Gorleben

Beten gegen Atomtransporte

Ein Schild weist am in Gorleben den Weg zum Erkundungsbergwerk. Der Name des Dorfs ist seit Jahren wegen 113 Behältern radioaktiven Mülls bekannt, die im Wald auf ein Endlager warten.
Ein Schild weist am in Gorleben den Weg zum Erkundungsbergwerk. Der Name des Dorfs ist seit Jahren wegen 113 Behältern radioaktiven Mülls bekannt, die im Wald auf ein Endlager warten. © picture alliance / dpa
Von Thomas Klatt · 06.07.2014
Wie lange dauert ein Gebet? Eine Minute, zwei, fünf. Aber 25 Jahre? In Gorleben, wo ein Atommüll-Endlager geplant ist, treffen sich so lange schon Christen, Muslime, Juden und Buddhisten bei Wind und Wetter zum "Gorlebener Gebet".
Hafner-Reckers: "Jeden Sonntag, seit 25 Jahren, egal ob es geregnet hat oder die Sonne warm war, oder es auf dem Sylvester fiel, immer. Jeden Sonntag."
Die Yoga-Lehrerin Elisabeth Hafner-Reckers organisiert derzeit das wöchentliche Gorlebener Gebet. Auch wenn sie selbst mit ihrer Familie erst seit sieben Jahren im Wendland wohnt, den Geist des Atomwiderstandes hat sie schon voll und ganz verinnerlicht.
"Was können wir denn Besseres tun, als uns an der Bibel zu orientieren, an den Geschichten aus dem Alten Testament, in denen ja auch immer wieder beschrieben wird, wie Menschen in völlig hoffnungslosen und ausweglosen Situationen sich verhalten haben und was sich daraus entwickelt hat?"
Als zu brav belächelt?
Der letzte Atommüll-Transport war 2011, und ein wenig Ruhe scheint ins Wendland eingekehrt zu sein. Aber der nächste Castor kommt bestimmt. Allein jetzt schon lagern in Gorleben 113 Castor-Behälter in einem eigenen Areal unweit des Erkundungsbergwerkes. Ist Beten wirklich die richtige Widerstandsform dagegen? Oder wird das nicht von anderen Castor-NIX-Gegnern als zu brav belächelt?
Hafner-Reckers: "Nein, das wird sehr ernst genommen. Das ist eben das Bezaubernde hier an diesem Widerstand, dass wir sagen, wir sind einheitlich in dem Ziel, aber wir respektieren die unterschiedlichen Widerstandsformen und fangen nicht an, uns gegeneinander auszuspielen. Wenn hier vor den Castoren 200 Menschen vor den Kreuzen gestanden haben und die Pastoren rumgegangen sind und gefragt haben: Sollen wir Euch segnen? Und haben das dann auch gemacht, das war so was Anrührendes. Und das zeigt auch Wirkung."
Widerstandsmotivation durch das Beten
Auch nach 25 Jahren können selbst Junge sich mit dieser christlichen Form des Widerstandes anfreunden. Wie etwa Sonja Barthel von der Evangelischen Studierenden-Gemeinde Oldenburg.
"Die meisten Leute, die beim Gorlebener Gebet sind, haben auf der Straße gesessen, sitzen immer wieder auf der Straße. Diese Menschen ziehen einfach aus dem Gebet, das es zusätzlich gibt, unglaublich viel Kraft und Hoffnung, der den anderen Widerstand, der nebenher auch läuft, lebendig hält und immer wieder bestärkt auch. Und zum anderen liefert das einem auch eine Widerstandsmotivation, zu sagen, aus meinem Glauben heraus setze ich mich ein ganz bewusst zur Bewahrung der Schöpfung. Und da gehört Widerstand gegen die Atomenergie ganz selbstverständlich mit dazu."
Auch wenn die Kreuze das christliche Symbol der Passion und Wiederauferstehung Jesu Christi sind, so sind die Gebete und Lieder in Gorleben interreligiös getragen. Zum Festtag spricht die buddhistische Menschenrechtsaktivistin Stella Tamang aus Nepal. Sie fühlt sich schon lange mit dem Bürgerprotest im Wendland verbunden.
"Das was hier falsch gemacht wird, was hier kaputt geht, das beeinträchtigt ganz sicher auch die Menschen im Himalaja. Für mich ist euer Gebetsplatz eine sehr heilige Pilgerstätte."
"Ist Atomkraft koscher?
Auch die jüdische Kantorin Jalda Rebling aus Berlin-Prenzlauer Berg kommt immer wieder zu den Kreuzen unweit des sogenannten Erkundungsbergwerkes in Gorleben.
"Ist Atomkraft koscher? Ne Frage, die mein Lehrer Reb Schachter Schalomi vor 40 Jahren gestellt hat. Damals wurde er ausgelacht für die Frage. Und heute diskutiert die jüdische Welt darüber. Wie gehen wir um mit der atomaren Bedrohung, die wir durch die sogenannte friedliche Nutzung von Atomenergie in die Welt setzen?"
Die jüdische Künstlerin Anna Adam fährt ihren "Happy Hippie Jew Bus" auf das Gelände, in und an dem bunte Protestfähnchen gebastelt werden. Diese werden als Dauerprotest rund um das Hochsicherheitssperrgelände des Erkundungsbergwerkes gespannt.
Erstes Kreuz kam aus Wackersdorf
"Es soll weitergeführt werden. Das ganze Projekt soll wachsen. Da vorne steht ein Fass, das ist das Aktionsfass, und da findet man Fähnchen, Tacker, Stifte. Und unsere Hoffnung ist, dass das über Wochen und Monate weiter geführt wird, bis das gesamte Areal mit Fähnchen umrandet ist. Und meine allergrößte Hoffnung ist, dass die Leute auch wieder positive und schöne und kreative Ideen bekommen und wieder zu Kräften kommen. Die sind teilweise ganz schön müde geworden."
Das erste Kreuz wurde 1988 während der ökumenischen Friedenswallfahrt aus dem bayerischen Wackersdorf hierher gebracht. Ein Jahr später begannen die regelmäßigen wöchentlichen Protest-Andachten. Der Widerstand gegen die Atomkraft aber ist noch älter. Zu den Urmüttern der Bewegung gehört Marianne Fritzen. Weltberühmt das Schwarz-Weiß-Foto von Günter Zint: Die kleine Frau mit der Pudelmütze, die ängstlich-skeptisch auf eine martialisch anmutende Polizeireihe blickt. Die engagierte Katholikin und später langjährige Vorsitzende der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg wollte schon Anfang der 1970er-Jahre die Kirchen mit ins Protestboot holen. Damals ging es noch um den Bau eines Atomkraftwerkes.
Protest war umstritten bei Evangelischen Kirche
"Es war zumindest umstritten seitens der Evangelischen Kirche. Bei uns war das nie umstritten. Da hatten ja vor allem die Pastoren sehr viel Ärger damit. Das Kreuz trägt man nicht auf die Straße, das war einer der Gründe. Es dürfe politisch nicht missbraucht werden. Zu der Zeit, als wir angefangen haben, da hatten wir noch eine ganz strikte Pro-Atom-Regierung, und die Pastoren waren natürlich auch dafür, und ich war ja in der Kirche engagiert, vorher als Pfarrgemeinderatsvorsitzende. Und da wollte ich gern einen Vortrag machen lassen zur Atomenergie, aber es wurde von meinen Kollegen abgelehnt."
Das Atomkraftwerk wurde nicht gebaut, dafür aber das Erkundungsbergwerk und Atommüllzwischenlager für die Castoren. Den heutigen Bischof der evangelischen Landeskirche von Hannover, Ralf Meister, erfüllt es mit Scham, wenn er zurückdenkt.
"Ich erinnere für unsere Kirche selbstkritisch daran, dass es 1980 zu Pfingsten war, als Pastor Gottfried Mahlke in Gartow die Predigt am Bohrloch 1004 untersagt wurde. Die Erinnerung an mutige Zeugen wie Pastor Mahlke und seine Ehefrau und viele, viele andere gehören auch in die Erinnerung, auch in eine schuldhafte Erinnerung unserer Landeskirche."
"Ein Thema der gesamten Gesellschaft"
Neben Mitgliedern aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft sitzt Ralf Meister nun als Vertreter der Evangelischen Kirche in der bundesdeutschen Kommission zur Endlagersuche. Er fordert Transparenz und Bürgerbeteiligung. Auch wenn hier nun schon über Hundert Castoren zwischenlagern, eine Vor-Festlegung auf Gorleben als Endlager dürfe es nicht geben. Denn die Atommüllfrage sei letztlich ein nationales Problem.
"Ich selbst hab vor einigen Monaten auch schon meine Bischofskollegen und Bischöfinnen in Deutschland angeschrieben und gesagt, nehmt dieses Thema auch in eure Landessynoden, das ist ein Bundesthema. Das ist eben kein Thema der Hannoverschen Landeskirche, es ist kein Thema im Wendland allein, sondern es ist das Thema der gesamten Gesellschaft."
Der Kampf ist also längst noch nicht zu Ende. Und auch nach 25 Jahren wird es weiterhin Sonntag für Sonntag das Gorleben-Gebet wohl geben müssen.