Gleichberechtigung

"Im Islam steht nichts gegen Emanzipation"

Moderation: Philipp Gessler · 07.12.2013
Die Islamwissenschaftlerin Derya Sahan ist die erste Vorsitzende des gerade gegründeten ersten bundesweiten muslimischen Frauenverbandes. Die Gründung sei zweifellos in der deutschen Gesellschaft ein wichtiger Schritt zu mehr Emanzipation der muslimischen Frauen.
Philipp Gessler: Am vergangenen Wochenende wurde in Köln der Bundesfrauenverband der größten islamischen Organisation der Bundesrepublik, von DiTiB, gegründet. DiTiB ist eine Vereinigung vor allem türkischer Muslime in Deutschland. Ausgerechnet ein Mann, Kazim Türkmen, ein Vorstandsmitglied von DiTiB und zugleich der türkische Religionsattaché, ermutigte die Musliminnen, ihre Rechte lauter einzufordern.
Der Islam sei gegen eine Benachteiligung von Frauen. In einer von Männern dominierten Gesellschaft sei es jedoch ein langer Weg, bis Frauen die gleichen Rechte und Möglichkeiten hätten, sagte Türkmen. Zur ersten Vorsitzenden des neuen Bundesfrauenverbandes wurde die Islamwissenschaftlerin Derya Sahan gewählt. Sie war zuvor Vizevorsitzende und Pressesprecherin des DiTiB-Frauenlandesverbandes in Baden.
Vor der Sendung habe ich die 30-Jährige gefragt, welches Ziel der neue bundesweite Frauenverband hat.
Derya Sahan: Als DiTiB erleben wir seit 2009 eine neue Strukturierung. Zuerst wurden unsere Landesverbände gegründet und danach die Landesfrauenverbände und die Landesjugendverbände. Und nun erfolgt eine Neuerung mit einer neuen Satzung, das ist das Spannende an der Sache. nach dieser Satzung soll mindestens eine Frau in den Vorstand gewählt werden und diese gewählte Frau soll die Vorsitzende der Gemeinde sein. Wenn sie diese Aufgabe nicht übernimmt, soll sie die zweite Vorsitzende werden.
Gessler: Frau Sahan, sehen Sie diese Gründung auch als einen Schritt zu mehr Emanzipation der Frauen im hiesigen Islam?
Sahan: Die muslimische Frau hat im Islam die Möglichkeit, sich voll und ganz zu entfalten. Und nach dem Islam hat die Frau gleiche rechte und gleiche Pflichten wie der Mann auch. Im Islam steht nichts gegen ihre Emanzipation.
Aber leider erleben wir, dass unter manchen Muslimen der Islam nicht so gelebt wird, wie er eigentlich gelebt werden soll. Unsere Gründung ist zweifellos in unserer deutschen Gesellschaft ein wichtiger Schritt zu mehr Emanzipation der muslimischen Frauen, sie ist auch ein wichtiges zeichen für muslimische Frauen und Männer.
Gessler: Sagen Sie, man hat ja so den Eindruck, dass derzeit muslimische Frauen überall auf der Welt stärker mehr Gleichberechtigung in ihrer Religion einfordern. Ist das ein richtiger Eindruck?
Sahan: Muslimische Frauen überall auf der Welt möchten die Rechte wieder zurückbekommen, die ihnen der Islam, die ihnen ihre Religion gegeben hat. Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern und in der Gesellschaft ist ein islamisches Prinzip, das leider teilweise in Vergessenheit geraten ist.
Leider wird der Islam auch in Kulturen gelebt, die eigentlich patriarchalisch aufgebaut sind. Und Kazim Türkmen, Theologe und DiTiB-Vorstandsmitglied, sagte bei der Gründungsveranstaltung des DiTiB-Bundesfrauenverbandes, wir als DiTiB unterstützen die Stärkung der Frauen und möchten auch, dass sich Frauen auf Bundesebene sowie auf Landesebene und in den Gemeinden stärker einsetzen und dass ihre Stimme auch gehört wird. Sie sollen ihre Rechte selbst einklagen und fordern. Und auch, manchmal muss man Rechte erkämpfen.
Gessler: Glauben Sie denn, das sind mehr als Lippenbekenntnisse von den Männern?
Sahan: Wir haben sehr starke Frauen in unserem DiTiB-Verband und diese starken Frauen sind unter anderem auch bei uns vertreten. Aber es ist mehr als Lippenbekenntnis, weil wir es dazu gebracht haben, nach jetzt diesen Landesfrauenverbänden auch den Bundesfrauenverband zu gründen.
Gessler: Jetzt kann man sich ja vorstellen, wenn das in Deutschland geglückt ist, dass tatsächlich ein bundesweiter Frauenverband gegründet wird, dass das auch eine gewisse Ausstrahlungskraft hat in andere Länder. Sehen Sie das auch?
Sahan: Ich wünsche mir das. Wir vertreten als DiTiB jetzt zwischen 250.000 bis 400.000 Frauen und wir wünschen uns natürlich, dass unsere Gründung auch eine Ausstrahlungskraft hat und als Vorbild fungiert für andere Länder.
Gessler: Auch zurück in die Türkei, wo ja eigentlich DiTiB herkommt?
Sahan: DiTiB kommt nicht aus der Türkei, aber sie arbeitet mit dem Diyanet zusammen. Aber ich freue mich, wenn auch dort Frauen uns als Vorbild nehmen.
Gessler: Zurzeit etabliert sich ja an den deutschen Universitäten die islamische Theologie immer stärker. Es wird allerhöchste Zeit, oder?
Sahan: Es ist natürlich begrüßenswert, dass islamische Theologie an deutschen Universitäten etabliert wird, in Deutschland leben mehr als vier Millionen Muslime. Und der Islam ist somit eigentlich die zweitgrößte Religion in Deutschland. Die Etablierung der islamischen Theologie ist deswegen ein ganz natürlicher Prozess und auch ein Zeichen, wie unser Bundespräsident gesagt hat, ein zeichen der Anerkennung der Muslime im rechtlichen sowie im gesamtgesellschaftlichen Sinne.

Gessler:
Es gibt ja im Augenblick einen großen Konflikt in Münster um Professor Khorchide, da sind verschiedene Verbände, die im Streit sind mit ihm. Wie sehen Sie diesen Konflikt?
Der Islamwissenschaftler und Professor für islamische Religionspädagogik, Mouhanad Khorchide, vor dem Schloss in Münster, dem Sitz der Universität
Der Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide© picture alliance / dpa / Bernd Thissen
Sahan: Die Etablierung der islamischen Theologie ist in Deutschland ein ganz neuer Prozess und sie ist im rechtlichen und im gesamtgesellschaftlichen Sinne neu für uns hier lebende Muslime, sie ist aber auch neu für die hier lebenden Menschen, sie ist neu für die Lehrbeauftragten und auch für die Beiräte. Und nur durch mehr Dialog und mehr Kooperation zwischen den Fakultäten, den Beiräten, den muslimischen Verbänden kann dieser Prozess gemeinsam positiv gestaltet werden. Und ich wünsche mir auch für die Universität Münster und auch für Professor Khorchide, mehr Dialog und Kooperation mit Muslimen zu führen. Nur so kann es gelingen, einen Weg der Verständigung zu finden.
Gessler: Finden Sie, dass er auf seinem Lehrstuhl bleiben sollte?
Sahan: Ich hoffe, dass die Beiräte und er gemeinsam mit seiner Fakultät eine richtige Entscheidung treffen werden. Das ist natürlich seine Entscheidung, die er selbst zu treffen hat mit den muslimischen Verbänden und den beteiligten vor Ort.
Gessler: Jetzt ist ja der Islam in der Türkei generell angesehen als ziemlich liberal und gemäßigt. Würden Sie das auch so für Deutschland beschreiben, dass der hiesige Islam liberal ist?
Sahan: Wenn ich Wörter höre wie liberal, gemäßigt ... Also, es gibt leider in unserer Gesellschaft bei dem Wort kein klares Bild, wenn es um den Islam und Muslime geht. es wird von liberalen, gemäßigten, konservativen Muslimen gesprochen und unsere Moscheebesuche bezeichnen uns als liberale Muslime, in den Medien kommen wir als muslimische Verbände meistens als konservative Muslime vor.
Aber in der Wahrnehmung der Muslime gibt es diese Begriffe nicht. Wir sind Muslime. Und nach dem Islamverständnis sollen wir als Muslime auch die goldene Mitte, also den gemäßigten Weg nehmen. Wir vertrauen der Islaminterpretation der Diyanet, und Diyanet vermittelt fachkundiges Wissen, das auf wissenschaftlicher Auslegung basiert. Und durch die Existenz der türkischstämmigen Muslime in Deutschland wird das Islamverständnis und die Auslegung des Islam hier in Deutschland durch diese Erfahrung geprägt.
Gessler: Das war jetzt sehr diplomatisch ausgedrückt. Kann man nicht wirklich irgendwelche Tendenzen erkennen, dass man sagt, dieser eine Islam ist tatsächlich etwas freiheitlicher als der andere?
Sahan: Wenn Sie nur in bezug auf Islam sprechen, dann kann ich das nie sagen, weil Islam ist freiheitlich. Aber das Islamverständnis und die Muslime kann ich interpretieren, über sie kann ich sprechen, aber nicht über den Islam!
Zahl der deutschen Salafisten steigt
Gessler: Jetzt haben ja manche die Hoffnung, dass tatsächlich in Europa der sogenannte Euro-Islam entstehen könnte, der die westliche Zivilisation und den Islam noch stärker miteinander verbindet, sich gegenseitig befruchten lässt. Für wie wahrscheinlich halten Sie eine solche Entwicklung?
Sahan: In der muslimischen Erfahrung wurde der Islam je nach Ort und Kontext unterschiedlich interpretiert, beispielsweise gab es in der Geschichte der Muslime zur gleichen Zeit, zum gleichen Thema unterschiedliche Meinungen, in Bagdad, in Damaskus oder in andalusien, in Europa.
Wie damals in Andalusien Muslime in Europa die Aufklärung beeinflusst und auch eine neue Kultur und Bildungsverständnis hineingetragen haben, so ist es auch unumgänglich, dass Muslime ihre hiesige Gesellschaft mitgestalten und bereichern werden. Und bei der Begegnung der Zivilisation ist der gegenseitige Einfluss eine Tatsache der Kulturgeschichte und auch somit der Geschichte der Zivilisationen.
Aus diesem Grund werden Muslime, die hier leben, auf kontextuelle gesellschaftliche Herausforderungen ihre eigenen Antworten geben. Aber ob man diesem Prozess einen bestimmten Namen geben soll, das weiß ich nicht. Die Glaubensgrundsätze des Islam sind von Anfang bis zur heutigen Zeit bei allen Muslimen bekannt und unverändert, und diese Grundsätze werden sich auch mit diesem Prozess nicht ändern.
Gessler: Jetzt gab es in dieser Woche ja gleichzeitig eine Meldung, die etwas verwundert hat. Demnach ist die Zahl der deutschen Salafisten sprunghaft gestiegen. Jetzt distanzieren sich natürlich die muslimischen Verbände hierzulande immer von den sogenannten Dschihadisten, trotzdem würde es mich interessieren, wie erklären Sie sich diese Zunahme?
Sahan: Als Verbände distanzieren wir uns von diesen Gruppen, aber wir möchten aus Prinzip nicht über diese anderen Gruppen sprechen. Und am besten sollte diese Frage mit den Salafisten selbst besprochen werden, sodass auch diese Umstände, in denen sich diese Jugendlichen, diese Menschen in diesen Strömungen befinden, auch deutlich wird.
Wir sehen unsere Aufgabe darin, Menschen und auch in erster Linie natürlich Frauen weiterzubilden und dazu beizutragen, dass sie sich als ein Teil dieser Gesellschaft fühlen. Dieses Gefühl ist sehr wichtig. Und dass diese Menschen auch gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Nur der Dialog kann gegenseitiges Vertrauen bringen und auch zu einem friedlichen Miteinander führen.
Gessler: Haben denn die Salafisten überhaupt Interesse an einem Dialog?
Sahan: Wir müssen schauen, wie wir mit den Anfälligen sozusagen auch, den Jugendlichen auch, wie wir mit ihnen in einen Dialog kommen, damit wir auch verhindern können, dass sich diese Gruppe so stark auch weiterbildet.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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