Glauben verbindet

22.07.2009
In seinem Buch "Europas Angst vor der Religion" geht der US-amerikanische Autor José Casanova mit der Alten Welt hart ins Gericht. Um fremde Glaubensrichtungen zu integrieren, müsse Europa zur Religiosität zurückfinden, fordert der Soziologe.
Europäer erinnern sich nur zum Teil richtig an ihre Geschichte. Auf die Katastrophe der Glaubenskriege reagierten sie mit der Säkularisierung des Staates. Die Tendenz, das Religiöse von der Politik zu trennen, verstärkte sich in der Aufklärung. Im Gedächtnis blieb offenbar die Vorstellung: Religionen erzeugen Konflikte. Dabei wird vergessen, wie sehr gerade das Christentum zur westlichen Zivilisation und zur Demokratie beigetragen hat, schreibt der amerikanische Religionssoziologe José Casanova.

Er wirft Europa vor, religionsfeindlich zu sein, weil es die Loslösung von der Religion im öffentlichen Leben zur Norm gemacht habe. Seither gilt als modern, wer sich von Religion gelöst hat. Nach Casanova baut Europa seine Identität auf dieser Grundvorstellung auf. Zu Unrecht. Wenn Europa mit Bürgern aller Glaubensrichtungen unverzerrt ins Gespräch kommen will, muss es post-säkular werden: Offener im Umgang mit dem Islam, offener für einen Beitritt der Türkei in die Europäische Union, fordert der Professor, der an der Georgetown University in Washington lehrt.

Er ist mit Forschungen zu grenzüberschreitenden Glaubensgemeinschaften bekannt geworden, sowie zur Religion im globalen Vergleich. Seine - unverhohlen US-amerikanische - Sichtweise wirkt stellenweise provozierend, etwa, wenn er die Türkei als ein eigenes Modell einer muslimischen Moderne beschreibt, mit dem die Europäer nicht zurechtkommen. Die Menschenrechtsproblematik klammert er aus, nennt sie "ein vorgeschobenes Argument" bei der Diskussion um den türkischen EU-Beitritt.

Unglaube sei kein Zeichen von Überlegenheit, Demokratie andererseits nicht denkbar ohne Religionsfreiheit - hierin stimmt Casanova mit führenden Religionssoziologen überein. Er stellt jedoch den Prozess der Verweltlichung infrage. Es ist kein Prozess menschlicher Entwicklung, so Casanova, sondern begann als Versuch, das perfekte religiöse Leben aus den Klöstern in die Welt - das "saeculum" - hineinzutragen, um ihr eine geistige Dimension zu geben. Entstanden ist stattdessen eine Welt ohne Transzendenz. Heilige Werte heute sind beispielsweise die Nation, die Staatsbürgerschaft und die Menschenrechte.

Parallel zu weltweiten Tendenzen der Säkularisierung haben indessen die Migrantenströme auch die Konfessionen und Glaubensgemeinschaften globalisiert. Der Autor zitiert die USA als gelungenes Beispiel für die Eingliederung von nicht-westlichen Immigranten in die mehrheitlich protestantisch-christliche Gesellschaft. Was Ronald Inglehart, Autor der Theorie des Wertewandels, "Expansion post-materialistischer spiritueller Werte" nennt, wertet Casanova weitergehend als Demokratisierung der Möglichkeiten, die bisher nur für Eliten zugänglich waren. So habe jede Religion heute die Möglichkeit, global bedeutend zu werden. Am ehesten trifft dies für den Islam und den Buddhismus zu, so der Religionssoziologe.

Casanova greift Emile Durkheims funktionalistische Vorstellung der Religion als Stifterin gesellschaftlichen Zusammenhalts auf und ergänzt: Der global sich ausbreitende Triumphzug des Menschenrechtsgedankens ist so eine Vision. Doch wird sie ausgerechnet von traditionellen Religionen getragen, deren Tod Durkheim und seine Anhänger prophezeiten. Sie sind nämlich Träger jener heiligen Werte, die sich global durchsetzen. Dieser Prozess vollzieht sich im globalen Kampf um gegenseitige menschliche Anerkennung. Diesem Zweck sollte ein offenerer Umgang mit allen Religionen dienen, findet Casanova.

Besprochen von Karla Sponar

José Casanova: Europas Angst vor der Religion
Deutsch von Rolf Schieder
Berlin University Press, Berlin 2009
133 Seiten, 19,90 Euro