Goethe und Schiller digital

Von Achim Killer · 07.07.2009
Über ein neues biografisches Informationsportal sind die Lebensläufe von über 100.000 Persönlichkeiten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz frei im Internet zugänglich. Im Gegensatz zum Hauptkonkurrenten Wikipedia kommen nur redaktionell geprüfte Beiträge in das Verzeichnis.
"Bismarck, Otto, Fürst von: Der Ort, von dem die Bismarcks den Namen tragen, liegt links der Elbe auf altem Sachsenboden, jedoch schon nahe dem Strome, der einst die deutsche und die slawische Rasse von einander schied; und die Phantasie könnte uns wohl verlocken, die Ahnen des Vorkämpfers unserer Nation unter den Kolonisatoren zu suchen, die mit Schwert und Pflug die deutschen Marken in die Wendengaue vorgeschoben haben."

"Das historische Umfeld ist, wenn man so will, der Nationalismus. Es ging um eine Lebensbeschreibung aller namhaften Deutschen. Und das Werk sollte ein großes nationales Werk werden. Der erste Band erschien 1875, nach der Gründung des Bismarck-Reiches in einer Welle des Nationalismus, wenn man so will."

Professor Hans Günter Hockerts, der heutige Herausgeber der großen Biografie-Sammlung, der Allgemeinen und der Neuen Deutschen Biografie. Auf 78 Bände ist das Werk inzwischen angewachsen. 90.000 Namen sind verzeichnet. In Österreich und der Schweiz existieren vergleichbare Projekte. Und auf alle zusammen kann man jetzt über das Internet zugreifen.

"Wir führen jetzt die Register aus diesen drei Lexika so zusammen, dass der Benutzer mit einer einzigen Abfrage gleich sämtliche Treffer aus ADB, NDB, Österreichischem Biografischen Lexikon und historischem Lexikon der Schweiz in einem einzigen Arbeitsschritt bekommen wird."

So Dr. Bernhard Ebneth von der Redaktion Neue Deutsche Biografie. Sein Kollege Dr. Matthias Reinert führt es vor:

"...die Alpinisten. Und hier hab' ich jetzt nun 'Alpinist' eingegeben. Und da finden wir den Otto Ampferer oder den Georg Bilgeri sowohl bei den Österreichern, als auch bei der NDB und ADB, womit ein interessanter weiterer Ansatzpunkt gegeben wäre, um jetzt diese beiden Biografien zu vergleichen."

Das nämlich interessiert Historiker. Die meisten anderen, die eine Biografie lesen, wollen nur etwas über den erfahren, dessen Leben beschrieben wird. Historiker allerdings gehen auch der Frage nach, wie und von wem Biografien verfasst worden sind.

Hockerts: "Ich war selbst überrascht, als ich das mal überprüft habe: Wer hat über jüdische Deutsche geschrieben in der ADB? Vor allem Juden selbst. Wer hat über katholische Deutsche geschrieben? Vor allem Katholiken selbst und das in der Zeit des Kulturkampfs. Wer hat über Österreicher geschrieben? Vor allem Österreicher. Kurzum: Es war ein Forum der Darstellung von Minderheiten und Sondermilieus mit Ausnahme des sozialistischen Lagers. Das war nicht vertreten. Das war nicht in diesem liberal bürgerlichen Horizont."

Und auch die Neue Deutsche Biografie, das nach dem Zweiten Weltkrieg gestartete Nachfolgeprojekt der ADB, tat sich anfangs schwer mit dem proletarischen Milieu. So heißt es in einem Brief von Walter Goetz, eines Vorgängers von Professor Hockerts, an einen Autor, bei dem er Artikel für die Neue Deutsche Biografie bestellt:

"August Bebel: Ein nicht ganz leichtes Thema, weil es sich um die Mischung eines Politikers und eines oft völlig kritiklosen Mannes auf idealistischer Grundlage handelt. (...) Das typische Beispiel der Halbbildung, aber zugleich der fanatischen Zielstrebigkeit."

Der Autor allerdings war ein kluger Mann, der über die Grenzen des bürgerlichen Milieus hinausblicken konnte.

"Als Soldatenkind in einer Festungskasematte geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters in sehr bedrängten Verhältnissen zu Wetzlar aufgewachsen. Von schwächlicher Konstitution, aber geistig ungeheuer regsam und lernbegierig. (...) Die Bedeutung des Mannes mit seiner Typen und Gesinnungen bilden Kraft für die sozialistische deutsche Arbeiterbewegung kann kaum überschätzt werden."

So Theodor Heuss, der spätere Bundespräsident. Er hat Bebel für die Neue Deutsche Biografie porträtiert.

Hockerts: "Es gibt Briefe von ihm an die Redaktion der NDB, in denen er gesagt hat: 'Achtet auf die Gewerkschaftsbewegung. Nehmt auch diese auf!' Er wusste, dass da Lücken in dem alten Projekt waren."

Überhaupt hat sich die Biografie-Sammlung doch sehr demokratisiert - seit den Zeiten der ADB, als die Autoren in ihrer Fantasie noch die deutschen Marken in die Wendengaue vorschoben.

"Man muss sagen, dass die ADB ohnehin eine Zuneigung zu den großen Namen hatte, während wir unsere Ehre eher darin sehen, "second-rated people" zu erfassen, wie es unsere Kollegen vom "Oxford Dictionary of National Biography" formulieren. Das heißt: Leute, denen der Ruhm fehlt, aber nicht die Bedeutung."

Quantitativ kann das neue Biografie-Portal sich durchaus mit der populären Wikipedia messen. Und qualitativ sieht Professor Hockerts eh bedeutende Unterschiede:

"Bei Wikipedia, um unseren Hauptkonkurrenten beim Namen zu nennen, haben wir keine individuelle Autorenschaft, wir haben keine Fachredaktion im Hintergrund, auch keine stabilen Einträge, sondern fluide Texte, wir wissen nicht, wie ein bestimmter Artikel in einem Jahr aussehen wird. Die Grenzen zwischen Autoren und Nutzern verschwinden ja bei Wikipedia. Man kann ja intervenieren. Das ist ja alles legitim. Wir machen es eben nur anders. Wir bieten zertifiziertes Wissen."

Service:

Das biografische Informationssystem ist ab 6. Juli 2009 frei zugänglich