Glauben, Zweifeln, Denken

Rezensiert von Thomas Kroll · 03.04.2006
Irgendwann, noch vor dem Abitur sei sein Interesse an Gott verloren gegangen, bekennt Otto Kallscheuer im Vorwort seiner "Theologie für Recht- und Andersgläubige, Agnostiker und Atheisten". Mittlerweile fließt wieder reichlich Wasser im ehemals verdorrten Flussbett, und Kallscheuer folgt mit großem Interesse und wachem Geist den Haupt- und Nebenflüssen sowie den vielstimmigen Strudeln der Rede und Abrede von Gott.
"Wer die Theologie den Fernsehpredigern, den Drewermännern und dem Dalai Lama überlassen will, sei gewarnt. Dieses Buch ist dazu angetan, mit dem Dünndenken aufzuräumen." Der Klappentext hat es in sich. Das Buch auch? Ja, wird man freiweg konstatieren dürfen - und bisweilen ein bedächtiges Nein hinzufügen.

Ja, dieses Buch kommt in weiten Teilen blitzgescheit daher und beweist, dass sein Autor, promovierter Philosoph und habilitierter Politikwissenschaftler, in den letzten zehn Jahren allerhand Material und Wissen zusammengetragen hat - für Gläubige und Ungläubige aller Facetten. Darüber können die zahlreichen, mitunter rhetorischen Fragen nicht hinwegtäuschen, die anfangs eines jeden Kapitels ins Auge fallen.

"Warum glauben wir an Gott? - Weil das so vernünftig ist? Oder nur, weil Gott der HERR ein Machtwort spricht? ... Hat Gott einfach die besseren Argumente? - Sprechen für Gott denn nur Argumente? - Oder überzeugt ER uns eher durch die Anmut und Schönheit seiner Botschaft? ... Durch Zeichen und Wunder? Oder mit Gesetz und Zucht? - Glauben wir am Ende gar wider die Vernunft?"

Fürwahr: Dieses Buch lädt ein, mitzufragen, mitzudenken - und zu widersprechen. Dazu ermuntert ab und an Kallscheuers fiktiver Gesprächspartner. Dessen Einwände und Fragen, nicht selten witzig, ironisch formuliert, bringen mitunter die Art von Skepsis zum Vorschein, die als Salz in der Suppe des Denkens fungieren kann.

Wenn es allerdings den Anschein hat, dass Kallscheuers Gegenüber als billiger Pappkamerad und bloßer Stichwortgeber auftritt, dann beschleicht den Leser eine andere Art von Skepsis. Dann wird manch Lesefreude getrübt. Das geht mit leichtem Kopfschütten einher und dem Gedanken "Nein, so nicht." Ein Beispiel:

"- Der klassische Unglaube spricht. ... Da gibt es das Nein! zu dieser oder jener Glaubenswahrheit ...
- Und dieses Nein! ist immer offen und ausdrücklich?
- Mehr oder minder. Aber wer Ohren hat zu hören, der hört dieses Nein! zum rechten Verständnis der Glaubensartikel.
- Und wer bestimmt ihre rechte Auslegung?
- Das ist eine andere Frage. Zuweilen muß die Kirche hier Spezialisten der Untersuchung (lateinisch inquisitio) einsetzen: ein Sacrum Offizium, das heilige Amt."

Zunächst: Es muss Sanctum Officium heißen. Dann: Man ahnt, was Kallscheuer - im Blick auf den Idealfall - sagen will. Schließlich: Wer sich ein wenig auskennt in der Geschichte der Beziehungsgestaltung zwischen Recht-, Anders- und Ungläubigen, kann an dieser Stelle nicht umhin, auf die zahlreichen Repressalien und tödlichen Folgen hinzuweisen, die das eine oder andere Nein! vor und nach Einrichtung der Inquisition mit sich brachte: Jan Hus, Giordano Bruno - die Liste der Verurteilten und Getöteten ist lang. Kein Wort bei Kallscheuer. Das Betreiben der "Wissenschaft vom Lieben Gott" war nicht immer so folgenlos und risikofrei wie in heutiger Zeit.

Die Stärke des ästhetisch äußerst ansprechenden Buchs hingegen ist die Spannbreite, die Vielfalt der Fragen, mit denen der Autor Gott - die Phänomene und Fakten, die berechtigten Zweifel und die unterschiedlichen Formen der Offenbarung - bedenkt. Bei allem, was Kallscheuer vorträgt, gewinnt man den Eindruck, dass ein bekennender Christ schreibt, der den Ausflug ins Terrain anderer Religionen keineswegs scheut.

"Das je unverfügbare und doch alle Gläubigen bindende verpflichtende 'absolute Du' nimmt in der jüdischen und christlichen und muslimischen Offenbarung eine je anders akzen-tuierte Gestalt an. ... Man könnte vielleicht sagen: Die Besonderheit des jüdischen Glaubens liegt darin, daß er zwischen dem verborgenen Gott und dem Volk seines Bundes gewisserma-ßen eine soziale Beziehung dar- und herstellt ... Für Christen ist der Liebe Gott offenbar weniger eine soziale Beziehung als eine persönliche, eine Gewissensfrage. ... Jeder Muslim hat Allahs Rechtleitung zu folgen – und basta!"

In achtzehn Kapiteln umkreist Kallscheuer, Jahrgang 1950, Gott, "den uralten Turm" (Rilke), ohne in den Tonfall der Dogmatiker zu verfallen. Das macht die Lektüre angenehm. Immerzu ist die Rede von IHM und vom "Lieben Gott", den die Welt nicht fassen kann und der das Begreifen aller Menschen übersteigt - seien sie Gläubige oder Ungläubige, Mono- oder Po-lytheisten postmoderner Prägung. Allen ist die Lektüre anzuraten in der Hoffung auf ein Mehr an gegenseitigem Verständnis und Toleranz.


Otto Kallscheuer: Die Wissenschaft vom Lieben Gott
Eine Theologie für Recht- und Andersgläubige, Agnostiker und Atheisten
Die Andere Bibliothek, Band 249
Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2006
488 Seiten