Gespräch und Musik

Begegnungen mit Helmut Lachenmann

Der Komponist Helmut Lachenmann (l.) und der Musikredakteur Rainer Pöllmann.
Der Komponist Helmut Lachenmann (l.) mit dem Musikredakteur Rainer Pöllmann © privat
23.07.2014
Helmut Lachenmann, geboren 1935 in Stuttgart, ist einer der berühmtesten und wirkungsmächtigsten Komponisten der Gegenwart, der unsere Hörgewohnheiten und unser Denken über Musik grundlegend verändert hat. In sieben Folgen spricht Lachenmann über seine künstlerische Entwicklung, seine Ästhetik und seine Erlebnisse mit Musikern und Institutionen.
Ein Komponist, der seit fast 50 Jahren mit seiner differenzierten Klangwelt und seinem konsequent die Gesellschaft herausfordernden Kunstbegriff Vorbild und Herausforderung für Generationen von Komponisten und Kunstschaffenden ist.
Sein Werk steht im Kontext abendländischer Musiktradition, die aber einer kritischen Reflexion unterworfen wird. Mit seiner Musik und seinen theoretischen Texten hat Helmut Lachenmann unsere Art des Hörens verändert, mehr noch: unser ganzes Denken über Musik. Und nicht zuletzt ist er auch ein scharfer und hellsichtiger Beobachter der politischen Verhältnisse, ein unerbittlicher Kämpfer die Freiheit der Kunst von inneren und äußeren Zwängen, gegen ihre Vereinnahmung und Funktionalisierung.
In den 1970er-Jahren noch heftig angefeindet, ist Lachenmann seit vielen Jahren schon ein weithin verehrter Künstler, zu dessen 80. Geburtstag im nächsten Jahr zahlreiche Veranstaltungen geplant werden. In sieben Folgen der Gesprächsreihe "Begegnungen" spricht Helmut Lachenmann mit Rainer Pöllmann über seine künstlerische Entwicklung, seine Ästhetik und seine Erlebnisse mit Musikern und Institutionen.
"Wie der Geist alles beherrscht"
Im Zentrum der zweiten Folge steht die Beziehung zu Luigi Nono. Mit dem italienischen Komponisten – geboren 1924 in Venedig, einer der Protagonisten der Darmstädter Avantgarde und überzeugtes Mitglied der PCI – verbindet Lachenmann eine ebenso intensive wie wechselvolle Geschichte. Lachenmann lernt Nono bei den Darmstädter Ferienkursen für neue Musik 1957 kennen, in den Jahren 1959/1960 ist er in Venedig sein Schüler, wird danach schnell zum Vertrauten und zu Nonos "Ghost Writer" in den Debatten jener Jahre. Schon 1961 kommt es jedoch zu einer ersten Krise, 1971 zum endgültigen Bruch. Es folgt jahrelanges Schweigen, dann aber, im Jahr 1983, eine späte Wiederannäherung, bis zu Nonos Tod im Jahr 1990.
In dieser zweiten Folge erzählt Helmut Lachenmann von dieser schwierigen Freundschaft: von dem Druck, dem er sich als Schüler Nonos ausgesetzt sah, von den politischen Debatten mit Nono, der seine Kunst als eine dezidiert politische verstand; vor allem aber von der Faszination, die die Radikalität von Nonos Denken und Komponieren auf ihn ausübte und die er – auf ganz andere Weise – in seinem eigenen Oeuvre konsequent fortführt. Nonos Rat, zu beobachten, "wie der Geist alles beherrscht", ist Lachenmann zeitlebens gefolgt.
Kompositionstechnisch ist diese Zeit Ende der 50er-, Anfang der 60er-Jahre gekennzeichnet von einer gewissen Erschöpfung des strengen seriellen, konstruktivistischen Denkens. John Cage und seine Ideen vom Zufall entfalten ihre Wirkung, als europäisches Gegenmodell zur Determination im Serialismus kommt die Aleatorik auf, mit mehr oder minder großen Spielräumen für den Zufall oder freie Entscheidungen der Interpreten, was die Werk-Gestalt angeht. Einer der maßgeblichen Theoretiker jener Jahre: Heinz-Klaus Metzger. Für Helmut Lachenmann sind diese Jahre von Suchbewegungen geprägt. Es entstehen etliche Werke, die bis heute nicht veröffentlicht sind – eine Zeit des Ausprobierens, des, wie Lachenmann selbst sagt, "Exorzismus".
"Begegnungen mit dem Komponisten Helmut Lachenmann"
Eine Sendung in sieben Teilen von Rainer Pöllmann
Teil 2: Luigi Nono, Lehrer und schwieriger Freund (1957-1990)
Mit Ausschnitten aus folgenden Werken:
Helmut Lachenmann
"Souvenir" Musik für 41 Instrumente;
Radio-Symphonie-Orchester Stuttgart des SWR
Leitung: Peter Hirsch
Luigi Nono
"Intolleranza 1960" Azione scenica in due parti
Petre Munteanu, Catherine Gayer, Carla Henius,
Coro Polifonico di Milano
BBC Symphony Orchestra
Leitung: Bruno Maderna
(Aufnahme der Uraufführung 1961)
Helmut Lachenmann
"Introversion I" für 6 Instrumente
Studioorchester Hannover
Leitung: Klaus Bernbacher
Karlheinz Stockhausen
"Plus Minus" 2 x 7 Seiten für Ausarbeitungen für freie Ensembles
Realisierung: ensemble recherche
Luigi Nono
"Cori di Didone" für gemischten Chor und Schlagzeug
SWR-Vokalensemble
Les Percussions de Strasbourg
Leitung: Marcus Creed
Luigi Nono
"Ein Gespenst geht um die Welt" für Sopran, Chor und Orchester
Liliane Poli, Sopran
Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Leitung: Ladislav Kupkovic
(Aufnahme der Uraufführung 1971)
Luigi Nono
"No hay caminos ... hay que caminar – Andrej Tarkowskij" für 7 Orchestergruppen
SWF-Sinfonieorchester Baden-Baden
Leitung: Michael Gielen
Zur Beziehung Helmut Lachenmanns zu Luigi Nono sind vor kurzem auch zwei höchst aufschlussreiche Bücher erschienen:
Rainer Nonnenmann: Der Gang durch die Klippen. Helmut Lachenmanns Begegnungen mit Luigi Nono anhand ihres Briefwechsels und anderer Quellen 1957-1990; Breitkopf und Härtel, Wiesbaden 2013, ISBN 9783765103261; 478 Seiten, 54 Euro
Angela Ida De Benedictis, Ulrich Mosch (Hrsg.): Alla ricerca di luce e chiarezza. L'epistolario Helmut Lachenmann – Luigi Nono (Archivio Luigi Nono, Studi IV); Verlag Olschki, Florenz 2012, 294 Seiten, 35 Euro
Die dritte Folge der Begegnungen mit Helmut Lachenmann senden wir am 30. Juli 2014 um 20:03 Uhr. Im Zentrum steht dann die Entwicklung der Musique concrète instrumentale.

Informationen zu den bereits gesendeten Teilen der Reihe "Begegnungen mit Helmut Lachenmann":

Teil 1: Kindheit und Jugend, Studium, erste Werke, Donaueschingen und Darmstadt (16.07.2014)