Glaubenskurse - die neue Zauberformel der Mission

Von Kirsten Dietrich · 05.11.2011
In Zusammenhang mit der Reform "Kirche der Freiheit" entstanden in den letzten Jahren neue Modelle, auf kirchenferne Menschen zuzugehen. Eine Möglichkeit, mit Erwachsenen ins Gespräch zu kommen, sind Glaubenskurse: ein mehr oder weniger missionarisches Bildungsangebot.
"Also, ich hab mich ziemlich lange mit der Glaubensfrage beschäftigt, und es war auch so, dass ich ziemlich früh schon Kontakt zu Gott hatte, aber eigentlich nicht mit dem Glauben direkt aufgewachsen bin, und es mich aber doch immer mehr in die Kirche gezogen hat, und dann war es so, dass ich Nigel kennengelernt hab und er dann halt von diesem Alphakurs erzählt hat und ich dachte, das wäre für mich genau das richtige, um noch mal vielleicht in Diskussion mit anderen Leuten zu kommen, um auch diesen Austausch kennenzulernen und zu wissen, wie andere Leute darüber denken."

Pico ist 20 Jahre alt. Mit knapp 20 anderen Männern und Frauen zwischen 20 und 40 sitzt sie um den Esstisch von Nigel Dutton in Berlin. Das Essen gehört schon zum Programm: Jede Sitzung eines sogenannten Alpha-Kurses beginnt mit einem gemeinsamen Essen. Die Atmosphäre ist wichtig, wenn man gemeinsam über Gott sprechen will, mit dieser Überzeugung arbeitet der Glaubenskurs schon seit gut 30 Jahren. Nigel Dutton, der Gastgeber, ist Brite. In England hat er schon viele Glaubenskurse geleitet. Seit zwei Jahren arbeitet er in Berlin als Lehrer. Dutton will hier eine neue Gemeinde seiner New-Frontiers-Kirche aufbauen, einer evangelisch-freikirchlichen Gemeinschaft. Ein gemeinsamer Glaubenskurs gehört für ihn selbstverständlich dazu:

"Wenn ich zum Beispiel meine Kollegin, die heute Abend da war, wenn ich sie in die Kirche zum Gottesdienst einladen würde, würde sie wahrscheinlich sagen, nein, das interessiert mich gar nicht. Aber wenn ich sage, es handelt sich um einen Kurs, mit anderen Leuten zusammen, es wird gegessen, man darf auch ruhig ein Glas Wein trinken, und dann die Gelegenheit haben, sich mit dem christlichen Glauben auseinanderzusetzen, ich finde, das ist vielleicht eine interessante Art und Weise, das zu tun."

Der Alphakurs ist wahrscheinlich das bekannteste unter den verschiedenen Modellen von Glaubenskursen, die in Kirchen eingesetzt werden, um Menschen ins Gespräch über den christlichen Glauben zu bringen. Er wurde in den 70ern in der Holy Trinity Brompton Church in London entwickelt. Die anglikanische Kirche in England wollte dem Abbruch kirchlicher Traditionen etwas entgegensetzen. In Deutschland kam das Konzept zuerst in den Freikirchen an, die direkt von der Aktivität und auch den finanziellen Zuwendungen ihrer Mitglieder abhängig sind.

Die evangelischen Landeskirchen ziehen allmählich nach: in diesem Jahr hat die evangelische Kirche in Deutschland die Kampagne "Erwachsen glauben" gestartet: Sie will Glaubenskurse zum Regelangebot jeder Gemeinde machen. Dafür stellt sie für vier Jahre bis einschließlich 2012 insgesamt 1,3 Millionen Euro zur Verfügung. Mit diesen Mitteln werden die bestehenden Konzepte gesichtet, in einer zentralen Online-Plattform für Gemeinden zur Verfügung gestellt und da, wo das Angebot Lücken hat, neue Kurse entwickelt.

Werbespot EKD
Für alle, die schon kleine Wunder erlebt haben.
Für die, die nicht alles glauben.
Für die, die sich alle Optionen offen halten.


"Wir sind davon überzeugt, dass es viele Menschen gibt, die jetzt nicht aktiv im kirchlichen Leben teilnehmen, aber sich durchaus religiöse Fragen stellen. Und wir suchen nach einem Instrument, was es erlaubt, Menschen differenziert zu begleiten in ihren religiösen Klärungsprozessen."

Andreas Schlamm ist Projektleiter der Initiative "Erwachsen Glauben". Die Glaubenskurse seien fest im EKD-Reformprozess "Kirche der Freiheit" verwurzelt, sagt er, ihre Etablierung ein wichtiger Aspekt davon, wie die evangelische Kirche über sich und ihren Glauben spricht. Das in Form eines Kurses für Erwachsene anzubieten, ist in der Kirche bisher allerdings eher fremd:

"Glaubenskurse standen lange Zeit unter so einem Generalverdacht, das wäre nur was für die Frommen, diesen haben wir aber versucht, zu entkräften, das kann man auch, weil es inzwischen Studien gibt, die dafür gesorgt haben, diese Glaubenskurse ein Stück aus dieser Verdachtsecke herauszubekommen."

Im Vordergrund der Initiative sollen die Fragen religiös suchender Menschen stehen, betont Schlamm, nicht die Interessen der Institution Kirche:

"Das ist uns auch ganz wichtig zu vermitteln, dass der Glaubenskurs, also die Glaubenskursteilnahme nicht etwas ist, wo man am Ende nicht mehr rauskommt, sag ich mal. Jeder ist am Ende eines Glaubenskurses natürlich frei zu sagen, ich möchte mehr wissen, oder: vielen Dank, das war eine interessante Erfahrung, aber ich werde jetzt nicht intensiver am Gemeindeleben teilnehmen."

Dafür, dass man in der EKD so große Hoffnungen auf das Projekt Glaubenskurse setzt, gibt es noch überraschend wenige konkrete Zahlen und Ergebnisse. Eine Studie spricht davon, dass bei gut der Hälfte der Kircheneintritte Erwachsener Glaubenskurse den Entschluss befördert haben. Viel mehr gibt es nicht. Beate Hofmann ist Professorin an der evangelischen Hochschule Nürnberg. Sie steckt gerade mitten in einer großen Studie über Glaubenskurse:

"Es gibt erstaunlich viele jüngere Menschen, mit jünger meine ich jetzt: Zwischen 25 und 40, die an solchen Kursen teilnehmen, das sind sehr oft Menschen, die in der Familiengründungsphase sind und in dieser Phase plötzlich neu nach Religion fragen, weil sie überlegen, kirchlich zu heiraten oder das Kind taufen zu lassen und dadurch dann auch noch mal selber ins Fragen nach ihrem Glauben kommen."

Junge Frau aus dem Glaubenskurs Potsdam
"Der Vater ist in der Kirche, und eigentlich die Familie meines Papas auch, also ich hatte also eigentlich schon immer Berührung mit der Kirche, wurde aber nicht christlich erzogen, hab aber für mich schon früh beschlossen, dass es Gott gibt, dass ich gläubig bin, jetzt will ich noch den letzten Schritt machen."

Die Anliegen der Teilnehmer ähneln sich, egal ob man in einem Kurs in landeskirchlicher Verantwortung ist oder in einem, der von einer Freikirche veranstaltet wird. In den Antworten gibt es je nach Veranstalter aber gewisse Unterschiede. Denn die Herkunft des Konzepts Glaubenskurs aus dem eher frommen, bibeltreuen Milieu merkt man einigen Kursmodellen auch heute noch an. Besonders der Alphakurs, am weitesten verbreiteter Kurs in Freikirchen wie Landeskirchen, steht da immer wieder in der Kritik. Auf diese muss man vonseiten der Verantwortlichen auch reagieren, sagt Andreas Schlamm:

"Ja, im Alphakurs spielt zum Beispiel der Heilige Geist, also Geistesgaben, sein Wirken, eine sehr sehr große Rolle, und häufig spiegelt sich das im Gemeindeleben einer ganz normalen landeskirchlichen Gemeinde so nicht wider. Da merkt man schon, der kommt eher aus einer charismatischen Tradition, die bei uns nicht so beheimatet ist, das kann man nicht eins zu eins übernehmen."

Die geistliche Herkunft der Kurse macht sich vor allem in der Haltung zur Mission bemerkbar: ist ein Glaubenskurs ein missionarisches Angebot und zielt deshalb auf tiefgehende Glaubensreaktionen der Teilnehmenden? Oder ist er ein religiös-kulturelles Bildungsangebot, das auch mit einer distanzierten Einstellung sinnvoll absolviert werden kann? Die Frage ist in den Kirchen und Bildungswerken umstritten und immer noch offen. Für die Teilnehmenden stellt sie sich so meist gar nicht, sagt Beate Hofmann. Die könnten gut unterscheiden, ob ein Kurs ihren Bedürfnissen gerecht werde:

"Meine Erfahrung ist, dass die Menschen – und zwar egal, was es für ein Kurs ist, ob es ein eher missionarisch oder ein eher erwachsenenbildnerisch ausgerichteter Kurs ist – ein ganz starkes Sensorium dafür haben: Sind hier kritische Fragen erlaubt, kann ich hier Zweifel zeigen, wird hier offen mit mir umgegangen oder wird mir hier was locker gesagt reingedrückt? Gute Mission weiß, dass sich Glaube nicht machen lässt, sondern dass das letztendlich Wirken des Heiligen Geistes ist, das von uns nicht steuerbar ist, sondern wo wir als Veranstaltende nur Ermöglichungsräume schaffen können, in denen der Geist weht oder nicht."

Einen Unterschied gibt es, sagt Beate Hofmann. Er ist historisch begründet: Glaubenskurse in Ostdeutschland unterscheiden sich sehr von denen in Westdeutschland. Die Gemeinden im Westen verwenden häufiger einen der komplett ausformulierten Kurse, wie sie in Büchern auf dem Markt sind oder über die Landeskirchen zur Verfügung gestellt werden. In den Gemeinden im Osten erarbeiten die Pfarrer ihre Kurse eher selber. Es nehmen auch häufiger Menschen teil, die wirklich kein Vorwissen vom Christentum haben. In der New-Frontiers-Gemeinde von Nigel Dutton kommen die Erfahrungen von Menschen mit Ost- und Westsozialisation zusammen:

"Da war eine junge Dame heute Abend aus Frankfurt an der Oder, sie ist extra mit dem Zug hierhergefahren, und sie hat überhaupt keine Ahnung. Wenn man sagt: das Evangelium nach Markus – Markus ist für sie überhaupt kein Begriff. Dann kommen andere, die vielleicht schon in eine andere Gemeinde gehen, wo sie aber sich vielleicht noch erkundigen möchten, es gibt auch Leute, die vielleicht als Kind als Christ aufgewachsen, dann an der Uni wollten sie nichts mehr davon, und jetzt machen sie die Erfahrung, mit 30 Jahren, vielleicht war doch was dran, jetzt möchte ich mich erkundigen. Also das ist wirklich sehr sehr gemischt."

Gespräch, moderierte Gruppendiskussion:
Frau: "Vielleicht hat ja der eine oder andere noch was anzumerken zum Thema oder irgendwas, wo er nicht so ganz mitgehen kann?"

Andere Frau: "Also ich finde zum Beispiel, was manche sagen, dass der Weg der Christen steinig sei, das sagen eher die, die nichtgläubig sind."

Für all die Hoffnungen, die in Glaubenskurse gesetzt werden, ist das, was tatsächlich geschieht, erstaunlich unspektakulär: Eine Gruppe von Erwachsenen trifft sich über mehrere Wochen, meist abends. Am Anfang jedes Treffens steht ein Impulsvortrag zum Thema des Abends. Im Idealfall sorgt der Kursleiter bei der anschließenden Diskussion nur dafür, dass wirklich alle zu Wort kommen. Oft leitet der Gemeindepfarrer den Glaubenskurs. Ein muss ist das aber nicht. Gerade zur Qualifizierung von Laien sind die vielfältigen ausformulierten Materialien gedacht, die auf dem Markt sind.

Diskussion:
Mann: "Ich find den Ansatz schon ganz interessant, was war Jesus: Spinner, Betrüger oder wirklich ein Glaubender? Und was du so aufgezeigt hast, wie würde das denn heute wirken – jeder würde sagen: reif für die Klapse. Jetzt bin ich mal gespannt, wie du den Bogen kriegen wirst, dass du uns erklären kannst, dass es eben kein Spinner war, und darauf freu ich mich."

Die verschiedenen Kursmodelle setzen unterschiedliche Schwerpunkte. Grundthemen des christlichen Glaubens behandeln sie aber alle: "Wer ist Jesus Christus?" zum Beispiel, "Wie erfahren wir Gottes Handeln?", "Was lässt mich im Glauben wachsen?" Die Unterschiede liegen im Detail. Der Kurs "Stufen des Lebens" – der aus dem missionarischen Gemeindeaufbau kommt und auf der Empfehlungsliste der EKD steht - bezieht sich ganz ausdrücklich auf biographische Erfahrungen der Teilnehmenden. Andere gehen von Festen des Kirchenjahres aus – und sind damit eher etwas für Menschen, die zumindest vage mit der Kirche vertraut sind. Jesuitenpater Christoph Soyer bietet im Erzbistum Berlin Glaubenskurse an, die an die Exerzitien von Ordensgründer Ignatius von Loyola anknüpfen:

"Wir wollen ja nicht, dass die Menschen nur alle 2 Wochen zum Kurs kommen, dann ist das wie so eine Univeranstaltung, sondern dass das ein geistlicher Weg ist. Und dazugibt es am Ende jedes Treffens einen geistlichen Impuls, der der Dynamik der Exerzitien folgt. Also die erste Frage war: Wo habe ich erfahren, dass es gut ist, dass es mich gibt? Und dass die Menschen dann mit eben mit dieser Frage über die zwei Wochen gehen und selber sich klarwerden, wo habe ich erfahren, dass es gut ist, dass es mich gibt."

Wobei man sich vor dem Gedanken an einen Automatismus hüten muss, sagt die Theologin Beate Hofmann. Selbst wenn Menschen zu einem noch so gut durchdachten Glaubenskurs gehen, lässt sich doch in keiner Weise vorhersagen, was sie daraus mitnehmen:

"Der große Unterschied zum Beispiel auch zum Gottesdienst ist das Dialogische. Die Möglichkeit, mit anderen über Grundfragen des Glaubens in Austausch zu kommen, zu hören: Wie gehen die mit diesen Fragen um, und dadurch die eigene Perspektive zu bereichern. Ich hab auch immer wieder gefragt, ob nicht vielleicht auch ein Gespräch mit dem Pfarrer oder der Pfarrerin in der Gemeinde das Gleiche hätte leisten können, und da sagen ganz viele: nein, grade die Unterschiedlichkeit in der Gruppe und dieser Austausch untereinander war für sie eine ganz wichtige Erfahrung, die ihr Glaubenskurserleben stark bereichert hat."

Die intensive Gruppenarbeit macht die Glaubenskurse attraktiv, sie kann sich aber auch als hinderlich erweisen. Dann nämlich, wenn es um die Frage geht, was eigentlich passiert, wenn der Kurs abgeschlossen ist?

Beate Hofmann: "Mein Eindruck ist: Viele Menschen landen entweder in einem Engagement, das ihnen die Möglichkeit gibt, weiter über Glaubensfragen nachzudenken, also zum Beispiel in der Gestaltung von Gottesdiensten, in der Arbeit mit Kindern oder Jugendlichen, oder sie suchen sich einen Hauskreis."

Das muss eine ganz gewöhnliche volkskirchliche Gemeinde auch erst einmal aushalten können: Zuwachs durch neu in ihrem Glauben Beflügelte, die lieber über Gott diskutieren wollen als über die Finanzierung des kirchlichen Kindergartens. Pater Christoph Soyer:

"Das ist eine gute Frage. Sind wir als Gemeinde so offen für neue Menschen, die ja oft mit ganz anderen Fragen kommen. Manchmal auch krumme Biographien, die manchmal nicht in das typisch katholische Schema reinpassen. Ich ermutige alle Teilnehmer, schon während des Kurses sonntags oft in Gottesdienste zu gehen, sich verschiedene Gemeinden anzuschauen, zu gucken, welche Gemeinde spricht mich an, wo man sich gut wohlfühlen kann, die nicht so diese kirchliche Schrebergartenmentalität hat."

Ein einfaches Instrument für mehr Gemeindewachstum und eine mitgliederstärkere Kirche sind Glaubenskurse also nicht. Zumal sie eben auch Menschen anziehen, von denen man von offizieller Seite denkt: Die haben einen Glaubenskurs nun wirklich nicht nötig.

Beate Hofmann: "Ich erlebe immer wieder Pfarrerinnen und Pfarrer, die sagen, jetzt hab ich einen Glaubenskurs angeboten, um mal Distanziertere zu erreichen, und dann saßen meine eigenen Ehrenamtlichen da, das war die falsche Idee. Wir wissen inzwischen, dass das nicht die falsche Idee ist, sondern dass man da einen langen Atem braucht, weil die meisten Menschen, die bisher nicht in Kontakt mit der Kirche waren, den Kontakt zu so einem Kurs vor allen Dingen über andere Menschen finden: Jemand erzählt ihnen von einem solchen Angebot, jemand nimmt sie mit."

Pico: "Also, mir ist Information sehr wichtig, deswegen find ich auch diesen Alphakurs sehr wichtig für mich, weil ich doch ein Mensch bin, der sehr sehr viel hinterfragt, und dementsprechend bin ich doch sehr interessiert an anderen Meinungen, um zu gucken, was ich für richtig halte und was nicht."

Joana: "Man kann immer im Leben Neues lernen. So ist es bei mir: Ich möchte immer im Leben was Neues lernen. Ich möchte nicht immer die Alte bleiben, sondern immer Schritt für Schritt im Leben was Schönes lernen. Über Gott."

Neue Impulse für den persönlichen Glauben – das können Glaubenskurse leisten, zum Erstaunen der Skeptiker. Ob daraus auch Wachstum und Erneuerung für die Volkskirche und ihre in die Breite zielenden Angebote folgt – diese Frage ist noch völlig offen.

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