Gottessuche

Der säkulare Beichtspiegel

Meir Shalev
Meir Shalev © dpa / picture alliance / Uwe Zucchi
Von Gerd Brendel · 12.04.2014
Der Glaube an Gott oder an das Wort? Eindrücke von den deutsch-israelischen Literaturtagen in Berlin, mit Auskünften von Eva Menasse, Sarah Blau, Sibylle Lewitscharoff und Meir Shalev.
Die Rolle von Religion in Israel und Deutschland ist so unterschiedlich, wie die Antworten unterschiedlich sind, die die Autoren und Autorinnen aus Deutschland, Österreich und Israel auf die Frage nach dem eigenen Glauben geben.
"Ich glaube, dass ich ein gläubiger Mensch bin, ohne dass ich an Gott glaube, ich glaube an die Fähigkeit des Menschen, sich zu bessern."
... sagt die Wienerin Eva Menasse, die von ihrer katholischen Mutter zur Beichte geschickt wurde und deren jüdischer Vater als einziger in der Familie zu Karfreitag Wurst bekam.
Sarah Blau: "Ich glaube an Gott. Ich fühle Gott. Und es ist nicht der mürrische alte Typ im Himmel, mit dem ich aufgewachsen bin, der sagt: Tu das nicht, tu dies nicht."
Sibylle Lewitscharoff: "Ich sehe mich dem biblischen Erbe verpflichtet, das hat für mich eine Verankerung, die einem einen schütteren wackeligen Glaubensgrund bietet."
Die orthodoxe Jüdin Sarah Blau und die Protestantin Sibylle Lewitscharoff plädieren im Zweifel für Gottes Existenz, während der säkulare Israeli Meir Shalev Gott für eine Projektion hält:
"Unsere Erfindung Monotheismus hat Gott zu dem gemacht, was er ist: zu einem einsamen Gott im Himmel, der niemanden hat, mit dem er reden oder zum Essen gehen kann. Dieser Gott braucht die Menschen mehr als die Menschen ihn. Also sitzt er uns die ganze Zeit im Nacken."
Im Unterholz der Geschichten
Ja, Gott sitzt ihnen allen im Nacken, den Frommen wie den Atheisten. In Eva Menasses Kurzgeschichten-Sammlung "Lässliche Todsünden" zum Beispiel kommen die theologischen Konzepte von Sünde und Vergebung nur in den Überschriften vor, aber sie sind nicht verschwunden:
"Die Todsünden wie die Vergebung muss man im Unterholz der Geschichten suchen."
Geschichten aus dem Alltag bürgerlicher Familien, es geht um Ehemänner mit Helfersyndrom, Ehefrauen mit schlechtem Gewissen, frustrierten Jugendlichen. Um Machtkämpfe unter Partnern. Ein säkularer Beichtspiegel, der belegt, man muss nicht fromm sein, um schuldig zu werden. Mitten hinein in den Schatz jüdischer Legenden greift hingegen Sarah Blau mit ihrem "Buch der Schöpfung".
"Du gibst ihm seine Form, weißt genau, wie er aussehen soll, und weißt, dass du keinen Fehler begehen darfst, jeder Fehler kann tödlich ausgehen. Das wirst du nicht noch einmal zulassen."
"Knete den Menschenteig rasch und gut
Backe Kuchen aus Sand und Blut."
Es ist die alte Legende vom Golem, die Blau neu erzählt:
"Als orthodoxes Kind wuchs ich mit der Geschichte vom Golem auf. Sein Erschaffer Rabbi Löw hatte eine Tochter, aber die machte nichts außer Kaffee zu servieren. Und ich habe mir gesagt: Das werde ich richtig stellen. In meinem Buch erschafft also eine Frau einen Golem, keine nationale Retterfigur, sondern für sich allein, als Liebespartner."
Sarah Blau versteht sich als moderne orthodoxe Jüdin. Am Sabbat schaltet sie Handy und Computer aus. Sie isst koscher, oder versucht es zumindest, Hosen mag sie nicht. Der Tenach, die jüdische Bibel, ist Teil ihrer „psychologischen DNA", sagt sie, aber die Diskriminierung der Frau in den heiligen Texten und in der Tradition will sie nicht länger hinnehmen:
"Aber ich und andere mit dem gleichen Hintergrund wollen diese Tradition richtig stellen. Heute gibt es immerhin die Möglichkeit, zu zweifeln und zu hinterfragen und trotzdem noch innerhalb der jüdischen Tradition zu bleiben."
Sybille Lewitscharoff gerät eher mit der aufgeklärten Öffentlichkeit anstatt mit religiösen Traditionalisten in Konflikt, zuletzt wegen ihrer Äußerungen zur künstlichen Befruchtung. Abwägende moralische Urteile, sind ihre Sache nicht, aber das eindeutige Gottesbekenntnis überlässt sie ihren Romanhelden wie dem Alkoholiker Ralph in „Consumatus", den es als Lebenden ins Totenreich verschlägt.
(Lesung von Sybille Lewitscharoff) "Die frohe Botschaft lautet: ES GIBT ihn, so sicher wusste ich bei meinen ersten wackligen Schritten im Totenreich: Es gibt ihn .Geahnt, gewünscht hatte ich es immer, dran gezweifelt auch immer, er ist die große schwarze Null. Zusammenfall seines Reichs mit dem Universums und einer Winzigkeit darüber hinaus, durchs Leben streicht er als Hinwelle, das Totenreich durcheilt er als Rückwelle."
Religion ist politisch - und die Bibel nicht von Gott geschrieben
Die gute Botschaft, für den Atheisten Meir Shalev lautet sie, dass die Thora nicht nur den Frommen gehört. In seinem Buch "Aller Anfang − Die erste Liebe. Das erste Lachen, der erste Traum und andere erste Male in der Bibel" liest er den heiligen Text historisch-kritisch und gelangt zu der Einsicht:
"Die Bibel richtet sich nicht immer nach den Meinungen ihrer religiösen Exegeten, weil ich glaube, dass die Bibel von Menschen aus den verschiedenen Gründen und mit unterschiedlichen Interessen geschrieben wurde, und nicht von Gott."
Religion war immer schon politisch. Auch heute und besonders in Israel. Politische Forderungen als göttliche Gebote zu legitimieren, davon hält Shalev nichts:
"Ich verlasse mich auf die biblische Idee vom Recht des jüdischen Volkes, im Nahen Osten zu leben und einen Staat zu haben, ich halte nichts davon, die Grenzen dieses Landes nach der Bibel zu definieren. Das sollte unsere Generation nach den politischen Gegebenheiten tun und nicht nach Gottes Versprechen an Abraham."
Eine Überzeugung, die er mit Sarah Blau teilt:
"Ich glaube nicht, dass Gott an diesen politischen Konflikten beteiligt ist. Das ist ein gottloser Kampf."
Und noch eine Gemeinsamkeit teilen beide, und nicht nur sie, alle Autoren, die Konkurrenz zum Schöpfergott, denn: Wer schreibt, erschafft eine eigene Welt, und allein dadurch wird die reale Welt relativiert und in Frage gestellt.
Blau: "Als guter Schriftsteller sollte man seine Zweifel haben."
Das gilt für jeden Schriftsteller und jede Schriftstellerin – egal ob fromm oder nicht-gläubig.