Globale Krisen

Das Versagen der Linken

Protestplakate
Protestplakate © picture alliance / dpa / Boris Roessler
Von Christian Schüle · 27.09.2016
Auf die epochalen Herausforderungen unserer Zeit: Finanzmarktdesaster und Kapitalismuskrise, sowie Rechts-Populismus und Nationalismus – hat ausgerechnet die politische Linke keine tragfähige Gegenentwürfe anzubieten, meint der Soziologe Christian Schüle.
Es ist weit mehr als nur ein Treppenwitz der Geschichte, dass in der größten Krise des globalen Finanzmarktes und in einer der größten Krisen des zivilisierten Europas ausgerechnet eine Kraft nicht profitiert: die Linke. Offensichtlich ist Links "out", da es doch gerade unerhört "in" sein müsste. Das hat mehrere Gründe; und zusammen genommen lassen sie den Schluss des intellektuellen Versagens zu.
Gegen ein in Teilen durchaus pervertiertes System globaler Geldwirtschafts-Exzesse, zu einer durch individuelle Raffgier, kollektive Verantwortungslosigkeit und politische Protektion verursachten Finanzkrise hat die Linke keine seriöse ökonomische Gegenthese anzubieten. Der Zeitgeist lockt zwar verstaubte Marxisten aus ihren Löchern, aber der entgrenzten Globalwirtschaft im Prozess einer Technologierevolution 4.0 kann man ja nicht ernsthaft mit Marx oder Neo-Marx kommen.

Kapitalismus ist an keiner seiner Krisen zugrunde gegangen

Obwohl der Kapitalismus bis heute offensichtlich an keiner seiner Krisen zugrunde gegangen ist – was Marx bekanntlich prophezeit hatte – hält sich der ideologische Widerstand gegen Markt und freies Unternehmertum bei der Linken, mit weltfremder und aggressiver Beharrlichkeit. Obwohl nüchterner sozialhistorischer Empirie zufolge weltweit betrachtet in den vergangenen 200 Jahren überall dort, wo kapitalistisch organisierte marktwirtschaftliche Ordnungen gegeben waren, die absolute Armut verringert wurde, der generelle Wohlstand gestiegen und die globale Ungleichheit gesunken ist.
Der ständige Rekurs der Linken auf ihre wie eine Monstranz vor sich getragenen revolutionären Vorbilder ist lächerlich geworden. Der pathetisch besungene "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" in Lateinamerika ist ebenso an der Realität ökonomischer Wertschöpfung und Korruption gescheitert, wie der real existierende Kommunismus des 20. Jahrhunderts an Freiheitsberaubung und Insolvenz.
Weltverbesserung geht heute, anders als in einer kurzen Episode der für sie paradiesischen 70er-Jahre, an der politischen Linken vorbei. Welches Mantra fällt linken Politikern und Intellektuellen als Allzwecklösung aller Probleme gewöhnlich ein? Steuererhöhung! Für Reiche, Gutverdiener, Erben und Vermögende.

Wie wäre es mit Infrastrukturprogrammen

Wie wäre es denn etwa, statt soziale Gerechtigkeit als rein konsumtive, materialistisch programmierte Klientelpolitik zu begreifen, mit struktureller, nachhaltiger Frühkindförderung zur Chancengleichheit? Oder mit Infrastrukturprogrammen für soziale Arbeit zur Gewaltprävention?
Schließlich lässt die politische Linke es zu, dass die Verteidigung der freien Welt an Nationalkonservative und die Neue Rechte delegiert wird. Gegen die teilweise gewaltbereite Bewegung der radikalen Rechten hat die Linke keine progressive Gegenkraft aufzubieten. Wie denn lautet ihr überzeugendes Projekt gegen den allerorten einsetzenden Nationalismus – Vereinigung aller gut verdienenden Fach-Arbeiter? Weltbürgergesellschaft nach Kantischem Vorbild? Weltrevolution auf den Straßen Europas?
Linker Populismus als Antwort auf den rechten ist keine seriöse Problemlösung, und in ihrer Aversion gegen Europa und die EU sind extreme Linke und extreme Rechte einander bestens verbunden. Hierzulande laufen die bisherigen Wähler der Linkspartei in Scharen zur AfD über, und es geht dabei nicht um Fremdenfeindlichkeit allein, sondern vornehmlich um Verlustängste des "kleinen Mannes", also des linken Stammkapitals.
Linke Weltbilder waren immer elitär-verkopfte Erziehungs- und Umverteilungsprogramme; die kompakte nationalkonservative Rechte aber setzt auf die große Emotion. Die Sehnsüchte des sich heimatbedroht fühlenden einfachen Bürgers hat die Linke jahrelang nicht verstanden, ignoriert oder denunziert.
Die eitle Behauptung eines moralischen Monopols auf das richtige politische Bewusstsein im angeblich falschen Leben ist zu einer Farce geworden. Nichts aber ist für die demokratische Kultur schlimmer als wenn die, die ständig nach einer Alternative schreien, selbst keine mehr darstellen. Das ist die Tragödie unserer Epoche.

Christian Schüle, 45, hat in München und Wien Philosophie, Soziologie und Politische Wissenschaft studiert, war Redakteur der ZEIT und lebt als freier Essayist, Schriftsteller und Autor in Hamburg.




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