Glückliches Ende des ersten großen Entführungsfalls der Bundesrepublik

Von Wolfgang Stenke · 16.12.2011
Am 29. November 1971 kidnappten in Herten zwei Männer Theo Albrecht. Bevor sie ihn in den Kofferraum seines Mercedes zwangen, ließen sie sich von ihm den Personalausweis zeigen. Sie mochten nicht glauben, dass der Mann im billigen Anzug der Besitzer von damals mehr als 600 Supermärkten war.
"Ich bin gesund. Ich bin natürlich sehr, sehr müde. Es hat mich ziemlich strapaziert."

17 Tage verbrachte der Unternehmer Theo Albrecht, Inhaber der Einzelhandelskette Aldi-Nord, in der Gewalt von zwei Entführern - bis ihn seine Familie am 16. Dezember 1971 freikaufte.

"Hatten Sie während der Zeit der Gefangenschaft daran geglaubt, dass dieser Fall gut ausgeht'" – "Ich hab' die Hoffnung nicht untergehen lassen." – "Was werden Sie nun weiter machen'" – "Ich habe das Bedürfnis nach sehr, sehr viel Ruhe."

Es war der erste große Fall von Entführung und Lösegelderpressung in der Geschichte der Bundesrepublik: Im westfälischen Herten lauerten am Abend des 29. November 1971 zwei Männer auf dem Parkplatz der Verwaltungszentrale der Discounterkette Aldi dem jüngeren der beiden Firmenchefs auf. Mit Waffengewalt bugsierten sie Theo Albrecht in den Kofferraum seines Mercedes. Zuvor ließen sie sich von ihm den Personalausweis zeigen. Die Entführer mochten nicht glauben, dass der Mann im billigen Anzug der schwerreiche Besitzer von damals mehr als 600 Supermärkten war.

Der eine der Entführer war der hoch verschuldete Rechtsanwalt Heinz-Joachim Ollenburg. Der andere hieß Paul Kron. In einschlägigen Kreisen kannte man ihn als "Diamanten Paul" – ein Beiname, der auf seine Karriere als Geldschrankknacker verwies. Obwohl sie mit der Automatikschaltung von Albrechts Auto nur schwer zurechtkamen, konnten die Gangster ihr Opfer nach Düsseldorf bringen und versteckten es zunächst in einer Garage, dann in einem Hinterraum von Ollenburgs Anwaltskanzlei. Fünf Tage nach der Entführung meldeten sie sich bei Theo Albrechts Bruder Karl, dessen Telefon abgehört wurde, obwohl die Familie die Polizei heraushalten wollte:

"Ich rufe an wegen Ihrem Bruder. Ist alles klar? – "Wer ist denn da?" – "Ihr Bruder hat Ihnen geschrieben heute." – "Ja? Ja, aber da ist doch ein Name vereinbart worden." – "Dr. Meier." – "Ach, ich bin froh, Herr Dr. Meier, dass Sie mich anrufen. Den Brief habe ich erhalten." – "Geht das klar'" – "Nein, das geht nicht klar. Ihr gedachter Weg ist nicht durchführbar. Wir können uns nicht frei bewegen, auch nicht mit Tricks. Der einzige Weg ist der Weg über den Vermittler."

Der Vermittler, den Albrechts Familie eingeschaltet hatte, war Franz Hengsbach, der katholische Bischof von Essen. Die Kripo tappte derweil im Dunkeln. – Günther Fänger, damals Leiter einer 70 Mann starken Sonderkommission:

"Wir haben uns alle vollständig umstellen müssen, weil wir sowas noch nicht kannten. Und haben dann auch entgegen den Wünschen der Familie ermittelt."

In den 17 Tagen, die Theo Albrecht in Ollenburgs Kanzlei im Zentrum von Düsseldorf gefangen gehalten wurde, versorgten die Entführer ihr Opfer aufs Beste: Sie überreichten ihm Lektüre wie die Zeitschrift "Der Volkswirt" und Esther Vilars Bestseller "Der dressierte Mann". Später, vor Gericht, hob Theo Albrecht deshalb die guten Manieren seiner Entführer hervor. Während Ollenburg und Kron ihre Forderung auf sieben Millionen DM hochschraubten, ging die Polizei schließlich an die Öffentlichkeit.

"Vor elf Tagen, am 29. November haben bisher unbekannte Täter in der Nähe von Essen den Großkaufmann Theo Albrecht entführt."

Die Entführer einigten sich mit der Familie Albrecht auf die Modalitäten der Übergabe des Lösegeldes. Am 16. Dezember 1971 war es soweit: Auf einem Feldweg in der Nähe von Ratingen-Breitscheid übergab Ruhrbischof Hengsbach die sieben Millionen – die Polizei blieb außen vor. Wenig später war Theo Albrecht ein freier Mann.

Paul Kron fasste die Polizei als ersten: Ein Radiohändler, bei dem er seine Schulden mit Scheinen aus der Millionenbeute beglich, gab den entscheidenden Hinweis. Heinz-Joachim Ollenburg, der verkrachte Rechtsanwalt, wurde in Mexiko festgenommen und nach Deutschland ausgeliefert. Das Essener Landgericht verurteilte die Entführer 1973 zu je achteinhalb Jahren Gefängnis. Die Hälfte des Lösegeldes ist bis heute verschwunden. Albrechts Anspruch, die 3,5 Millionen als Betriebsausgabe von der Steuer abzusetzen, wies das Finanzgericht Düsseldorf 1979 ab. Theo Albrecht, der das international verzweigte Aldi-Imperium mit seinem Bruder Karl teilte, starb am 24. Juli 2010 im Alter von 88 Jahren in Essen.