Giftschlamm

Brasilien nach seiner größten Umweltkatastrophe

Eine giftige Schlammlawine hat Teile des brasilianischen Dorfes Paracatu de Baixo im Bundesstaat Minas Gerais begraben.
Eine giftige Schlammlawine hat Teile des brasilianischen Dorfes Paracatu de Baixo im Bundesstaat Minas Gerais begraben. © AFP / Douglas Magno
Von Andreas Behn · 04.05.2016
Vor einem halben Jahr begrub eine gewaltige Schlammlawine in Brasilien mehrere Dörfer unter sich. Das Klärbecken einer Eisenmine war gebrochen. Bis heute ist der Fluss Rio Doce auf Hunderten Kilometern verseucht. Diejenigen, die ihre Häuser verlassen mussten, hoffen auf angemessene Entschädigung. Und darauf, dass sie irgendwann wieder ein normales Leben führen können.
Simaria: "Schau, dort neben dem weißen Zelt, der orangene Mauerrest. Das ist, was von meinem Haus übrig ist. Es war ein Haus samt Restaurant, richtig groß."
Simaria Caetana Quintão steht am Rand eines staubigen Berghangs. Über einen Fluss hinweg blickt sie auf eine lehmige, rotbraune Schlammlandschaft. Darunter liegt ihr Dorf Bento Rodriguez begraben. 19 Menschen kamen ums Leben, als vor einem halben Jahr das Klärbecken einer Eisenmine zerbarst und sich Millionen Kubikmeter giftiger Schlamm plötzlich talabwärts ergossen. Jetzt räumen die Bagger getrockneten Schlammbrocken zur Seite, hieven sie auf Lkws.

Anekdoten erzählen im Sperrgebiet

Jedes Wochenende kommt Simaria mit ihrer Familie und Freunden hierher. Sie stehen in der prallen Sonne und erzählen sich Anekdoten aus ihrem früheren Leben. Dabei ist das verboten. Die Gegend wurde zum Sperrgebiet erklärt.
"Ist das nicht absurd? Noch gehört uns dieses Haus dort drüben. Ich müsste doch das Recht haben, dort hinzugehen, wann es mir passt. Und sei es nur aus Sehnsucht. Es ist mein Haus, ich kam dort zur Welt, bin dort ausgewachsen, habe immer dort gewohnt."

"Respektloser Umgang mit uns"

Simaria trägt das Haar streng zurückgekämmt. Sie wirkt nicht verbittert, eher aufmüpfig. Auf ihrer Stirn sind Schweißperlen zu sehen. Abgesehen vom Baggerlärm ist es still, fast wie auf einem Friedhof, da weit und breit niemand mehr hier wohnt.
"Wir können nicht einmal zu der Kirche, wo die Eltern begraben sind. Und sie machen, was sie wollen: Sie bauen einen neuen Damm, obwohl das verboten ist. Eines Tages werden wir herkommen und vor einem neuen Stausee stehen. Auf unseren Grundstücken. Es ist ein respektloser Umgang mit uns."
Der Minenbetreiber Samarco hat sich gleich nach dem Unglück um die Betroffenen aus dem Dorf gekümmert. Rund 700 Obdachlose wurden in die nächstgelegene Kleinstadt Mariana gebracht und in Mietwohnungen untergebracht. Das Unternehmen zahlt allen eine monatliche Finanzhilfe, da der Lebensunterhalt in der Stadt teuer ist. Simaria ist dankbar, aber es reicht ihr nicht:
"Ich will meine Identität zurückhaben. Wir haben viel Kleidung gespendet bekommen. Aber manchmal möchte ich in ein Geschäft gehen und mir ein Kleid kaufen, das mir gefällt. So war es früher."

Der Fischfang ist nun verboten

Dem menschlichen Drama folgte eine ökologische Katastrophe. Millionen Kubikmeter giftigen Schlamms flossen in den Rio Doce und landeten schließlich im 300 Kilometer entfernten Atlantik. Der Fischfang, die wichtigste Einnahmequelle vieler Anrainer, ist in zahlreichen Flussabschnitten verboten. Schwermetalle in hoher Konzentration belasten das lehmige Wasser: Blei, Kupfer, Kadmium. Einer Studie des Umweltinstituts Chico Mendes zufolge sind viele Fische verseucht, einige haben 140 Mal mehr Arsen im Blut als erlaubt. Simaria kennt die verzweifelte Lage flussabwärts:
"Dort leben die Menschen in einer richtigen Notsituation. Die Leute haben ihren Lebensunterhalt verloren. Auch die Hotels sind leer. Niemand fährt mehr dorthin, was soll man da auch machen? Auf einen Schlammfluss schauen?"
Simaria und ihre Freunde fahren weiter Richtung Paracatú. Das Dorf wurde rund eine Stunde nach Bento Rodriguez von der Schlammlawine überrollt. An beiden Uferseiten des Flusses ist an den rostfarbenen Markierungen der Bäume zu erkennen, dass der Schlamm hier meterhoch entlangwalzte.
Jetzt sieht das Tal wie eine breite Lehmrutsche aus. Überall liegt noch Geröll herum. Airton Sales stammt aus Paracatú. Seine Eltern haben alles verloren und leben wie Simaria jetzt auch in der Kleinstadt Mariana. Er schaut auf das lehmige Wasser. Er kann sich nicht vorstellen, hier irgendwann wieder zu schwimmen.
Der verschmutze Fluss hat auch das ökologische Gleichgewicht im Mündungsgebiet beeinträchtigt. Schildkröten leiden unter dem schlammigen Wasser. Minenbetreiber Samarco beteuert allerdings, dass die hohe Schwermetallkonzentration im Rio Doce nichts Neues sei.

Aufräumarbeiten sollen 15 Jahre dauern

Airton Sales: "Ich weiß nur, dass Samarco mit den Aufräumarbeiten am Fluss bereits begonnen hat. Das soll rund 15 Jahre dauern. Es geht um das gesamte Flusstal. Wo eine Säuberung nicht mehr möglich ist, muss Samarco zur Kompensation Land von der Regierung kaufen. Samarco hat zugesagt, auf 40.000 Hektar Land die Natur wieder herzustellen."
Noch immer ist unklar, warum der Damm überhaupt zerbrach. Viele glauben, dass sich in dem Rückhaltebecken mehr giftiger Schlamm befand als erlaubt. Fünf Milliarden Euro wird der Minenbetreiber in einen Fonds zahlen. Für Menschen wie Simaria und Airton kann es aber keine Wiedergutmachung geben.
Airton Sales: "Das, was wir hier verloren haben, hat keinen Preis. Egal, wie viel Entschädigung du bekommst, es wird nie mehr so sein wie früher. Es ist nie genug, um den Fehler wieder gut zu machen, den sie begangen haben."
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