Gewinn in alle Ewigkeit

Von Kirsten Serup-Bilfeldt · 09.10.2010
In "Gewinn in alle Ewigkeit" blickt der evangelische Theologe und Journalist Christoph Fleischmann zurück auf die Anfänge des Kapitalismus an der Schwelle zur Neuzeit. Dabei nimmt er den Faden von Walter Benjamin auf, der im Kapitalismus eine Religion sah, die in Europa das Christentum abgelöst hat.
Ein kantiger Kopf und wache Augen, die unter einer kostbar bestickten Kappe hervorschauen. Unter dem prachtvollen Pelzrock des Dargestellten schimmert ein weißseidenes Hemd. So hat Albrecht Dürer um das Jahr 1519 den berühmten Augsburger Handelsherrn Jakob Fugger porträtiert. Fugger machte Geschäfte mit Gott und der Welt. Zu seinen Kunden gehörten Kaiser, Könige und der Vatikan. Er finanzierte Kriege, konnte Dynastien stürzen oder ihnen zum Aufstieg verhelfen. Sein Finanzimperium umfasste halb Europa und Teile der gerade entdeckten Neuen Welt. Er war der wohl erste "Global Player" der Wirtschaftsgeschichte.

Ist es vorstellbar, dass dieser verdienstvolle und hoch angesehene Mann eigentlich der ewigen Verdammnis anheimfallen sollte? Denn immerhin hatte er sich nach den Vorstellungen seiner Zeit der "avaritia", der Habgier schuldig gemacht. Einer Habgier, die sich bei seinen finanziellen Transaktionen in Zinsgeschäften und Wucher niederschlug. Mit fatalen Folgen für das Seelenheil? Also: Jakob Fugger ein Todsünder?

Christoph Fleischmann: "Das ist in der Tat etwas, was die Historiker vor ein gewisses Problem stellt, dass wir tatsächlich eine ganze Reihe religiöser Texte haben, wo klar gesagt ist: Der, der Geld auf Zinsen verleiht, also Wucher betreibt, der ist aus dem Heil gefallen. Klar ist aber auch: Es gibt eine Kreditwirtschaft seit dem hohen Mittelalter von den Städten ausgehend und die großen Handelskaufleute haben auch Bankgeschäfte getätigt; für den Fernhandel brauchte man Geldoperationen, die natürlich mit Zins und Kredit gelaufen sind."

Christoph Fleischmann, evangelischer Theologe und Journalist weist darauf hin, dass vor rund einem halben Jahrtausend der erfolgreiche Kaufmann durchaus in einer gewissen Schizophrenie gelebt habe; dass er sich mit einem Bein schon in der Hölle sah, andererseits aber in seinem Umfeld ein mächtiger und achtbarer Mann war. An dieser Schwelle der Neuzeit beginnt aber ein Wandel. Es setzt sich die Überzeugung durch, dass der Reichtum weniger durchaus zum Nutzen vieler sein könne:

"Ein schönes Beispiel ist natürlich der Jakob Fugger. Da wird immer gesagt: Der hatte noch Höllenangst, deswegen hat er die Fuggerei gegründet, diese große Sozialsiedlung, wo die Leute für ganz kleines Geld wohnen können, aber für den Stifter beten müssen. Da wird dann gesagt, der brauchte die Gebete für das, was er da getan hat. Das glaube ich nicht. Das Selbstbewusstsein, was der hatte, war im Grund das Selbstbewusstsein, was auch die Könige hatten: Gott hat mir diesen Reichtum geschenkt und als großzügiger Stifter gebe ich davon etwas ab."

Nun macht die zuvor verurteilte Habgier eine steile Karriere: Sie verwandelt sich von einer Todsünde in eine Wirtschaftstugend. So verändert der Kapitalismus die Ethik der Welt. Das sind Erkenntnisse und Betrachtungen, wie sie in Christoph Fleischmanns Buch zu finden sind. Der Autor stellt die Dinge vom Kopf auf die Füße und wieder auf den Kopf zurück. Als Journalist schreibt er anschaulich und liefert farbige Erklärungen. Entstanden ist so eine etwas andere Geschichte des Kapitalismus, die die "Gewissheiten" unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung munter und kenntnisreich auf den Prüfstand stellt.

Fleischmann beleuchtet die Anfänge des Kapitalismus an der Schwelle zur Neuzeit und nimmt dabei einen bereits 1921 gesponnenen Faden des Philosophen und Literaten Walter Benjamin auf. Der hatte damals den Kapitalismus als einen Parasiten bezeichnet, der sich auf dem Christentum ausgebreitet und dann den Wirt verschlungen habe:

"Der Kapitalismus dient essenziell der Befriedigung derselben Sorgen, Qualen und Unruhen, auf die ehemals die sogenannten Religionen Antwort gaben",

hatte Benjamin notiert. Es ist diese Fährte, die Fleischmann interessiert:

"Wenn man das historisch betrachtet, kann man sehen, dass zu Beginn der Neuzeit sich das Wirtschaftsdenken aus der Umklammerung der Religion befreit, man kann sagen emanzipiert hat. Das Interessante ist aber, dass sich das moderne Wirtschaftsdenken im Gegensatz zur bisherigen Religion entwickelt hat und dass es eine theologische Mitgift mitbekommen hat. Es hat sich selber in religiösen Formen dargestellt."

Diese religiösen Formen sind vielfältig. Zum kapitalistischen Wirtschaften gehört zunächst natürlich der entsprechende Glaube. Es ist der Glaube an die Allmacht und die Heilsversprechen des Kapitals, an "Gewinn in alle Ewigkeit" und an ein niemals endendes Wirtschaftswachstum. Und es ist der Glaube, dass wenn das Kapital regiert, es praktisch allen gut geht, dass, so Fleischmann, die steigende Flut alle Boote anhebe, die Schaluppen wie die Luxusjachten. Das Kapital wird zum Gott unseres Wirtschaftssystems und das schlägt sich selbst in der Sprache nieder:

"Ihren Glauben bekennen die Menschen im Credo, und wenn jemand einen guten Glauben in mich hat, kann er mir auch einen Kredit gewähren. Oder die Messe war eben früher eine religiöse Veranstaltung und später ist sie eine Handelsmesse geworden. Eine Offenbarung, also da, wo man an die letzten Geheimnisse herankommt, gibt es heute nur noch im Offenbarungseid. Es sind zumindest Hinweise, dass es da Verbindungslinien zwischen der religiösen Sphäre und der Wirtschaft gibt."

Christoph Fleischmann hat den Bogen von den italienischen Handelsherren der Renaissance bis hin zu Josef Ackermann geschlagen. Deutlich wird: Der Glaube an die Wohltaten des Kapitals vermag die Gehirne zu vernebeln oder, drastischer gesagt: "Gier frisst Hirn."

Service:
"Gewinn in alle Ewigkeit - Kapitalismus als Religion" von Christoph Fleischmann ist im Rotpunktverlag Zürich erschienen und kostet Euro 21,50.
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