt. Denn, wenn sie das nicht tut, dann werden eines Tages die ganzen rechtsradikalen Parteien kommen, die in anderen Ländern schon sehr erfolgreich sein – in Holland oder wo immer auch –, die mit einer Anti-Europa-Politik eine völlig absurde Politik betreiben. Frau Merkel ist ja geradezu glücklich, dass sie die SPD und die Grünen, wenn sie nicht gerade von Energie sprechen, haben, die eigentlich alle pro Europäer sind. Insofern ist Deutschland ein Land, das Europa schon viel geben kann. Vielleicht liegt es an unserer Europa-Romantik, weil wir Deutschen immer denken – und auch gehofft haben –, dass wir unsere Vergangenheit dadurch entsorgen können, dass wir gute Europäer werden.

Wuttke: Inwiefern haben wir eine Europa-Romantik?

Nowak: Wir waren immer diejenigen, die gesagt haben, in den vereinigten Staaten von Europa, in Europa aufgehen – hören Sie sich die ganzen Reden von Fischer an, alle Sonntagsreden, die gehalten werden. Die größten Europäer sind die Deutschen und haben dafür bezahlt, dass die anderen ihnen ihre Illusionen abnahmen. Ich glaube, wir müssen ein realistisches Bild von Europa geben …

Wuttke: Also das heißt, die Kanzlerin hat ein realistisches Bild, denn sie wird ja von Helmut Kohl dafür kritisiert, dass sie sein Europa kaputt machen würde.

Nowak: Ich glaube, dass Helmut Kohl – man mag ihm viele Verdienste zurechnen, aber diese wirklich sorglose und gedankenlose Einführung des Euro, die muss Frau Merkel jetzt ausbaden. Wir waren noch gar nicht reif für den Euro. Ich glaube, dass wir ein realistisches Bild von Europa haben, und das heißt Solidarität, aber Solidarität auf beiden, Schuldenmachen aufhören, aber auch dieses Europa, von dem ich sprach und in dem ich wahnsinnig gern lebe, mit dem ich mich vertraut fühle, dass dieses grenzenlose Europa, das einfach so was Wunderschönes ist, dieses Europa zu pflegen und deutlich zu machen.

Wuttke: Woran jetzt überhaupt noch nicht möglicherweise sogar gedacht, auf jeden Fall nicht erinnert wird, ist, dass 2014 die nächsten Europawahlen anstehen.

Nowak: Da graut einem schon vor…

Wuttke: Genau, Sie haben ja gesagt, jetzt ist mal die Bevölkerung dran. Glauben Sie denn, dass 2014 nach all den Krisen, und wir wissen ja noch gar nicht, was weiter auf uns zukommt, diese Wahl zu einer gesamteuropäischen Wutbürgerwahl werden kann?

Nowak: Es kann auch ein Deutschland eine Wutbürgerwahl werden – das ist schade, wenn wir Bürger uns einfach nur darauf beschränken, unsere Wut mit einem Strich zu machen. Ich glaube, wir brauchen eine neue Bürgerbewegung für Europa, nicht diese vielen finanzierten Vereine, die von Herrn Soros oder von der Europäischen Union finanziert worden sind, sondern wir müssen uns dagegen wehren als Bürger, dass unser Europa in den Brüsseler Amtsstuben in einem furchtbaren Geschacher verkommt. Das gilt auch für die Griechen. Wir profitieren alle davon. Und bei den Wahlen, da muss ich ehrlich sagen, graut mir auch, wenn ich denke, welche Abgeordneten jetzt alle pensionsreif sind oder nicht mehr geduldet werden und deswegen Europaabgeordnete werden müssen. Hier haben die Parteien eine große Mitschuld und auch an dem Niedergang der europäischen Demokratie.

Wuttke: Europa. Dazu im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur Wolfgang Nowak, der Geschäftsführer der Alfred Herrhausen Gesellschaft. Herr Nowak, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch und wünsche einen schönen Tag!

Nowak: Ich Ihnen auch, danke!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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