Gönner, Liebhaber und Freunde

Von Paul Stänner · 08.01.2012
Der ehemalige britische Diplomat Hal Vaughan widmet sich dem angeblich letzten Geheimnis der französischen Modedesignerin Coco Chanels, ihrem angeblichen Doppelleben als Agentin Nazi-Deutschlands: Ein opulenter Bildband mit 230 farbigen Abbildungen berühmter Fotografen.
Schlohweiße, adrett gescheitelte Haare, gütige, große Augen und ein weißes Schnauzbärtchen: Hal Vaughan sieht aus wie der Großvater, den man gern für seine Kinder hätte. Der gute Opa im Rollkragenpullover wäre der richtige, um abends vor dem Einschlafen den Kindern mit gepflegter Stimme etwas vorzulesen. Er war jahrelang Journalist und Diplomat, er sollte das können.

Und wenn das Licht aus ist und man wissen möchte, ob die lieben Kleinen auch ruhig schlafen, wäre Großvater Hal wieder hilfreich, denn er könnte auch die verdeckten Mikrofone installieren. Das hat er beim Geheimdienst gelernt.

Hal Vaughan, der in Paris lebt, spricht fließend französisch, kommt mit Italienisch gut zurecht und kennt noch ein paar Floskeln auf Deutsch, Urdu und Arabisch - die gute, alte CIA-Schule eben.

Hal Vaughan hat mit professionellem Gespür ein Buch geschrieben über Coco Chanel, die eine große Modedame war und eine Agentin für Nazi-Deutschland. Er ist mehr Ermittler als Historiker. Die Geschichte kann man nicht ohne den Hintergrund erzählen und deshalb beschreibt Vaughan die ganze Biografie der Chanel - mit dem besonderen Blick auf die Jahre der deutschen Besatzung von Paris.

Gabrielle Chanel, später Coco genannt, stammt aus kleinen, wirklich armen Verhältnissen. Ihr Vater war Straßenhändler, nach dem frühen Tod ihrer Mutter übergab er die 12-Jährige in einem Waisenhaus in die Obhut katholischer Nonnen. Mit zwanzig wurde sie Näherin und Sängerin in einem Nachtclub, wo sie ihren ersten Gönner kennenlernte, der sie in die Welt der Landgüter und des Reitsports einführte. Die Gönner, Liebhaber und Freunde wurden größer und mächtiger, mit dem Herzog von Westminster machte sie einen guten Fang - er war der wohl reichste Mann Englands.

Zu seinen Freunden zählte auch Winston Churchill, schon damals ein bekannter Politiker mit dem Zeug zu Höherem. Bei Gelegenheit ließ der sich betrunken in Cocos Arme sinken und brach in Tränen aus. Beide Freunde begleiteten ihren Lebensweg bis in ihre späten Tage.

"Schließlich gehörte Chanel jetzt zur privilegierten Klasse. Für den Herzog, Chanel und ihre Kreise war das Leben ein einziges Amüsement. 1928 ging das Märchen weiter, so etwa als Chanel mit Churchill im Westminsterjagdrevier bei Mimizan südlich von Bordeaux auf Wildschweinjagd ging. Chanels kreative Energie schien keine Grenzen zu kennen. Sie trieb Sport, ritt, angelte, und kehrte dann zu ihren Mannequins zurück, um sie hinreißend einzukleiden, etwa in ihr berühmtes 'kleines Schwarzes'."

Chanels Tätigkeit für die deutsche Abwehr begann, als Frankreich von Nazi-Deutschland besetzt war.

"Auch noch mit siebenundfünfzig war Chanel durchaus bereit, sich erneut zu verlieben. Und nun, im Jahre 1940, bahnte sich eine große Romanze an, als Dincklage, hochrangiger Offizier der deutschen Besatzungstruppen, in ihr Leben trat und gern den Part ihres Kavaliers übernahm. Es sollte Chanels letzte große Liebschaft sein."

Baron von Dincklage arbeitete - was der Chanel wohl kaum entgangen sein konnte - für die deutsche Abwehr und die Gestapo.

Aus dem Ablauf der Biografie schälen sich zwei Aktionen heraus, bei denen die Chanel für die Deutschen arbeitete. 1941, zu diesem Zeitpunkt wurde sie als Agentin F-7124 in den Berliner Akten geführt, fuhr sie zusammen mit Dincklage nach Spanien, um für die deutschen Militärgeheimdienste Spione anzuwerben. Als Gegenleistung dafür wurde ihr Neffe aus deutscher Kriegsgefangenschaft entlassen.

1943 ging es erneut um eine Reise nach Madrid. Diesmal sollte die Chanel via Madrid ihre guten Kontakte nach London, zum Herzog von Westminster und zu Winston Churchill, dem britischen Premierminister, nutzen. Hochrangige Offiziere der Abwehr hatten mittlerweile erkannt, dass der Endsieg wohl nicht ganz so glorios ausfallen würde wie anfangs gedacht. Sie arbeiteten an ihrem persönlichen Plan B, einem Separatfrieden mit Großbritannien und dann einem gemeinsamen Feldzug gegen die Sowjetunion.

"Chanel sollte nun Himmlers rechte Hand treffen. Sie betritt die Hallen der Macht. Ein erstes Treffen findet in Walter Schellenbergs Büro im Amt VI (SD Ausland) des Reichssicherheitshauptamts statt. Die Geschichte der Begegnung Chanels und Dincklages mit dem SS-Nachrichtenchef ist durch ein Protokoll des britischen Secret Service überliefert."

Coco Chanel, Liebhaberin des Luxus und der einflussreichen Männer, hatte nie vorgehabt, sich ihr Leben wegen eines politischen oder militärischen Streits kaputtmachen zu lassen. Aber - was sie tat, war aus französischer Sicht eindeutig Kollaboration mit dem Feind.

"Nach Schätzungen des französischen Schriftstellers Robert Aron wurden nach der Befreiung zwischen 30.000 und 40.000 Kollaborateure kurzerhand umgebracht."

Tausende Frauen, die mit deutschen Soldaten geschlafen hatten, wurden bei der Befreiung kahlgeschoren auf die Straßen getrieben und der öffentlichen Wut preisgegeben - die Chanel blieb von solch vulgären Exzessen verschont. Als sie auch nur zum Verhör geholt wurde, griff aus London Churchill ein und nahm sie unter seinen Schutz.

Vaughan ist nicht der Erste, der die Kollaboration der Chanel mit den Nazis beschrieben hat. Aber ihm standen größere Bestände aus Archiven zur Verfügung, die nach und nach zugänglich werden. Da er häufig aus Geheimdienstunterlagen zitiert, dürften ihm alte Verbindungen geholfen haben. Und so ist es ihm möglich, ein sehr detailliertes Bild der engen Verflechtungen von Freund und Feind zu zeichnen. Und auch zu zeigen, wie wenige dieser Gauner, Gangster und Massenmörder je in die unkomfortable Lage kamen, sich verantworten zu müssen.

Aus einer Randnotiz erfahren wir, dass Vaughan als junger Mann zwischen 1940 und 1945 in Frankreich war, als die Deutschen das Land überfielen und endlose Flüchtlingsströme auslösten. Nach zwei anderen, die sich ebenfalls mit Frankreich im Krieg beschäftigen, scheint ihm dieses Buch eine Herzensangelegenheit gewesen zu sein. Er hat es seiner Frau gewidmet und:

" ... jenen Männern und Frauen, die sich unter dem Joch der Nazis der Kollaboration verweigerten."
Buchcover Hal Vaughan: "Coco Chanel. Der Schwarze Engel"
Buchcover Hal Vaughan: "Coco Chanel. Der Schwarze Engel"© Verlag Hofmann und Campe
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