Gottesnachweis per Experiment

14.04.2008
Wissenschaft und Religion stehen sich nicht entgegen, sondern sind vielmehr zwei Seiten einer Medaille, so die These des Physikers Frank Tipler. In seinem Sachbuch "Die Physik des Christentums" versucht er nachzuweisen, dass die Wunder des Neuen Testaments, darunter die jungfräuliche Geburt, die Auferstehung und die Fleischwerdung, den physikalischen Gesetzmäßigkeiten nicht widersprechen.
Mit seinem Buch "Die Physik der Unsterblichkeit" hat Frank J. Tipler vor vierzehn Jahren erstmals Aufsehen erregt. Auf sechshundert Seiten unternimmt der renommierte amerikanische Forscher den Versuch, die Existenz Gottes als einen letzten Omegapunkt in der Entwicklung des Universums nachzuweisen sowie die Wahrscheinlichkeit der Auferstehung von Toten zu ewigem Leben - im Rückgriff auf physikalische Erkenntnisse, kosmologische Modelle und mathematische Berechnungen.

Nun legt Tipler nach. "Die Physik des Christentums", sein neues, gut vierhundert Seiten starkes Buch, bestätigt: Für Tipler sind Aussagen der Physik und Aussagen des christlichen Glaubens zwei Seiten ein und derselben Medaille. Nach wie vor ist für den Professor der mathematischen Physik an der Tulane University in New Orleans die Existenz Gottes physikalisch herleitbar, laut Untertitel per Experiment.

"Die Kosmologische Singularität - die vollendete Unendlichkeit, der Ursprung von allem außerhalb von Raum und Zeit - ist der jüdisch-christliche Gott."

Auf diese Eingangsthese kommt der Autor nach einem fünfzigseitigen Abriss der modernen Physik und einer Art Zusammenfassung seiner "Physik der Unsterblichkeit" nochmals zurück und entfaltet sein Gottesbild. Um der Trinitätslehre nahe zu kommen, postuliert er aus noch so vagen Einsichten der Physik neben dem relativ gesichertem singulären Urknall noch zwei weitere Singularitäten: Das Ende von Allem und den Anfang der Parallelwelten.

"Die Drei sind Eins."

Eben das behauptet auch die christliche Trinitätslehre im Blick auf den dreifaltigen Gott als Vater, Sohn und Heiliger Geist.

In den Folgekapiteln widmet sich der Autor weiteren physikalisch-theologischen Analogien, insbesondere im Blick auf Wunder. Hier rangiert der Stern von Bethlehem neben jungfräulicher Geburt, Inkarnation und Auferstehung Jesu Christi.

Für Goethe waren Wunder noch "des Glaubens liebstes Kind", für Tipler sind sie "Manifestationen einer direkten Einwirkung Gottes auf die materielle Welt - nicht in einer Verletzung physikalischer Gesetzmäßigkeit, sondern in Übereinstimmung mit ihr".

Gewidmet ist das Buch Gottes erwähltem Volk, das "den christlichern Glauben erstmals in 2000 Jahren voranbringen" wird. Zum einen verweist Tipler dankbar auf die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse jüdischer Kollegen. Zum anderen beruft er sich auf das letzte Buch der christlichen Bibel, dem zufolge Juden…

"in großer Zahl zum Christentum übertreten und die Christen ein weiteres Mal anführen werden, wie sie es im 1. Jahrhundert getan haben. Ich rechne damit, vor der Wiederkehr Jesu einen jüdischen Papst zu erleben."

Man kann Tipler, der die letzten Tage der Menschheit kommen sieht, zugute halten, dass er sich in das verödete Steppenland begibt, in das sich Bewohner der Randstädte namens Naturwissenschaft und Theologie allzu selten wagen. Sein Ruf erschallt nicht ungehört in beiden Lagern, provoziert aber eher Widerspruch denn Applaus.

Auf Seiten der Theologie mag man Tiplers Provokation des konsequenten Materialismus sowie der Gottesbilder nur zum Teil schätzen lernen. Wer Glauben, insbesondere den Akt des Vertrauens, als "experimentell überprüfbare Wissenschaft" versteht, geht an der theologischen Provokation von Offenbarung und Personalität Gottes vorbei.

Von Seiten der Physik ist dem Autor vorzuhalten, dass er seine Interpretationen physikalischer Experimente und Ideen allzu fraglos und undifferenziert als allgemeingültige Theorien und Fakten ausgibt, so etwa die "von der Physik vorhergesagte Endzeit der Menschheit", bei der Gott persönlich eingreifen wird,...

""um die neue Quelle der Superenergie und die künstliche Intelligenz daran zu hindern, die Menschheit vollständig zu vernichten"."

Letztlich schießt Tipler mit seinen nicht selten abstrus klingenden Thesen weit über das Ziel einer Annäherung von Naturwissenschaften und Theologie hinaus. Wenngleich er das Fenster des Kreationismus sorgsam verschließt, öffnet er Spielarten der Esoterik und des Fundamentalismus Tor und Tür.

Rezensiert von Thomas Kroll

Frank J. Tipler: Die Physik des Christentums
Ein naturwissenschaftliches Experiment

Aus dem Amerikanischen von Helmut Reuter
Piper Verlag, München/Zürich 2008, 429 Seiten, 22,90 Euro