GKV-Vorstand Voß verteidigt Benotung von Pflegeheimen

Dieter Voß im Gespräch mit Nana Brink · 15.10.2009
Der Vorstand des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen (GKV), Klaus-Dieter Voß, hat die Bewertung von Pflegeheimen nach Schulnoten begründet: Es sei neu, dass die Ergebnisse solcher Untersuchungen veröffentlicht und damit transparent würden.
Nana Brink: Die Pflege in Deutschland ist – so darf man der Einschätzung des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen (GKV) entnehmen – in besten Händen. Ein Pflege-TÜV hat sogenannte Pflegenoten ausgegeben und herausgefunden, dass die Pflege in fast 70 Prozent gut oder sogar sehr gut sei. Kritiker halten diese Einschätzung für viel zu positiv. Und das Institut für Demoskopie Allensbach wird heute in seiner Studie "Pflege in Deutschland" vorstellen, wo es unter anderem auch um die Qualität der Pflege geht, die angeblich nicht so gut ist. Und wir sind jetzt verbunden mit Dieter Voß, Vorstand des Verbandes aller Pflegekassen (GKV). Schönen guten Morgen, Herr Voß!

Dieter Voß: Schönen guten Morgen, Frau Brink!

Brink: Kritiker bemängeln Ihre Pflegenoten als weit zu positiv, zum Beispiel kann ein Heim schlechte Noten beim Umgang mit Medikamenten durch eine gute Note für jahreszeitliche Feste ausgleichen. Sagt das wirklich etwas über die Qualität der Pflege in einem Heim aus?

Voß: Also die Kriterien, die jetzt untersucht werden und die auch schon Gegenstand von über 1000 Prüfungen in Heimen waren, und zwar in Heimen waren auch unter Einbeziehung der Heimbewohner – das ist was Neues –, haben ergeben, dass durchaus die Kriterien tauglich sind, die Pflegequalität zu prüfen und auch halbwegs solide abzubilden. Von den etwa 1000 Fällen haben wir festgestellt bisher jedenfalls, dass nur vier Promille, also vier Fälle, implausibel sind, wo also die Gefahr besteht, dass ein Heim, das nicht so gut ist, möglicherweise besser bewertet worden ist, als es verdient.

Brink: Aber trotzdem gibt es Unterschiede. 17 Prozent der von Ihnen überprüften Einrichtungen weisen schwere Mängel in Kernbereichen auf, also in der medizinischen Versorgung, Pflege, soziale Betreuung, und im Umgang mit Demenzkranken erreichen sogar 21 Prozent der Häuser schlechte Noten. Warum ist das so?

Voß: Ja, das wollten wir ja genau mit diesen Untersuchungen herausbekommen, und das Neue ist ja, dass diese Prüfungsergebnisse im Gegensatz zu bisheriger Übung veröffentlicht, transparent gemacht werden. Das heißt, Pflegebedürftige, ihre Angehörigen, Berater erfahren künftig, welche Heime gut sind, welche Heime gut sind in puncto Pflege, in puncto medizinischer Versorgung, in puncto Betreuung Demenzkranker und werden danach Auswahlentscheidungen treffen. Und die Einrichtungen, die schlecht sind, müssen sich verbessern – einmal auf Druck der Pflegekassen und dann aufgrund auf Druck des Marktes, dass eben Pflegebedürftige diese Häuser eher meiden als aufsuchen.

Brink: Haben Sie denn dann Ihre Pflegenoten überprüft jetzt, nachdem diese Kritik kam?

Voß: Ja, wir sind ja dabei. Wir haben also diese Grobumfrage gemacht, die Prüfungen haben am 01.07. ja erst begonnen, nach Maßgabe dieser neuen Regeln. Wir werden Detaildaten vorliegen haben Ende November und machen dann eine feinere Überprüfung. Und ich hab gesagt – und da stehe ich auch zu –, dass wenn sich dann zeigt, dass tatsächlich in einer nicht zumutbaren größeren Zahl Implausibilitäten entstehen und ungerechte Bewertungen vergeben werden, in die eine oder andere Richtung, werden wir nachbessern müssen.

Brink: Aber das haben Sie doch schon vorher gewusst, das ist ja nicht neu.

Voß: Ja nun, Sie müssen eins sehen, Frau Brink, die Regelungen, die jetzt getroffen worden sind, sind vereinbart, nach dem Willen des Gesetzes, mit den Pflegeanbietern, mit den Verbänden der Pflegeanbieter. Es ist nicht das, das wir aufgrund eigener Einsicht möglicherweise umsetzen konnten und auch wollten.

Brink: Das Institut für Demoskopie in Allensbach gibt heute eine Studie heraus, und daraus wird auch offensichtlich, dass vielen Betroffenen ja die Zeit für die Pflege wichtig ist – und jeder weiß das, der schon mal einen Angehörigen in einem Pflegeheim besucht hat –, genau da haben aber die meisten Häuser Defizite. Kann man das abstellen so einfach?

Voß: Ja, so einfach nicht. Einmal gibt es ja nicht einen hinreichenden Fall von Pflegekräften, das ist ein Problem, und zum anderen muss man sehen, dass die Kosten für Pflegeheime ziemlich hoch sind und die Pflegeversicherung davon im Bundesdurchschnitt etwa nur 50 Prozent der Kosten, der tatsächlichen Kosten deckt. Die Pflegeversicherung ist ja mehr oder weniger eine Teilkaskoversicherung, keine Sachleistung. Und das, was die Pflegeversicherung nicht zahlt, muss der Pflegebedürftige zahlen, müssen die Angehörigen zahlen oder die Sozialhilfe. Und da gibt es halt Grenzen der Belastbarkeit, und die drücken sich auch möglicherweise nieder, leider nieder, in der Betreuungsintensität in der ambulanten Versorgung, aber zuweilen auch in der stationären Versorgung. Wünschenswert ist es nicht, kann aber vorkommen.

Brink: Sie sprechen es an, viele Menschen haben Angst, dass die Rente nicht reicht, wenn man ein Pflegefall wird. Auch das Institut für Allensbach sagt, viele Menschen fühlen sich beim Thema Pflege vom Staat allein gelassen. Ist denn diese Angst berechtigt?

Voß: Sie ist nicht ganz unberechtigt, denn wir müssen sehen, schon aufgrund bisheriger Zahlen – das habe ich gerade gesagt – aus der Pflegeversicherung im Bundesschnitt, das kann in Einzelfällen unterschiedlich sein, etwa nur 50 Prozent der tatsächlichen Kosten in Pflegeheimen gedeckt werden. Der Rest ist eben vom Pflegebedürftigen, unterhaltspflichtigen Angehörigen oder von der Sozialhilfe zuzuschießen, und da ist natürlich schon ein Finanzierungsdefizit da, das möglicherweise auch durchschlägt auf die Pflege, auf die Güte der Pflege und auch auf die Personalstellen in Pflegeeinrichtungen.

Brink: Ja, aber wissen das dann zum Beispiel viele Menschen nicht? Nur 12 Prozent der Bürger haben eine private Vorsorge. Wie kann man das denn ändern?

Voß: Das kann man dadurch ändern, dass der Gesetzgeber die Pflegeversicherung inhaltlich verändert. Das kann man ändern dadurch, dass eine private Vorsorge stimuliert wird. Inzwischen bieten ja auch Versicherungen an, eine Pflegezusatzversicherung, um das Delta an Kosten, das entsteht zwischen der Pflegeversicherung und tatsächlichen Kosten, abzudecken. Nur das ist ein Prozess, der jetzt in Gang gesetzt worden ist und auch deshalb schwierig ist, weil ja die Zahl älterer Menschen und die Zahl pflegebedürftiger Menschen steigt. Wir hatten mit Einführung der Pflegeversicherung etwa eine Million Pflegebedürftige, inzwischen haben wir mehr als die doppelte Zahl.

Brink: Dieter Voß, Vorstand des Verbandes aller Pflegekassen (GKV), und wir sprachen über den Zustand der Pflege in Deutschland. Vielen Dank für das Gespräch!

Voß: Bitte schön!