Glaube an das Gute

Vorgestellt von Reinhard Kreissl · 23.04.2006
Der "Entstehung autoritärer Charakterstrukturen als Voraussetzung autoritärer politischer Systeme" geht Arno Gruen in seinem Buch nach. In seinem Manifest appelliert der 1923 geborene Autor an kommende Generationen, fest an das Gute in der Welt zu glauben und die Kraft für den Frieden zu bewahren. Denn der Glaube sei folgenreicher und lebendiger als politische Ideologien.
Arno Gruen zählt zu jenen Autoren, die unbeirrt gegen den Zeitgeist anschreiben. Der Psychoanalytiker gehört einer Generation an, die am eigenen Leibe die Schrecken des Faschismus erlebt haben und aus diesem Erfahrungshorizont heraus argumentieren.

Bekannt geworden ist er einer breiteren Öffentlichkeit mit seinem Buch über den Fremden in uns, einer Studie, in der er die Entstehung autoritärer Charakterstrukturen als Voraussetzung autoritärer politischer Systeme analysiert.

Dieses Thema variiert er auch in dem vorliegenden Bändchen, das, wie er im Vorwort schreibt, der Jugend gewidmet ist. Es ist der Versuch eines Brückenschlags zwischen Großeltern und Enkeln, der die Welt der Erwachsenen ins Visier nimmt und dem jugendlichen Elan im Einsatz für Frieden und gegen Gewalt seine eigene Legitimität zuspricht.

"Wünscht sich ein Kind eine Welt ohne Kriege, wird es von Erwachsenen als naiv abgetan, genauso wie der Jugendliche, der für Frieden demonstriert. Aber was ist naiv an solchen Wünschen? Was ist lächerlich daran, sich eine Welt ohne Gewalt vorzustellen? Warum wird ein von Liebe bestimmtes menschliches Zusammenleben verächtlich als naiver Traum abgetan? Es gilt als erwachsen und realistisch, sich mit Kriegen abzufinden. Erwachsene halten Gewalt für ein Naturgesetz."

Wer nach diesen einleitenden Worten ein moralisierendes Pamphlet für eine Welt ohne Kriege erwartet, wird angenehm enttäuscht. Kriege, so schreibt er gleich zu Beginn, sind auch und vor allem ein menschliches Problem. Wer Kriege verstehen will, darf sich nicht nur mit ökonomischen und politischen Makrophänomenen befassen, er muss auch die psychische Ökonomie, die Politik des Unbewussten berücksichtigen.

Hinter der Maske des grimmigen Realismus verbirgt sich das beschädigte Subjekt, der leidensunfähige Mensch, der seine eigene Deformation nach außen projiziert, statt sich ihr in einem schmerzhaften Prozess zu stellen.

Die Erkenntnis, dass ein von klein auf deformiertes Wesen, anfällig für autoritäre Verlockungen wird, ist nicht neu und schnell lässt sich der allgemeine Mechanismus an den Figuren der weltgeschichtlichen Bühne demonstrieren. Ob Hitler oder Osama bin Laden, Gruen sieht bei allen das traumatisierte Kind im Hintergrund wirken.

Gruen verweist auf anthropologische Untersuchungen über friedliche Gesellschaften und auf Studien zur frühkindlichen Entwicklung, die den tief prägenden Einfluss von fehlgeschlagenen Eltern-Kind-Interaktionen belegen. Hier argumentiert er souverän in einem Minenfeld der aktuellen Forschungslandschaft.

Der humanwissenschaftliche Zeitgeist neigt eher einem kruden Konkurrenzmodell zu, der Mensch sei von Natur aus böse und müsse in seine Schranken verwiesen werden. Begriffe wie machiavellistische Intelligenz oder das Bild vom egoistischen Gen prägen derzeit die mit wissenschaftlichen Befunden bemäntelte öffentliche Diskussion über das Wesen des Menschen. Dem stellt sich Gruen entgegen.

"Die Vorstellungen, die wir von der menschlichen Natur haben, sind in Wahrheit jedoch vorgeformte Ideen und Ideologien, die mit kulturellen Prinzipien wie Männlichkeit und Stärke, Besitz und Wettbewerb zu tun haben. Das Gerede über die böse Natur des Menschen hat mit gesicherten Erkenntnissen wenig zu tun."

Immer wieder verweist er darauf, dass die Vorstellungen darüber, was normal, natürlich, vernünftig und notwendig ist, keineswegs von Natur aus gegeben sind. Sein Buch ist ein flammendes Plädoyer für eine unbeschädigte Intersubjektivität als Grundvoraussetzung für das Ideal einer besseren, auf Anerkennung und Verständigung basierenden Gesellschaft. Damit scheint er alle historischen Beispiele gegen sich zu haben.

Doch zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass auch unter evolutionären Gesichtspunkten ein Überleben der Gattung ohne Solidarität, Empathie, Kooperation und gegenseitiger Anerkennung nicht möglich ist. Das Problem liegt darin, dass diese Fähigkeiten sehr voraussetzungsvoll sind. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist Autonomie.

Ein Mensch, der sich nicht als Subjekt seines eigenen Handelns begreifen kann, der sich als fremd gesteuert, unterdrückt und schwach erfährt, ist für die Verlockungen der Identifikation mit scheinbar starken Männern anfällig. Autonomie heißt aber auch, das eigene Scheitern, die eigene Schwäche anzuerkennen.

Erst das Bewusstsein der eigenen Verletzlichkeit öffnet den Blick für die Verletzlichkeit des anderen und entwickelt so eine Art evolutionärer Sperrwirkung gegen Grausamkeit und Gewalt. Aber diese Haltung wird in unseren Gesellschaften nicht gefördert. Zu tief sitzt der Wunsch nach Macht und Autorität. Gruen legt den Finger in diese Wunde.

"Wir alle halten uns für aufrechte und vorurteilslose Zeitgenossen, die jedem Menschen die gleiche Würde und den gleichen Wert zusprechen. Doch seien wir ehrlich: Zollen wir nicht insgeheim jenen mehr Respekt, die uns mit den Insignien von Macht, Geld und Wissen entgegentreten? Sind wir nicht stolz darauf, wenn sie uns beachten und anerkennen?"

Es ist das alte Muster von Sein und Haben, von Besitz und Macht und dem Wunsch über andere zu herrschen, das Gruen hier bearbeitet. Man muss kein Psychoanalytiker sein, um das richtige Publikum für diese Botschaft zu identifizieren.

In jugendlichen Protestformen nimmt die Kritik an den Verhältnissen ihre reinste Form an und daher richtet sich dieses Buch auch an eine jugendliche Leserschaft. Man wünschte sich, dass eine derartige Lektüre zum Kanon im Schulunterricht würde. Auch könnte es nicht schaden, wenn manche Lehrer es sich auf den Nachttisch legten.

Denn letztlich bleibt immer nur die schwache Hoffnung, dass über die Einsicht in unsere eigene Deformation der Weg zum Besseren sich öffnet. Gruens kleines Buch ist dabei ein passender Wegbegleiter.

Arno Gruen: Ich will eine Welt ohne Kriege
Klett-Cotta-Verlag, Stuttgart 2006