Glücklich zwischen den Stühlen

Von Sonja Kloevekorn · 21.02.2013
Als türkischstämmiger Berliner hat Mustafa Akça oft das Gefühl, zwischen den Stühlen zu sitzen. Mittlerweise kann er das aber durchaus genießen. Als Leiter des interkulturellen Projektes "Selam Opera!" arbeitet er seit zwei Spielzeiten an der Komischen Oper Berlin - und das äußerst erfolgreich.
Das Quartiersmanagement Donaustraße in Neukölln. In einem Ladenbüro mit gemütlicher Sofaecke und üppig gedecktem Frühstückstisch treffen sich einmal im Monat Frauen aus dem Kiez und unterhalten sich über alles, was sie bewegt. Heute mit dabei ist Mustafa Akça. Er ist Mitarbeiter der Dramaturgie und Musiktheaterpädagogik an der Komischen Oper Berlin. Mustafa Akça spricht mit den Frauen über die Aufführung der türkisch-deutschen Oper "Ali Baba und die 40 Räuber".

Akça: "Soll ich dir sagen, was passiert ist? Nachdem ihr uns besucht habt, hat unser Chefdramaturg gefragt: ‚Wie hat es den Damen gefallen?'"

Frau: "Super."

Akça: "Pass auf, euch hat es nicht super gefallen. Ihr hattet Anregung, Kritik."

Der 39-jährige Berliner trägt Jeans und schwarzen Pullover. Die schwarzen gelockten Haare sind hinters Ohr geklemmt. Mustafa Akça redet ruhig, einfühlsam und begeistert.

Seit zwei Spielzeiten leitet er an der Komischen Oper das interkulturelle Projekt "Selam Opera!", was das Ziel verfolgt, ein Publikum mit türkischer, kurdischer und arabischer Herkunft für Musiktheater zu begeistern.

Akça: "Und habt gesagt, naja, diese Beutel, die da sind, die findet ihr nicht so schön."

Frau: "Diese Taschen, diese Marktwochentaschen."

Akça: "Diese ganz bunten großen Taschen, du weißt Bescheid. Das haben wir dann unserem Chefdramaturgen gesagt, der hat es dann dem Regisseur gesagt und der hat gesagt: Gut, ist kein Problem, wir machen die Taschen weg."

Nach dem Treffen im Quartiersmanagement in einem türkischen Café um die Ecke. Bei einem Becher Ayran erzählt Mustafa Akça, wie er mit den Dramaturgen und Musiktheaterpädagogen der Komischen Oper das Projekt "Selam Opera!" entwickelt hat.

Akça: " Wir haben uns gefragt, was wünschen sich die Leute von der Oper und nicht, was wir jetzt von den Leuten erwarten, damit sie uns besuchen. Wir sind durch die Stadt gefahren und haben verschiedene Institutionen besucht, haben Projekte besucht, haben Verwaltungen besucht.

Wir haben Seniorenfreizeitstätten besucht, wir haben Vätergruppen besucht, Müttergruppen besucht und haben sie nach ihrer Meinung gefragt. Also wir haben uns vorgestellt als Oper, was Oper ist und was wir machen, und das erste, was kam aus der türkischstämmigen Community, war: ‚Was tut ihr denn für unsere Kinder?‘"

Das Team macht daraufhin eine Ausschreibung und kann schon in der ersten Spielzeit 23 Kinder türkischer, kurdischer und arabischer Herkunft für den Kinderchor der Komischen Oper gewinnen. Außerdem werden türkische Untertitel bei allen Opern angeboten, sowie Workshops für Müttergruppen und türkische Sprachkurse für Mitarbeiter. Und das Publikum? Tatsächlich kommen seither mehr Türken.

Akça: "Wenn dem türkischen Publikum was gefällt, dann könnte es auch sein, dass es laut loslacht oder es auch mal hier und da einen Szenenapplaus gibt. Beim typischen Opernpublikum würde ich jetzt meinen, so ist meine Beobachtung auch, dass die eher ruhiger sind und gediegener. Deswegen bitte ich da auch um Verständnis und Toleranz, falls es da mal zu solchen Sachen kommt."

Geboren wird Mustafa Akça 1973 in Berlin-Kreuzberg als ältester von vier Brüdern. Die türkischstämmige Familie lebt in dritter Generation in Deutschland. Der Erstgeborene spielt am liebsten Fußball und hört Depeche Mode. Nach der Oberschule macht er zunächst eine Lehre als Gas-Wasserinstallateur, holt im Anschluss daran das Abitur nach und beginnt schließlich ein Studium für Energie- und Versorgungtechnik.

Akça: "Und nach einer Weile, als ich gemerkt habe, das ist doch nicht das, was ich gerne hätte, habe ich eine Ausbildung zum Schauspieler absolviert."

Als Schauspieler arbeitet Mustafa Akça auf einem Kreuzfahrtschiff und auch für SAT.1 und das ZDF. Nach vier Jahren orientiert sich der 32-Jährige jedoch erneut um und macht eine Zusatzausbildung zum Quartiersmanager.

In Neukölln und Spandau entwickelt er sieben Jahre lang stadtteilbezogene Projekte. Eine Arbeit, die ihm Spaß macht. 2011 gibt ihm eine Kollegin dann den Tipp, sich an der Komischen Oper zu bewerben – als Leiter eines neuen interkulturellen Projektes.

Akça: "Das ist meine zweite Spielzeit und ich kann nur sagen, jeden Tag ist es für mich irgendwie neu und spannend und manchmal lache ich in mich rein und denke so: Toller Job! Dass es so was gibt."

Mustafa Akça ist mit einer Berlinerin zusammen. Verheiratet sind die beiden nicht. In seinen Augen ist die dritte Generation längst angekommen in der deutschen Gesellschaft. Nervt ihn da manchmal die Frage nach seinem kulturellen Hintergrund?

Akça: "Es gab mal eine Zeit, das hat mich dann wirklich sehr sehr genervt, wo ich dann gedacht habe, mein Gott, sprecht doch nicht über Migranten oder Gastarbeiterkinder oder über verschiedene Ethnien, sondern redet doch einfach mit den Leuten, ist doch egal, wo sie herkommen.

Aber mittlerweile denke ich, ja, wenn es diesen Bedarf gibt und bevor jetzt andere einspringen als Spezialisten, was wirklich öfters passiert, denke ich, mach ich das lieber, der sich damit halt besser auskennt. Und mein Wunsch ist es, langfristig, nachhaltig, dass es das überhaupt nicht mehr gibt, sondern dass die Menschen einfach nur Menschen sind."