Glosse über die Definition von Sport und Kunst

Was ein Duchamp-Kunstwerk und Tauziehen gemein haben

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Ist das Sport oder kann das weg? - Tauziehwettbewerb in der Schweiz. © picture alliance / dpa / Urs Flueeler
Von Arno Orzessek · 28.08.2016
Die Frage, was Sport sei, ist mindestens genauso umstritten wie die Definition von Kunst. Ist Tauziehen ein Sport? Was ist mit Segelfliegen oder E-Sport? Im Sport wie in der Kunst verschieben avantgardistische Ideen notorisch die Gren­zen.
Eines vorab: Eher holt Angela Merkel olympisches Gold im Stabhochsprung, als dass jemand eine Definition von "Sport" vorlegt, die umfassend und unstrittig wäre...

Zum Sport wird eine Spielform erst per Zuschreibung

Und das kann auch gar nicht anders sein. Denn seit der Industrialisierung entstehen ständig neue Bewegungs-, Geschicklichkeits- und Spielformen, deren sportlicher Status zunächst oft restlos ungeklärt ist.
Zum Sport wird eine populäre Bewegungs-, Geschicklichkeits- oder Spielform erst per Zuschreibung durch gewisse Instanzen: durch die Sportverbände, die Medien, die Förderer, die Zuschauer und natürlich die Aktiven selbst.
Eklatant abweichende Einschätzungen, Revisionen, Neubewertungen und Streit sind dabei die Regel, nicht die Ausnahme. Elektronischer Sport - kurz: E-Sport - etwa, ist für den Deutschen Olympischen Sportbund, der die "eigenmotorische Aktivität" zum Maßstab nimmt, keineswegs ein richtiger Sport.
Dabei tragen deutschland- und weltweit mehrere Millionen Spieler in der Electronic Sports League Wettbewerbe aus, deren eigenmotorische Anforderungen jenen beim Sport-Schießen, das der DOSB anerkennt, mindestens gleichkommen. Und wie steht es um den Sport-Status von Free-Solo-Klettern, Fallschirm-Springen, Segelfliegen, Schach, Formel 1, Skateboarden, traditionellen Kraft- und Mehrkämpfen, Darts, Billard? Tatsächlich führt die Frage, was Sport ist und was kein Sport ist, in ähnliche Zwickmühlen wie die Frage, was Kunst ist und was nicht...
Damit angefangen, dass hier wie dort die Anfänge gern in die blaue Ferne verlegt werden. Wir sprechen heute salopp von antiker Kunst, aber damals gab es nur Handwerk. Fußball wird angeblich seit 4000 Jahren gespielt, indessen war das chinesische Cuju kein Freizeit- oder Profi-Sport, sondern eine strikt militärische Übung.

Wenn Museen ein Werk aufnehmen, ist es Kunst

Im Sport wie in der Kunst verschieben avantgardistische Ideen notorisch die Grenzen. Als Marcel Duchamp 1917 in New York anonymerweise ein Urinal ausstellen wollte, wurde es abgelehnt. Begründung: keine Kunst. Heute gilt seine "Fontain" als Meilenstein.
Unbekannt ist, wie viele Kicker 1871 das Verbot des Handspiels abgelehnt haben. Sicher ist, dass Fußball ohne Handspiel jene scharfe Kontur erhielt, durch die es zur Weltsportart wurde. Und noch eine Parallele: Wenn die großen Kunst-Museen ein Werk aufnehmen, dann ist es Kunst, basta! So wie eine Sportart unzweifelhaft Sport ist, wenn sie olympische Weihen erhält.
Allerdings: Manche Kunst-Werke fliegen auch wieder raus oder sterben den Tod im Depot; so wie Polo, Cricket, Kunstreiten und Tauziehen ihren einstigen olympischen Status wieder einbüßten. Aber warum gilt Polo weiterhin als Sport, Tauziehen eher nicht? Wir sagten bereits: Eher holte Merkel Stabhochsprung-Gold, als dass solche Fragen endgültig geklärt würden.
Feststellen lässt sich immerhin, dass Kunst und Sport heute in einer fruchtbaren Beziehung stehen. Denn die Kunst des Dopings ist unbestreitbar ein Kern-Merkmal des Sports.
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