Glenn Lambert: Deutschland war lange ein Unwort

Glenn Lambert im Gespräch mit Jürgen König · 07.09.2009
Der Sohn der deutschen Hochspringerin Margarete Bergmann-Lambert, Glenn Lambert, freut sich, dass die Geschichte seiner Mutter mit dem Film "Berlin '36" einem größeren Publikum bekannt wird. Die Teilnahme der jüdischen Sportlerin an den Olympischen Spielen 1936 war von den Nazis verhindert worden.
Jürgen König: Ihre Mutter konnte 1937 in die USA immigrieren, heiratete dort, hieß dann nicht mehr Gretel Bergmann, sondern Margarete Bergmann-Lambert. Wie hat Ihre Mutter von diesen Ereignissen erzählt? Wie groß war der Schmerz über diese Nicht-Teilnahme an den Olympischen Spielen und überhaupt über all das, was die Nazis ihr angetan hatten?

Glenn Lambert: Also, diese Ereignisse geschahen ja im Leben meiner Mutter, als sie 22 Jahre alt war, und das war eine Zeit in ihrem Leben, in der sie die ganze Zeit sich auf diese Olympiade vorbereitet hat. Sie hat darauf hingearbeitet, auf dieses Ereignis, und natürlich war das sehr, sehr schmerzhaft für sie, dann nicht daran teilnehmen zu können. Mein Bruder und ich, wir wussten davon in einer gewissen, ja, vereinfachten Form der Geschichte, nicht von allem, was ihr passiert war, aber sie war natürlich sehr wütend darüber, was die Nazis ihr angetan hatten. Gleichzeitig wusste sie aber auch, dass sie nur eine von Millionen Menschen war, denen Schlimmes angetan wurde und sehr vielen natürlich auch weitaus Schlimmeres. Und ihre Geschichte hatte immerhin noch ein gutes Ende, sie konnte immigrieren, sie gehörte zu der Minderheit der Überlebenden. Also, es waren immer diese zwei Seiten, einmal diese schlimmen Ereignisse in ihrer Jugend und auf der anderen Seite halt das Glück, dass sie immigrieren konnte.

Jürgen König: Das, was da passiert ist, ist ja eigentlich unglaublich, ein unglaublicher Vorgang: Damit die jüdische Sportlerin Gretel Bergmann nicht gewinnt, schicken die Nazis eine Konkurrentin ins Rennen, die aber in Wirklichkeit ein Mann ist. Was hat man dazu in den USA gesagt? Konnte man sich derlei überhaupt vorstellen, weil es so unglaublich ist?

Lambert: Man reagierte in den USA überhaupt nicht darauf, da man einfach überhaupt nichts darüber wusste. Das war vollkommen unbekannt, diese Geschichte der Dora Ratjen, wie sie in Wirklichkeit hieß, war ja überhaupt nicht herausgekommen. Sie war so niemandem bekannt. Die offizielle Version der Nazis war eine ganz andere, und dieser Teil des Films ist natürlich ein bisschen fiktionalisiert worden. Das war für die Geschichte gut, aber es war halt, wie gesagt, kein öffentliches Ereignis in der Wirklichkeit. Die deutsche Presse druckte damals die offizielle Version, dass meine Mutter krank war und dass sie nicht in der Lage gewesen sei, bei den Spielen teilzunehmen, und die wahre Geschichte, dass es sich um einen Mann handelte, der an ihrer Stelle antreten sollte, die kam überhaupt nicht raus. Das ist wahrscheinlich jetzt bei dem Film das erste Mal, dass dies einem größeren Publikum bekannt wird.

Jürgen König: Das heißt, auch Ihre Mutter hat nichts davon gewusst. Wenn Sie Fiktion ansprechen – sind die anderen Teile des Films historisch so zutreffend? Hat es zum Beispiel dieses Mobbing, das wir im Film sehen, anderer deutscher Sportlerinnen gegen ihre Mutter, hat es das so gegeben?

Lambert: Ja, das war natürlich eine unmögliche Situation für sie. Sie hatte es geschafft, aus Nazi-Deutschland zu entkommen, sie war geflohen und lebte ja in England und wurde dann gezwungen, zurückzukehren. Die Nazis hatten sie gezwungen, für diese Olympiade zurückzukommen. Sie war die einzige Jüdin, die antrat gegen alle möglichen anderen Sportler, aber alle sogenannter arischer Abstammung, also sie war wirklich die einzige und sah sich konfrontiert mit den Hakenkreuzen, die überall hingen, uniformierten Offizieren und so weiter, und ich finde das sehr schwer vorstellbar, wie sie damit zurechtgekommen ist. Die Athleten, die anderen Sportler waren natürlich sehr eingeschüchtert vom System, aber sie sagte, dass sich einige doch sehr bemüht hätten, in dieser Situation menschlich zu bleiben gegenüber der Jüdin, die sie nun mal als Einzige dort war.

Jürgen König: Wenn Sie jetzt, Glenn Lambert – Sie sind in Berlin –, wenn Sie ins Olympiastadion gehen, wo sich das alles nun zutrug beziehungsweise eben nicht zutrug, was geht Ihnen da durch den Kopf?

Lambert: Ich war im Jahre 1995 in Berlin und habe eine Sportanlage besucht in Wilmersdorf, die den Namen meiner Mutter trägt. Sie war auch eingeladen, brachte es damals aber noch nicht fertig, nach Berlin zu fahren, also sind mein Bruder und ich hingefahren. Und, ja, das Olympiastadion ist jetzt wahrscheinlich der einzige Ort in Berlin, wo noch ein Beleg der Nazi-Zeit ist in diesen Dimensionen, was jetzt keine Gedenkstätte ist oder ein Erinnerungsort, der die Geschichte aufarbeitet, sondern einfach in dieser Art, wie es damals gebaut wurde. Ich bin dort mit sehr gemischten Gefühlen hingegangen. Einerseits hatte ich natürlich diese schreckliche Geschichte im Kopf, und andererseits sind die Leute, die das damals angerichtet haben, schon lange weg. Die nachfolgende Generation ist, wie ich finde, mit sehr viel Verständnis mit der Vergangenheit umgegangen und hat darauf sehr gut reagiert, und das ist etwas, was ich auch bewundere. Und ich weiß, dass meine Mutter das auch bewundert und nach Jahren, in denen Deutschland ein Unwort war, das man nicht benutzen konnte, hat sie die Erfahrung mit normalen, jungen, deutschen Menschen, die auf eine gute Art mit ihrer Geschichte umgegangen sind, diesen Hass vergessen lassen oder diesen Hass mildern lassen. Nein, sie war noch nicht wieder im Olympiastadion, aber ich denke, dass sie so reagieren würde wie ich auch.
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