Syrischer Philosoph Sadiq al-Azm

Zum ersten Mal in Weimar − und gleich gefeiert

Die Goethe-Medaille wird jährlich vom Goethe-Institut verliehen − an Personen, "die sich in besonderer Weise um die Vermittlung der deutschen Sprache sowie den internationalen Kulturaustausch verdient gemacht haben".
Die Goethe-Medaille wird jährlich vom Goethe-Institut verliehen - an Personen, "die sich in besonderer Weise um die Vermittlung der deutschen Sprache sowie den internationalen Kulturaustausch verdient gemacht haben". © dpa / picture alliance / Candy Welz
Von Henry Bernhard · 28.08.2015
Heute wird in Weimar die Goethe-Medaille verliehen. Einer der drei Preisträger ist der syrische Philosoph Sadik Al-Azm, einer der führenden Intellektuellen der arabischen Welt. Er hat in Damaskus, Beirut, Princeton und Hamburg gelehrt. Nun lebt er in Berlin − als Kriegsflüchtling.
Er sei das erste Mal in Weimar, erzählt Sadiq al-Azm, und es sei durchaus eine seltsame, aber schöne Art, diesen geschichtsbeladenen Ort kennenzulernen – als Preisträger. Der 80-Jährige sitzt gemütlich in Jeans und T-Shirt auf dem Sofa. Er erzählt, dass ihn die Nachricht, dass er die Goethe-Medaille erhalten soll, in Princeton erreicht hat, wo er Professor war. Erst mal ließ er von Freunden überprüfen, ob das kein Scherz war:
"And they checked and they said: No, it's for real! And of course I was very honored! And they asked me whether I will accept it. And of course I said Yes. Who says No to Goethe?"
Als sie ihm sagten, dass die Nachricht echt sei, fühlte er sich sehr geehrt. Natürlich wird er die Auszeichnung annehmen. Wer sagt schon Nein zu Goethe?
Zur deutschen Kultur hat seine Familie schon lange Bezug:
"There is a connection between my family and Germany. My grandfather was a very important Pasha in the Ottoman court. And when Wilhelm made his trip to the East at the end of the 19th century, my grandfather was the companion. And I have photos: Kaiser Wilhelm on a white horse, going in Damascus and Jerusalem. Because my grandfather has studied in Germany."
Sein Großvater sei ein wichtiger Pascha am osmanischen Hof gewesen. Als Kaiser Wilhelm II. 1898 den Nahen Osten besuchte, sei sein Großvater dessen Begleiter gewesen. Er hat noch Fotos von Wilhelm II. auf einem weißen Pferd, in Damaskus und Jerusalem. Sein Großvater hat in Deutschland studiert – und auch sein Bruder:
"So, my first visit to Germany was in Mannheim, and of course Heidelberg. I started enjoying German beer at the "Roter Ochse" in Heidelberg." (lacht)
Und er erinnert sich an seinen ersten Besuch in Deutschland, in Mannheim und Heidelberg, und an das gute Bier im "Roten Ochsen". Er selbst studierte damals Philosophie an der Amerikanischen Universität in Beirut.
Das Scheitern des arabischen Nationalismus
Natürlich kam er da nicht an der deutschen Philosophie vorbei. Immanuel Kant hält er für den Aristoteles der Moderne, der Ästhetik, Ethik, Wissenschaft und Dialektik in das richtige Verhältnis gesetzt hat. Später hat er selbst Philosophie gelehrt, vor allem in Beirut und, bis 1999, in Damaskus. In seinen auf Arabisch und Englisch veröffentlichten Büchern setzt er sich kritisch mit dem arabischen Nationalismus und dessen totalem Scheitern im Sechstagekrieg 1967 auseinander, später mit der Notwendigkeit, den Islam einer Aufklärung zu unterziehen.
Sadiq al-Azm sieht die meisten arabischen Völker in einer Zwickmühle gefangen: zwischen totalitären, gewalttätigen Regimes und ebenso totalitären, gutbewaffneten religiösen Fanatikern. Dazwischen, so meint er, hätten während des arabischen Frühlings in den Metropolen Zivilgesellschaften Fuß gefasst, wenn auch nur schwach und mittlerweile ohnmächtig:
"Actually, all the shouts, cries, demands and mottoes raised by the predominantly Muslim Tahrir Square masses were typical civil society values and aspirations centering on freedom, rights, dignity, integrity, democracy, transparency, equality and so on."
Die meisten Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo seien Moslems gewesen; ihre Forderungen aber waren westlich: nach Freiheit, Bürgerrechten, Würde, Demokratie. Diesen Werten hat sich Sadik Al-Azm immer verpflichtet gefühlt; diese Werte hat er seine Studenten gelehrt, in seinen Büchern verteidigt und angemahnt. Seine Bücher sind in vielen arabischen Staaten verboten.
"Faust"-Lektüre in Beirut und Damaskus
In Deutschland erhält er die diesjährige Goethe-Medaille für sein Werk. Zu Goethe hat er ein ganz besonderes Verhältnis. Als er anfing, Deutsch zu lernen, begann er mit Adalbert von Chamisso, Peter Schlemihl, die Geschichte des Mannes, der seinen Schatten verkauft hat:
"And of course, The man who lost his shadow immediately brings the man who lost his Soul!"
Der Mann, der seinen Schatten verkauft hat, führt ihn zu dem Mann, der seine Seele verkauft hat. So tief ist der arabische Philosoph in die deutsche Kultur eingedrungen, dass er den Namen "Faust" nicht einmal erwähnt:
"And then I used "Faust" in teaching in Beirut and Damascus. I found it the best introduction to the meaning of modernity. Because of its poetic and the drama in it. And the students loved it much more than the standard textbook on modern philosophy."
Fortan hat er mit seinen Studenten in Beirut und Damaskus Goethes "Faust" gelesen, für ihn die beste Einführung in die Moderne, mit Poesie und Drama. Und seine Studenten mochten den "Faust" viel lieber als die Philosophie-Lehrbücher.
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