Glyphosat

"Das Problem liegt in der Risikobewertung"

Ein Bauer besprüht mit einem Traktor sein Feld, im Hintergrund ist eine Mühle zu sehen.
Seit 40 Jahren sind Unkrautvernichtungsmittel mit dem Wirkstoff Glyphosat weltweit im Einsatz. Jetzt muss die EU über die weitere Zulassung von Glyphosat entscheiden. © dpa/ picture-alliance/ Klaus-Dietmar Gabbert
Matthias Liess im Gespräch mit Dieter Kassel  · 19.05.2016
Die EU entscheidet heute über die Zulassung des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat. Ist es krebserregend oder nicht? Es gebe keine behördlichen Untersuchungen über die Auswirkungen auf die Gesundheit, kritisiert der Ökotoxikologe Matthias Liess.
Dieter Kassel: Andreas Meyer-Feist über den politischen und auch den wissenschaftlichen Streit rund um Glyphosat. Über beides wollen wir jetzt mit Matthias Liess sprechen, er ist Ökotoxikologe am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle. Schönen guten Morgen, Herr Liess!
Matthias Liess: Ja, schönen guten Morgen!
Kassel: Wir haben es ja gerade auch am Schluss noch mal gehört, dieses Mittel wird seit rund 40 Jahren eingesetzt, übrigens in ungefähr 160 Ländern auf der Welt, 40 Prozent der Äcker in Deutschland werden mit diesem Mittel bearbeitet. Wie kann es denn angesichts solcher Tatsachen sein, dass die Wissenschaft immer noch nicht klar sagt, ob und wie gefährlich Glyphosat ist?

Giftigkeit eines Stoffes ist keine Konstante

Liess: Nun, das Problem liegt in der Risikobewertung begründet. Wenn man versucht, die Giftigkeit eines Stoffes zu untersuchen, dann muss man bedenken, das ist keine Konstante, sondern das hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. So ist es zum Beispiel so, dass bei Pflanzenschutzmitteln Beistoffe hineingegeben werden, die dann es erleichtern, dass diese Stoffe in den Organismus eindringen. Alleine die Frage, ob man jetzt diesen Test mit oder ohne Beistoffe durchführt, führt zu vollkommen anderen Ergebnissen.
Das Zweite ist: Betrachtet man die Wirkung in der Umwelt, dann stellt man fest, man kann es versuchen vorherzusagen, die Wirkung nur dieses einen Stoffes zu bewerten. Auf der anderen Seite ist es aber so, dass natürlich noch andere Chemikalien in der Umwelt sind und dass es Mischungen gibt, die dann anders wirken als die eine Chemikalie.
Und jetzt kommt noch der dritte Aspekt dazu: Es ist so, dass Chemikalien natürlich nicht alleine die einzigen Stressoren sind, die in der Umwelt vorhanden sind. Für Pflanzen haben Sie zum Beispiel Trockenheit und für Tiere Nahrungsmangel. Das heißt also, es gibt viele, viele andere Stressoren und die interagieren mit den Pflanzenschutzmitteln.
Ich möchte Ihnen da ein ganz einfaches Beispiel mal im menschlichen Bereich deutlich machen, das verstehen wir immer am besten, würde ich sagen. Stellen Sie sich die Promillegrenze vor: Wenn man über der Promillegrenze im Auto sitzt und fahren möchte, dann wird man nicht tot im Auto zusammenbrechen. Wenn man aber dann einen Unfall macht und der liegt dann daran, weil eben die Reaktionsfähigkeit reduziert ist, dann hat man genau die Situation: Wir haben einen Stress, eine Anforderung, Sie müssen nämlich unfallfrei fahren. Und Sie haben ein Gift, Alkohol in diesem Fall, und das wirkt zusammen in ganz, ganz anderen Konzentrationen, als es jeweils alleine wirkt. Und das ist sehr, sehr schwer in der Risikobewertung abzubilden.

"Es gibt keine umfangreichen Monitoring-Untersuchungen"

Kassel: Einerseits. Andererseits auch nicht. Gerade bei Ihrem Beispiel mit der Promillegrenze, die gibt es ja aus guten Gründen und keiner kann sagen, für mich gilt die nicht, ich bin jetzt unter anderen Umständen unterwegs. So wie Sie es formulieren, hat doch eigentlich der Vizekanzler recht, der gesagt hat: Wenn nicht bewiesen ist, dass Glyphosat nicht gefährlich ist, dann können wir es auch nicht zulassen!
Liess: Ja, da haben Sie sicherlich recht, dazu kann man zwei Sachen sagen: Zum einen, auch die Promillegrenze ist natürlich keine Naturkonstante. In der DDR war die Promillegrenze bei null, bei uns liegt sie jetzt, soweit ich weiß, bei 0,5. Das heißt also, das ist in gewissem Maße Ermessenssache, welches Risiko möchte man eingehen.
Der zweite Aspekt ist: Es wäre sehr, sehr sinnvoll, dass man nicht nur versucht, aufgrund von Laboruntersuchungen hochzurechnen auf das, was im Freiland passiert. Also, das heißt, was einerseits beim Menschen passiert, wenn ich den jetzt mal als Freiland bezeichne, und was auch bei den Pflanzen und den Tieren passiert im Ökosystem, sondern man muss einfach mal rausgehen und gucken tatsächlich: Was passiert dort? Und das passiert leider überhaupt nicht.
Das heißt, es gibt keine umfangreichen Monitoring-Untersuchungen von menschlicher Gesundheit in Abhängigkeit von Pflanzenschutzmitteln. Und auch überhaupt keine Untersuchungen über das Ökosystem: Was passiert bei welchen Konzentrationen tatsächlich im Ökosystem? Das machen wir zwar seit einiger Zeit, aber nicht von behördlicher Seite.

Höhere Kosten durch Verzicht auf Glyphosat

Kassel: Nun ist es ja so, dass eine Substanz wie Glyphosat, die so lange schon im Einsatz ist, die ist natürlich für die Industrie besonders ertragreich, um dieses Wort zu benutzen. Denn es gibt sie so lange, es gibt kaum noch Forschungskosten und sie bringt sehr viel Geld. Ist es vielleicht auch eine Frage des Lobbyismus, welche Studien man da durchführt und welche nicht?
Liess: Na ja, das ist schwer zu entscheiden. Das kann ich nicht entscheiden. Aber natürlich gibt es verschiedene Interessen. Und man muss sehen, die Landwirte zum Beispiel werden, wenn sie auf Glyphosat verzichten müssen, zum Beispiel – das hatten Sie ja vorhin auch in der Anmoderation schon gesagt – mehr pflügen müssen. Das heißt, das kostet mehr Geld. Das heißt also, die landwirtschaftlichen Produkte werden dann etwas teurer, wenn man jetzt nicht den Landwirten die Bürde aufhalsen möchte, sodass sie noch weniger Einkommen haben. Das wiederum muss natürlich der Verbraucher tragen.
Auf der anderen Seite ist es so, dass die reinen Kosten der Lebensmittel oder des Getreides zum Beispiel an einem Brötchen - um mal wieder ein Beispiel zu nennen – das liegt im unteren Prozentbereich. Das heißt also, es gibt noch viele andere Kosten, die den Preis eines Brötchens bestimmen. Und wenn da jetzt das Getreide etwas teurer würde, dann würden wir das beim Bäcker überhaupt nicht merken.
Kassel: Matthias Liess, Ökotoxikologe am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle/Saale, über die Schwierigkeiten bei der Einschätzung der Gefährlichkeit von Glyphosat und die Hintergründe, die es für diese Schwierigkeiten vielleicht auch jenseits der Wissenschaft gibt. Herr Liess, vielen Dank für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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