Gras-Diät

"Selbst Affen lassen ihre Pfoten von Gräsern"

Ein Schimpanse frisst im Zoo Zweige.
Ein Schimpanse frisst im Zoo Zweige. © picture alliance / dpa / Caroline Seidel
Von Udo Pollmer · 10.03.2017
Lebensmittelchemiker Udo Pollmer beobachtet, dass ständig neue Heilkräfte in Pflanzen entdeckt werden. So werde sogar Raufutter für Rinder - sprich Gras, Heu und Silage - als Superfood verkauft. Pollmer zweifelt an derartigen Heilsversprechen.
Schafe, Rinder und Elefanten pflegen bekanntlich zu weiden. Dies gilt ganzheitlich denkenden Therapeuten als Beweis, dass wir dies auch tun sollten. Tiere haben noch einen natürlichen Instinkt und werden nicht durch Erdbeer-Konfitüre oder Sardellen-Pizzen verführt. Inzwischen hat sich eine Bewegung etabliert, die dem Konsum von Gras huldigt, mal als Saft, mal als Pulver. Am beliebtesten ist Gerstengras, also Gerste, die noch keine Blüte oder Ähre entwickelt hat, gefolgt von Weizengras und Weidegras. Solches beschenkt uns, so lese ich, "mit einem Füllhorn wertvollster und seltenster Substanzen, die den Organismus an allen Ecken und Enden heilen, reparieren und pflegen".
Seit die Paläontologen diskutieren, ob sich nicht einige unserer Urahnen ebenfalls von Gräsern ernährt haben, herrscht Aufbruchstimmung. Damit gäbe es eine direkte Linie von den Australopithecinen aus der afrikanischen Savanne hin zu den Graslutschern mit Smartphone in unseren Großstadt-Biotopen. Das Geschäft mit den sauteuren Säften hätte endlich eine werbliche Basis, wenn schon die affigen Vormenschen die einzigartigen Gesundheitsgeheimnisse des Grases zu schätzen wussten.

Dickhäuter verhungerten wahrscheinlich

Als wichtigstes Beweismittel gilt ein gut drei Millionen Jahre altes Kieferstück mit ein paar Zähnen drin, das am Tschadsee ausgebuddelt wurde. Die Analyse der Kohlenstoffisotope des Knochens weist auf Pflanzenkost, genauer gesagt auf Gräser, Seggen und Binsen, - dazu zählen beispielsweise Papyrus oder Erdmandel. Zusätzlich fanden die Experten bei einem anderen Kiefer ein kleines Silikatkonkrement. Aus diesem Einzelbefund glauben sie schließen zu dürfen, dass der Affe persönlich ins Gras gebissen oder die unscheinbaren Wurzelknollen der Binsen ausgegraben und verzehrt hätte.
Gräser und Binsen bilden Silikatkörnchen, mit denen sie nicht nur ihre Blätter, sondern auch ihre Wurzelknollen vor Fressfeinden schützen. Silikat ist so abrasiv, dass auch die superharte Enamelschicht des Zahnes zerstört wird. Die Pflanzenfresser haben wiederum spezifische Gegenmaßnahmen entwickelt. Elefanten beispielsweise wachsen alle zehn Jahre neue Mahlzähne nach, die abgenutzten Stummel fallen aus. Leider werden sie nur sechs Mal ersetzt, deshalb sterben die Dickhäuter gewöhnlich durch Verhungern, weil ihnen die Zähne fehlen. Jede Kost erfordert eben spezielle Anpassungen.
Die Zähne des aufgefundenen Kieferfragmentes sind übrigens völlig untauglich, um Silikathaltiges zu bewältigen, es sei denn die Küchentechnik hatte schon vor drei Millionen Jahren ein gewisses Niveau erreicht. Dabei gibt es eine ganz simple Erklärung für den Isotopenbefund: Verspeiste der Affe stattdessen Tiere, die ihrerseits Gräser und Binsen fraßen, findet man das gleiche Isotopen-Muster. Mit dieser Methode kann man jedes Raubtier als Vegetarier ausgeben.

Zurück zum Halbaffen

Nie und nimmer ist es mit Gras und Wurzelwerk möglich, den Energiebedarf des menschlichen Gehirns zu bedienen. Nicht einmal ein primitiver Australopithecine, der nur ein Drittel des menschlichen Gehirns sein eigen nannte, wäre damit zurechtgekommen. Es gibt in unserer Verwandtschaft nur einen Spezialisten, der sich auf diese Weise ernährt: Ein Halbaffe, der auf Madagaskar lebt. Weiter hat‘s mit den Binsen nicht gereicht.
Nun wollen einige Ernährungsexperten die Evolution des Menschen wieder zu den Halbaffen zurückdrehen, indem sie Getreide säen, aber das Korn nicht reifen lassen, sondern als Gras abmähen, lange bevor es Ernte bringt. Ernährungsberater bescheinigen "wild gesammeltem Gras" eine "energetische Wirkung" – womöglich Windenergie im Darm. Fachleute des sächsischen Agrar-Ministeriums haben errechnet, dass Grasschnitt aus der Landschaftspflege in der Biogasanlage pro Liter stolze 24 Liter Gas liefert.
Ein Rindvieh mag Gras fressen, Menschen ernten das reife Getreide und backen daraus Brot und brauen Bier. Der schäumende Gerstensaft ist im Gegensatz zum Gerstengrassaft nahrhaft, wohlschmeckend und sorgt für Stimmung. Selbst die Affen lassen ihre Pfoten von Gräsern. Eine Binsenweisheit. Mahlzeit!
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