Gratulationscour

Weihnachtsgeschenk für Juristen

Besprochen von von Michael Rutz · 24.11.2013
Ihr Ziel haben die Herausgeber dieser Festschrift erreicht: die Grundprinzipien und -strukturen unserer Rechtsordnung deutlich zu machen. Ein besonderes Augenmerk gilt der Finanzverfassung und dem Steuerrecht, in dem Paul Kirchhof am nachhaltigsten gewirkt hat.
Wenn ein Jurist vom erlesenen Range Paul Kirchhofs seinen 70. Geburtstag begeht, dann treten zur Gratulationscour alle Koryphäen des Faches an.
Er hat Wissenschaft und – als Verfassungsrichter – auch die Rechtsprechung geprägt, hat zu Zeiten aus seinen festen rechtsphilosophischen Überzeugungen heraus auch politisch agiert, und noch heute lehrt er die Menschen in überfüllten Vortragssälen, ihre Freiheit zu gebrauchen und den tendenziell ausgreifenden Staat in die Schranken zu weisen.
Paul Kirchhof ist ein großer, gedankenscharfer Apologet der Freiheit, dem Schrift und Wort gleichermaßen machtvoll zu Gebote stehen.
Als Freunde und Kollegen sich im Sommer zu einem zweitägigen Geburtstagssymposium in Heidelberg versammelten, hatten sie auch ein brillant gelungenes Geschenk mitgebracht: Zweibändig, auf mehr als 2000 Seiten, breiten etwa 200 deutsche Rechtswissenschaftler die Grundlegungen unseres Rechts aus, denn, so hatte es Paul Kirchhof selbst einmal formuliert,
"Verfassungsstaatlichkeit benennt eine immerwährende Erneuerungsaufgabe, die nur bewältigen wird, wer auf verlässliche und beständige Grundsätze des Rechts bauen kann."
Also wollten die Herausgeber …
diese "in der Geschichte wurzelnden und in die Zukunft weisenden Grundprinzipien und -strukturen unserer Rechtsordnung verdeutlichen."
Und deshalb geht es ihnen um nicht weniger …
als um die wesentlichen "Leitgedanken zu Staat und Verfassung, zu Recht, Frieden, Freiheit und Demokratie, zu Regierung und Verwaltung, zum Rechtsschutz wie zur Staatengemeinschaft, zur Wirtschaft ebenso wie zur Strafgewalt, zu Religion und Kirchen, nicht zuletzt zu Finanzen und Besteuerung."
Damit ist auch der Kreis derer angesprochen, für die das Werk eine Quelle ihrer Selbstvergewisserung und, im Falle der Instanzen von Legislative und Exekutive, ihrer Selbstbeschränkung sein kann. Es betrifft eigentlich alle und jeden.
Grundlegende Lektüre für Jura-Studenten
Zugleich auch macht die Lektüre einzelner Kapitel betroffen, weil sich zeigt, wie schnell die Grundsätze des Rechts von denen, die an einer Begrenzung ihrer Macht kein Interesse haben, übergangen werden können. Und für jene, die unsere Gesellschaft in die Zukunft denken wollen, bietet es unerschöpflich Anhaltspunkte für rechtssystematisches und damit für ein vor dem Recht respektvolles Vorgehen.
Angemerkt sei auch: Es gibt auf dem Markt kein besseres Werk, mit dem man sich als Jura-Student über die Grundlegungen seines Faches klar werden könnte. Nichts ist ja ausgelassen: Weder das deutsche öffentliche Recht noch das Europarecht, das Bürgerliche Recht nicht und auch nicht das Strafrecht oder das Wirtschaftsrecht. Natürlich gilt ein besonderes Augenmerk der Finanzverfassung und dem Steuerrecht, in dem Paul Kirchhof ja am nachhaltigsten gewirkt hat.
Cover: Hanno Kube u.a. "Leitgedanken des Rechts. Paul Kirchhof zum 70. Geburtstag"
Cover: Hanno Kube u.a. "Leitgedanken des Rechts. Paul Kirchhof zum 70. Geburtstag"© C.F. Müller Verlag
Dass sein intelligenter, detailliert durchgeplanter Entwurf eines gänzlich neuen Steuerrechts für die Bundesrepublik aus Gründen der politischen Opportunität so achtlos zur Seite gelegt wurde, gehört zu den historischen Versäumnissen der Regierungszeit von CDU/CSU und Freidemokraten.
Aber immerhin: Betrachtet man die lange Liste der Kirchhof-Schüler, die heute die steuerrechtliche Lehre und auch die Rechtsprechung bestimmen, dann wiegt auch dieser Einfluss Kirchhofs schwer und positiv. In 58 Aufsätzen im zweiten Band wird das Finanzverfassungs- und Steuerrecht ausgreifend und für jede Steuerart erschöpfend begründet und skizziert, eine wahre Fundgrube auch für den interessierten Laien und für den Praktiker sowieso.
Und den vielen, die da gegenwärtig in den Koalitionsverhandlungen über neue Abschöpfungsmechanismen nachdenken, sei eine Auszeit empfohlen, damit sie ein wenig in diesem Werk lesen, vor allem in den allein zehn Aufsätzen im Hauptkapitel "Maßstäbe der Besteuerung".
Wie weiter mit Europa?
Fündig wird auch, wer sich der großen Frage unserer Zeit nähern will: Wie weiter mit Europa? Gegenwärtig ist die Europäische Union, so schreibt Josef Isensee, …
"… bestrebt, den Nimbus, die Legitimation und die Gestalt des Verfassungsstaates anzunehmen und seine Prinzipien der Demokratie, der Gewaltenteilung und der Grundrechte zu verwirklichen.
So bemüht sie sich, ihre demokratische Fundierung nachzuweisen, ein Ehrgeiz, der völkerrechtlichen Institutionen wie dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen fremd ist.
Doch der Versuch einer europäischen Demokratie kann bei dem bisherigen Stand der Integration nicht gelingen, weil es kein europäisches Volk gibt, das als Legitimationsquelle und Trägerverband wirken könnte.“
Christian Seiler argumentiert ein Kapitel später umgekehrt.
"Der Staatenverbund der EU ermangelt nach wie vor einer eigenen Staatlichkeit und damit eines Staatsvolkes.“
Staatsvolk und rechtliche Integration der Staatlichkeit warten also offenbar aufeinander, um jeweils Wirklichkeit zu werden. Da wird man mutig gestalterisch vorangehen müssen in Europa, denn der Begriff "Staatsvolk" beschreibt, wie Seiler feststellt, ja lediglich …
"... einen nach formalen Kriterien identifizierbaren Personenverband, der als solcher von der materiell definierten Nation, sei sie Willens- oder Kulturnation, abzugrenzen ist."
Diese formalen Kriterien entspringen heutzutage und aus gutem Grund allein dem Staatsangehörigkeitsrecht, das anderweitig nicht miteinander verbundene Menschen in einem im Staat organisierten Verband zusammenfasst.
Immerhin, meint Seiler, hege der Verfassungsstaat …
"… die Erwartung einer gelebten Demokratie, die ohne die Fähigkeit des Staatsvolkes zur einheitlichen Willensbildung enttäuscht werden dürfte, daher ein gewisses Maß an Zusammengehörigkeit voraussetzt und auch nach einer beständigen Integration seiner Bürger an die staatlich verfasste Gemeinschaft verlangt, ohne dabei die Anforderungen einer freiheitlichen Gesellschaft zu übergehen."
Daran fehlt es noch in Europa, aber daran lässt sich arbeiten, auf dass zu Staatsgewalt und Staatsgebiet auch ein kommunikativ verbundenes Staatsvolk treten könnte.
Wer also diese Festschrift gelesen hat, wird es zu den auf immer unverzichtbaren Bänden seiner Bibliothek erklären. Ein besseres Weihnachtsgeschenk für Juristen und für in Legislative oder Exekutive tätige Beamte und Politiker gibt es nicht. Hätten alle diese "Leitgedanken" verinnerlicht, ginge es um ein Vielfaches vernünftiger zu im Staate.

Hanno Kube, Rudolf Mellinghoff, Gerd Morgenthaler, Ulrich Palm, Thomas Puhl, Christian Seiler (Hg.): Leitgedanken des Rechts. Paul Kirchhof zum 70. Geburtstag
2 Bände
C.F.Müller Verlag, Heidelberg 2013
2176 Seiten, 429,95 Euro

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