Globalisierung

Der "große Schub" ist vorbei

Chinesische Arbeiter bauen eine Smart-Watch zusammen.
Chinesische Arbeiter bauen eine Smart-Watch zusammen: Solche Jobs könnten bald nicht mehr ins "Reich der Mitte" wandern © AFP
Stefan Bielmeier im Gespräch mit Nana Brink · 29.08.2016
Die Globalisierung schreitet immer weiter voran. Wer würde daran zweifeln? Stefan Bielmeier beispielsweise. Der Chefvolkswirt der DZ Bank erklärt, warum die Globalisierung kein zwangsläufiger Prozess ist - und auch kein aktueller Trend mehr.
Kein anderer Trend hat unser Leben in den letzten Jahren so bestimmt wie die Globalisierung. Doch die beständige Zunahme der wirtschaftlichen Verflechtungen geschieht keinesfalls zwangsläufig. Der Chefvolkswirt der DZ Bank, Stefan Bielmeier, hat jetzt einen Globalisierungsindex errechnet - und der zeigt, dass der "große Schub" anscheinend vorbei ist.
Im Deutschlandradio Kultur sagte Bielmeier, in den nächsten Jahren würden deswegen wichtige Wachstumsimpulse fehlen. Laut dem Ökonomen läuft die Entwicklung schon seit der Finanzkrise 2008 /2009. Nur seien die Folgen bisher nicht so sichtbar gewesen.
Bielmeier macht den von ihm beschriebenen Anti-Globalisierungs-Trend an verschiedenen wirtschaftlichen Kennziffern fest. So gebe es weltweit nur noch einen sehr schwachen Investitionstrend - besonders in die sogenannten "Emerging Markets" (Aufstrebende Märkte) in den Schwellen- und Entwicklungsländern fließt weniger Geld als früher.
Auch im Export gehe die Dynamik zurück, sagte Bielmeier - Deutschland ist hier eher die Ausnahme als die Regel. Eine positive Folge hat das alles möglicherweise: Der Trend zur Verlagerung von Jobs ebbt ab. Doch das heiße nicht, dass es mehr Arbeitsplätze in den Industrieländern gebe werde, so der Experte: "Man wird natürlich versuchen, durch Automatisierung die Kosten weiter im Griff zu haben." (ahe)


Das Interview im Wortlaut:

Nana Brink: Die meisten Stimmen, die man ja aus der Politik und auch von Wirtschaftsverbänden hört, die hören sich so an: Nur, wenn die Wirtschaft wächst, geht es uns gut hier in Deutschland, und nur, wenn wir die Globalisierung annehmen, uns fit machen für die weltweite Vernetzung, dann sind wir für die Zukunft gewappnet.
Aber stimmt das wirklich? Stefan Bielmeier ist Chefvolkswirt der DZ-Bank, und er hat einen Globalisierungsindex erarbeitet, der genau das Gegenteil behauptet. Nämlich der Trend zur wirtschaftlichen Verflechtung weltweit, der geht zurück. Guten Morgen, Frau Brink!
Stefan Bielmeier: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Sie behaupten, wenn ich das mal so grob zusammenfasse, die Globalisierung ist schon wieder vorbei. Wie kommen Sie denn darauf?

Direktinvestitionen in Schwellenländer stagnieren

Bielmeier: Ja, guten Morgen. Ganz vorbei ist sie nicht, aber es geht nicht mehr weiter voran. Wir haben dazu einen Globalisierungsindex berechnet. Was haben wir dafür gemacht. Wir haben einfach die Direktinvestitionen uns angeschaut, die von den einzelnen Industrieländern in die Emerging Markets gegangen sind. Also es ist ein Index oder es sind Zahlen, die einfach angeben, ob man weiter in diese Länder investiert. Und da zeigt sich, dass das tatsächlich deutlich zurückgeht. Es sinkt noch nicht, aber es nimmt auch nicht mehr zu.
Das heißt letztendlich, dass einfach der große Schub der Globalisierung vorbei zu sein scheint, und damit natürlich auch der große Wachstumsschub, der uns durch die Globalisierung erlangt hat, etwas geringer geworden ist. Das Ganze kann man auch natürlich nicht nur an den Direktinvestitionen sehen, das kann man auch an den Exportzahlen sehen. Da ist Deutschland zurzeit eher eine Ausnahme. Bei uns wächst der Export noch recht kräftig, aber in vielen anderen Ländern geht auch hier die Dynamik deutlich zurück, sodass man insgesamt durchaus sagen kann, dass der Globalisierungstrend oder der Trend hin zur Globalisierung deutlich nachgelassen hat, eventuell sogar etwas zurückgewickelt wird, sodass uns hier wichtige Wachstumsimpulse in den nächsten Jahren fehlen werden.
Brink: Welche Firmen oder welche Unternehmen haben Sie denn aufgenommen in Ihren Index? Das macht ja schon einen Unterschied. Können Sie da Beispiele nennen?
Bielmeier: Nein, das geht nicht über Firmen, sondern diese Zahlen werden, ich sage mal, gesamtgesellschaftlich ermittelt, weil die einzelnen Unternehmen berichten das gar nicht so, was sie denn wie investieren. Aber das Statistische Bundesamt und die Bundesbank ermitteln diese Zahlen aggregiert für Deutschland, und die kann man dann nehmen. Und das kann man sich eben nicht nur für Deutschland nehmen, sondern auch für alle anderen Länder. Und damit kann man das zusammenrechnen. Auf Unternehmensebene geht das leider nicht, weil das nicht berichtet werden muss und die Unternehmen aus verschiedenen Gründen das nicht berichten.
Brink: Seit wann beobachten Sie denn diese Entwicklung?
Die Warenterminbörse New York Mercantile Exchange (Nymex) in New York City. 
Warenterminbörse in New York 2008: Mit der Finanzkrise fing alles an© imago/UPI Photo
Bielmeier: Diese Entwicklung geht eigentlich schon vier, fünf Jahre lang. Eigentlich kann man das fast seit der Finanzkrise 2008, 2009 beobachten. Nur waren die Effekte am Anfang einfach nicht sichtbar. Und so langsam werden die Effekte natürlich langsam sichtbar und dadurch insgesamt auch wichtiger für die Entwicklung auch in Deutschland.
Brink: Welche Effekte werden denn sichtbar?
Bielmeier: Ja gut, einfach, dass wir zum Beispiel – der deutlichste Trend, der dadurch sichtbar ist, dass Investitionen der Unternehmen einfach nachlassen. Wir haben weltweit einen sehr, sehr schwachen Investitionstrend, also in Unternehmen investieren einfach sehr wenig. Und das ist bei uns der Fall in Deutschland, aber auch in vielen anderen Ländern, und das ist sozusagen der größte Faktor, den man zurzeit dadurch beobachten kann.
Brink: Haben Sie schon Reaktionen auf Ihre Thesen bekommen? Denn man guckt sich ja an, was die anderen Chefvolkswirte der großen Banken sagen, und da haben wir nichts Ähnliches feststellen, recherchieren können.
Bielmeier: Nein, da haben wir noch nichts gehört. Ich meine, diese These, dass die Globalisierung nachlässt, die ist ja jetzt nicht ganz neu. Man konnte es nur nicht wirklich immer nachweisen. Es wurde schon länger vermutet. Wir haben es jetzt mal ein bisschen nachgerechnet. Da werde ich jetzt die nächsten Zeit sicherlich ein paar Reaktionen bekommen. Aber insgesamt ist diese These nicht ganz neu, nur wir konnten es jetzt tatsächlich mal nachweisen an harten Zahlen.
Brink: Die entscheidende Frage wird ja sein, was bedeutet das zum Beispiel für Deutschland oder auch für Europas Volkswirtschaften?

"Die Globalisierung war ein wichtiger Wachstumsfaktor"

Bielmeier: Ja, was bedeutet das? Das ist genau die Frage, weil die Globalisierung war ja schon ein wichtiger Wachstumsfaktor. Es hat dazu beigetragen, dass die Inflation sehr lange niedrig war, dass das Wachstum eigentlich sehr stark gewachsen ist weltweit. Und die Folgen dieser nachwachsenden Globalisierung jetzt langsam doch deutlich sichtbar.
Das weltweite Wachstum liegt die letzten Jahre maximal bei drei Prozent, dieses Jahr sogar unter drei Prozent. Vor der Finanzmarktkrise lag es noch bei fünf Prozent, vielleicht sechs Prozent. Von daher: Wir haben einfach einen viel schwächeren Wachstumstrend weltweit, aber auch in Deutschland. Das deutsche Wachstum läuft sehr gut, aber insgesamt ist das Wachstum auch bei uns nicht so stark wie in der Vergangenheit.
Brink: Ich würde es noch mal ein bisschen genauer verstehen wollen. Was bedeutet das, wenn wir nicht mehr sozusagen in den Kategorien der Globalisierung denken? Bedeutet das, dass Unternehmen ihre Produktion nicht mehr ins Ausland verlagern, wo sie billiger angeblich war, sondern wieder zurückverlagern nach Deutschland?
Bielmeier: Ja, genau, das ist auch der Fall. Man verlagert weniger. Es bleibt mehr im Inland, das sieht man auch in den Zahlen. Also dieser ganze Trend hin zur Verlagerung, der ebbt etwas ab. Das ist natürlich auch nicht alles schlecht dann, aber natürlich fehlt uns dann auch das Wachstum in den Emerging Markets, in den Entwicklungsländern, die uns noch mal neu einen deutlichen Schub dann geben.
Brink: Aber es gibt ja einen Grund, warum die Unternehmen das machen. Warum verlagern sie zurück? Weil es sich anscheinend nicht mehr lohnt?
Bielmeier: Es lohnt sich nicht mehr. Das liegt, denke ich mal, auch daran, dass die Löhne in den Ländern, in den Entwicklungsländern, den Emerging Markets wie in China, kräftig gestiegen sind, sodass sich einfach dieser Aufwand vielleicht gar nicht mehr lohnt.
Brink: Wenn aber die Produktion hierher verlagert wird, dann stelle ich mal die These auf, dass damit nicht unbedingt die Arbeitsplätze steigen, sondern man wird sich natürlich in Fragen der Automatisierung, also Stichwort Wirtschaft 4.0, ja dann weiter betätigen. Das bedeutet ja nicht unbedingt, dass die Wirtschaft dann bei uns wächst und es mehr Arbeitsplätze gibt.
Bielmeier: Dass es unbedingt mehr Arbeitsplätze gibt, heißt das nicht. Man wird natürlich versuchen, durch Automatisierung, Industrialisierung die Kosten weiter im Griff zu haben. Aber wir haben ja jetzt schon in vielen Teilbereichen in Deutschland Vollbeschäftigung. Einen kräftigen Arbeitsplatzaufbau könnten wir wahrscheinlich gar nicht bewältigen zurzeit, weil wir einfach die Arbeitnehmer nicht hätten.
Brink: Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ-Bank. Vielen Dank für Ihre Einschätzung. Und er hat die These aufgestellt, die Globalisierung ist schon fast wieder vorbei. Und dafür hat er einen Globalisierungsindex erarbeitet. Vielen Dank, Herr Bielmeier!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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