Glauben und Naturwissenschaft

Von Gerald Beyrodt · 03.08.2012
Dass sich Glauben und Wissenschaft verbinden lassen, erläutert der liberale Rabbiner Pete Tobias in seinen Workshops. Jede Zeit habe das Recht und die Pflicht, ihr Verhältnis zu Gott auf eigene Weise auszudrücken – so begründet er seinen progressiven Umgang mit der Religion.
Als Pete Tobias zwölf Jahre alt war, war für ihn die Bibel ein Stein des Anstoßes. Mit vielen Fragen löcherte der seinen orthodoxen Rabbiner. Zum Beispiel: Wie denn das sein kann, dass Gott den Ägyptern so übel mitspielt? Sie mit Plagen überhäuft, ihre Erstgeborenen tötet, ihre Soldaten im Meer sterben lässt?

Und: War es wirklich Gott, der die Tora geschrieben hat? Wie kann es sein, dass Moses die Tora am Sinai empfangen hat, wenn doch auch sein Leben nach dem Abstieg vom Berg vorkommt? Die Reaktion war enttäuschend.

"Mein Rabbiner hat mir gesagt, dass ich nicht fragen dürfte, sondern ich sollte nur glauben. Und wenn ich nicht glauben konnte, dass alles die Wahrheit war, was er erzählt hat und was er erklärt hat, dann war ich eigentlich nicht Jude. So habe ich mich entschlossen mit 13 Jahren nach meiner Bar Mizwah, dass ich nicht Jude bin, denn ich konnte nicht glauben, was er mir erzählt hat und wie er es erzählt hat."

Doch heute ist Pete Tobias selbst Rabbiner, liberaler Rabbiner. In seiner Heimat Großbritannien bekannt durch zahlreiche Bücher und Radiosendungen. Etwa fünfzehn Jahre nach der Bar Mizwah hat er das liberale Judentum entdeckt.

"Als ich das liberale Judentum gefunden habe, habe ich mir gedacht: Ah ich kann das doch glauben, wenn es so erklärt wird, dass die Tora zum Beispiel nicht von Gott geschrieben ist, sondern von Menschen geschrieben, aber es ist von Menschen geschrieben. Das war eine Art Unterricht. Sie wollten die Leute unterrichten und lehren, damit die ein besseres Leben führen. Aber das war ein Produkt, von der Zeit, in der sie gewohnt haben."

Jede Zeit habe das Recht und die Pflicht, ihr Verhältnis zu Gott auf eigene Weise auszudrücken.

Ein Beispiel für den progressiven Umgang mit der Bibel: In der Tora wird detailliert beschrieben, wie die Priester im Tempel Tiere opferten. Vor knapp 2000 Jahren zerstörten die Römer den Tempel. Seitdem gibt es keine Tieropfer mehr, sondern Gebete zu den alten Opferzeiten.

Bis heute beten orthodoxe Juden für die Wiedereinführung des Tieropfers. Liberale Juden lehnen das Opfer hingegen ab und haben die entsprechenden Gebetsabschnitte aus ihren Gottesdiensten verbannt.

Pete Tobias: "Das brauchen wir nicht mehr. Das gehört zu einer anderen Zeit. Wir wohnen in einer neuen Zeit. Das Wichtige ist nicht, dass geopfert wurde, sondern: Was war damit gemeint? Was wollten die Leute damit sagen. Und zwar: Die Leute wollten betonen, dass sie ein Verhältnis mit Gott gehabt haben. Wir machen das anders. Wir machen das mit Gebeten und mit Liedern, aber wir haben trotzdem ein Verhältnis mit Gott."

Wichtig findet Pete Tobias auch naturwissenschaftliche Erklärungen. Dank solcher Erklärungen regt sich der Rabbiner heute nicht mehr über die Plagen auf, die Gott in der Bibel über die Ägypter verhängt.

"Vor ungefähr dreitausend, dreieinhalbtausend Jahren ist ein großes Ausbruch von ein Vulkan der Insel von Tera im Mittelmeer ist ausgebrochen und das konnte man in Ägypten sehen und würde die Konsequenzen davon erfahren."

Möglicherweise seien die Konsequenzen des Vulkanausbruchs die Plagen, von denen die Bibel berichtet. Und im Chaos hätte die Gruppe der Israeliten weglaufen können. "Das ist nur eine Theorie", fügt Rabbi Tobias hinzu:

"Dann ist es kein moralisches Problem, dann ist es nur ein geologisches Problem."

Wichtig ist für Pete Tobias: Der Exodus ist eine Geschichte der Befreiung. Eine Geschichte, die deutlich macht, dass Menschen keine Sklaven sein sollten. Also fast eine Art Menschenrechtserklärung.

Die Beispiele zeigen: Progressive Juden lesen die Bibel in einem Dialog mit der Wissenschaft, indem sie sie in einen historischen Kontext stellen. Indem sie nach den moralischen Konsequenzen fragen. Statt wortwörtlich alles auf die heutige Zeit zu übertragen, versuchen sie die Intention der biblischen Autoren zu erfassen und sie mit anderen Mitteln in die Gegenwart zu bringen.

Sind liberale Lesarten wie die von Pete Tobias besonders für Junge Menschen attraktiv? Stimmen von Teilnehmern seiner Workshops:

"Ich kann nur für mich selbst sprechen. Ich glaube bestimmt nicht, dass die Tora Gottes definitives Wort ist. Man muss sie als einen Text verstehen, den Menschen zu einer bestimmten Zeit geschrieben haben. Dann kann man von diesen Menschen lernen: von ihren Glaubensvorstellung und von ihren ethischen Grundsätzen."

"Ich bin nicht sicher, ob das wirklich eine Frage von Alter ist. Es ist vielleicht auch eine Frage von Erziehung. Ich komme nicht aus einer orthodoxen Familie, aber das sind Themen, die mich immer interessiert haben. Ich habe auch einen wissenschaftlichen Hintergrund und Ausbildung, dann sind das Themen, die mich interessieren, also wie kann man beide zusammen kombinieren, Religion und Wissenschaft."
Mehr zum Thema