Gleichberechtigung im Netz

Im Internet muss Platz für alle sein

Mehrere Netzwerk-Kabelstecker leuchten in der Netzwerkzentrale der Messe Friedrichshafen (Baden-Württemberg).
Wie schnell die Daten fließen entscheiden mehr und mehr Netz-Platzhirsche wie Google oder Facebook. Das soll künftig besser kontrolliert werden. © picture alliance / Felix Kästle
Jan-Peter Kleinhans im Gespräch mit Nana Brink · 30.08.2016
Die Umsetzung einer EU-Verordnung zur so genannten Netzneutralität steht an. Sie soll dafür sorgen, dass Daten aller Anbieter gleichberechtigt im Internet abrufbar sind. Netzexperte Jan-Peter Kleinhans erklärt, wie verhindert werden kann, dass sich Google und Co. Vorrang im Netz kaufen können.
Im letzten Jahr hat das EU-Parlament eine EU-Verordnung zur Netzneutralität verabschiedet. Darin geht es darum "gemeinsame Regeln zur Wahrung der gleichberechtigten und nichtdiskriminierenden Behandlung des Datenverkehrs bei der Bereitstellung von Internetzugangsdiensten" zu finden
Wie die Vorgaben konkret umgesetzt werden sollen, muss das Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (GEREK) nun entscheiden. Vor allem müsse es darum gehen zu verhindern, dass Platzhirsche wir Google oder Facebook "ihren Griff ans Internet verfestigen und damit neuen Startups, neuen Ideen, kleinen Dingen im Internet die Chance nehmen groß zu werden", sagt Jan-Peter Kleinhans, Projektleiter bei der Stiftung Neue Verantwortung.

Telekommunikations-Anbieter sind käufllich

Derzeit sei es noch möglich, dass etwa Telekommunikations-Anbieter wie die Deutsche Telekom spezielle Verträge mit Google oder Facebook abschließen, damit deren Dienste besonders schnell übertragen würden, während andere Anbieter im Netz zu Stoßzeiten ihre Daten wesentlich langsamer übertragen könnten.
"Es gibt bestimmte Szenarien, die nur sehr schwierig für den Endverbraucher herauszufinden sind. Und da muss dann die Regulierungsbehörde eingreifen – und dafür braucht sie sehr gute Mechanismen."
Es dürfe jedenfalls nicht sein, dass sich bestimmte Anbieter so ohne weiteres Schnelligkeit im Netz kaufen könnten. Dabei könne das Kontrollgremium GEREK das Rad zwar nicht neu erfinden. Es könnten jedoch Tools entwickelt werden, die das Netz für alle offen halten - und zwar auf unabhängiger, selbstständiger Basis und nicht nur auf Zuruf der Europäischen Kommission.

Das Interview im Wortlaut:

Nana Brink: Eigentlich soll das Internet ja für alle Informationen gleich verfügbar sein, oder anders gesagt: Egal welche Information, sie sucht sich ihren Weg. So war das freie Internet mal gedacht und das ist es natürlich nicht mehr, denn große Dienste wie zum Beispiel Amazon oder die Telekom bezahlen viel Geld dafür, dass ihre Informationen schneller durchs Netz rauschen. Damit sind wir beim Thema Netzneutralität, also der Gleichbehandlung aller Datenpakete im Internet. Wie kann man das auf europäischer Ebene regeln?
Dazu gibt es ein Gremium europäischer Regierungsstellen für elektronische Kommunikation, sozusagen ein Gremium, wo alle Bundesnetzagenturen aller Länder sich vereinigt haben. Und die wird sich heute erklären, sie wird nämlich erklären, wie das funktionieren soll mit der Netzneutralität auf europäischer Ebene. Und wie das gehen kann, das will ich jetzt mit Jan-Peter Kleinhans besprechen. Er ist Projektleiter für IT-Sicherheit und das Internet der Dinge bei der stiftung neue verantwortung, einem Berliner Thinktank für die Gesellschaft im technologischen Wandel. Und jetzt ist er hier in "Studio 9", schönen guten Morgen!
Jan-Peter Kleinhans: Schönen guten Morgen!
Brink: Was unterscheidet dieses Gremium denn nun genau und warum ist das so wichtig?
Kleinhans: Also, das Gremium heute veröffentlicht die Leitlinien zu dem Gesetzespaket, was letzten Herbst vom Europäischen Parlament verabschiedet wurde.
Brink: Und warum ist das so wichtig, dass wir uns mit diesem Thema auf europäischer Ebene auseinandersetzen?
Kleinhans: Das Wichtige dabei ist, dass es letztlich um die Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der EU geht und auch zur Sicherung unseres Internets. Das heißt, wir haben das Internet über die letzten 25 Jahre kennen- und schätzen gelernt und die Frage ist jetzt: Wie geht es damit weiter? Verändert es sich grundlegend oder können wir essenzielle Werte des Internets behalten?

Die Platzhirsche haben das Internet fest im Griff

Brink: Was sind denn essenzielle Werte und wie kann es sich verändern? Also, wenn Sie das Szenario für uns noch mal aufdröseln!
Kleinhans: Also, anhand der 500.000 Stellungnahmen, die zu diesen Leitlinien im Vorlauf bei der GEREK einkamen, hat sich die Zivilgesellschaft vor allen Dingen dafür ausgesprochen, die Neutralität des Internets zu schützen. Das bedeutet, wie Sie schon angesprochen haben, dass es eben nicht möglich sein soll, dass sich die zurzeit großen Platzhirsche wie zum Beispiel Google, Facebook und weitere, ihren Griff ans Internet verfestigen und damit neuen Start-ups, neuen Ideen, kleinen Dingen im Internet die Chance nehmen, groß zu werden. Weil, man vergisst immer, dass Google und Facebook ja auch mal klein waren und dann ganz groß wurden und nur durch das Internet groß wurden. Und diese Chance müssen wir uns erhalten, dass kleine Dinge im Internet ganz groß werden können.
Brink: Was machen denn die Großen, dass die Kleinen nicht mehr groß werden können?
Kleinhans: Eine Sache sind da zum Beispiel Spezialdienste. Das war ein zentraler Streitpunkt in dem Gesetzespaket, das heißt, dass ein Telekommunikationsanbieter – bei uns ist das die Deutsche Telekom, 1und1, Vodafone –, dass die jetzt einen Vertrag machen können mit Google oder Facebook, dass Dienste, die über Google oder Facebook zur Verfügung gestellt werden, besonders schnell übers Internet transportiert werden. Das heißt, jeder von uns kennt das leider, wenn man abends um sieben oder acht nach Hause kommt, ist das Internet relativ langsam, weil dann jeder das Video gucken will oder jeder guckt noch mal schnell Nachrichten. Und in diesen Stoßzeiten gibt es dann die Möglichkeit über priorisierte Übertragung für solche Platzhirsche, sich letztlich besonders schnellen Zugang zu den Kunden zu kaufen.
Brink: Also, man kauft sich Schnelligkeit, …
Kleinhans: Man kauft sich Schnelligkeit.
Brink: … die man an die Kunden weitergibt.
Kleinhans: Genau.

Das Netz braucht Schnelligkeit

Brink: Jetzt ist ja die große Frage, wie kann man das verhindern. Wenn ich das richtig verstanden habe, will dieses Gremium europäischer Regierungsstellen, also diese Art europäische Netzagentur, ja verhindern – wenn ich das richtig sehe –, dass das Internet von Einzelnen gekauft wird, oder die Schnelligkeit im Internet. Wie kann man das herstellen, wie kann das funktionieren?
Kleinhans: Genau, letztlich geht es darum, dass eine Verknappung nicht zu Geld gemacht werden kann. Das heißt, wir regulieren ja Netzneutralität nicht einfach so, weil es gerade Spaß macht, sondern wir regulieren das ja, weil wir Probleme mit unserem Netz haben. Das heißt, wenn wir überall Glasfaser hätten, hätten wir auch kein Problem mit Netzneutralität. Die Frage ist jetzt also, wie können wir Anreize schaffen, dass auf der einen Seite die Telekommunikationsprovider ihre Netze weiter ausbauen und so schnell ausbauen, wie es die Bevölkerung braucht, auf der anderen Seite wir aber nicht in eine Sackgasse laufen, dass auf einmal durch dieses Einkaufen von Spezialdiensten oder Netzwerkmanagement der Provider ein Interesse daran hat – ein Internetprovider wie 1&1 oder Deutsche Telekom –, ein Interesse daran hat, dass das Netz knapp ist, dass die Ressource Internetzugang knapp ist und ich somit diese knappe Ressource zu höheren Preisen verkaufen kann. Die GEREK hat da zum Beispiel …
Brink: Das ist das Gremium, muss man noch sagen, das ist die Abkürzung.
Kleinhans: Das ist das Gremium, genau. In ihren Leitlinien, die das Gesetzespaket der EU jetzt konkretisieren, hat sie zum Beispiel gesagt, dass die nationalen Regulierungsbehörden – bei uns ist das die Bundesnetzagentur – bei Verstößen gegen Netzneutralität vorgehen kann und Sanktionen verhängen kann. Das ist natürlich ein sehr schwaches Mittel, weil man erst mal herausfinden muss, dass verstoßen wurde. Und das ist gar nicht so einfach. Das heißt, da hätte sich die Zivilgesellschaft einen stärkeren Hebel gewünscht. Das heißt, ich muss erst mal herauskriegen, dass hier in dem eigenen Netzwerk, bei der Telekom, der Telekommunikationsprovider künstlich eine Verknappung herführt, um somit die Kunden dazu zu bringen, mehr Priorisierung zu kaufen, mehr Geschwindigkeit.
Brink: Aber das könnte doch eigentlich passieren. Weil, wir wissen ja, dass viele Dienste ja was Besonderes anbieten, zum Beispiel, nehmen wir Spotify, der Musikdienst, wo man Musik streamen kann, der hat ja auch mal einen Deal gemacht mit Facebook und hat dann festgestellt: Okay, wenn ihr zu uns kommt, dann kriegt ihr die Musik schneller. Wäre das so ein Beispiel, wo man nachweisen könnte, dass ein Kunde bevorzugt wird?
Kleinhans: Genau, das wäre ein Beispiel für Bevorzugung. Ein anderes wäre, das haben wir in den USA gesehen, die sind da quasi zwei Jahre schneller bei der Regulierung zu Netzneutralität, dass zwei Internetprovider sich sozusagen intern gestritten haben, wer jetzt wie viele Daten dem anderen zuschieben darf, und dann hat der eine Internetprovider einfach gesagt, okay, alle Daten, die von diesem anderen Provider kommen, die verlangsame ich jetzt in meinem Netzwerk. Und das konnten Kunden nicht so schnell herauskriegen, weil man eben nicht verstanden hat: Warum sind meine Daten auf einmal so langsam, nur weil ich diese Internetseite besuche oder nur weil ich diesen Dienst benutze, aber alles andere ist gleich schnell? Das heißt, es gibt bestimmt Szenarien, die wirklich sehr schwierig für den Endverbraucher herauszufinden sind, und da muss dann die Regulierungsbehörde eingreifen und dafür braucht sie sehr gute Mechanismen.
Brink: Wie aussichtsreich sehen Sie das, dass diese Richtlinien, die jetzt entschieden worden sind, dass die auch greifen? Sie haben ja schon gesagt, das ist eher wie so ein zahnloser Tiger, nicht?
Kleinhans: Also, ich glaube, die GEREK ist da auf einem guten Weg. Man muss natürlich auch eingestehen, sie können nur mit dem arbeiten, was ihnen von der EU vorgelegt wurde. Sie können jetzt nicht das Rad neu erfinden. Die sind ist da auch natürlich wieder die Ressourcen. Das heißt, arbeitet die GEREK mit der technischen Community zusammen, um Tools zu entwickeln, die das Netzwerk …
Brink: Offenhalten.
Kleinhans: … offenhalten, die auch analysieren können, gibt es hier Netzwerkmanagement durch einen Provider, was nicht in Ordnung ist? Und da arbeitet die zum Beispiel mit der Internet Engineering Task Force zusammen, das ist das weltweite Gremium, die weltweite Community, die sich um die technischen Protokolle des Internets kümmert, das heißt, da ist schon ein Austausch da, und die GEREK muss sich auch ihrer neutralen Position klarwerden, und ich glaube, das wird sie, dass sie eben nicht auf Zuruf von der Kommission arbeitet, sondern dass es ein unabhängiges Gremium ist. Und ich glaube, da wird in den nächsten Jahren viel Arbeit auf sie zukommen.
Brink: Eine wichtige Zukunftsfrage. Vielen Dank, Jan-Peter Kleinhans von der stiftung neue verantwortung, er leitet dort das Projekt IT-Sicherheit und das Internet der Dinge. Schönen Dank für …
Kleinhans: Danke schön!
Brink: … diese Erklärungen, und wir sprachen über die Netzneutralität. Heute entscheidet ja oder gibt das Gremium europäischer Regierungsstellen für elektronische Kommunikation bekannt, wie sie das denn herstellen will.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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