Gespaltener Glaube

Moderation: Anne Françoise Weber · 07.04.2012
Die Unterscheidung zwischen gut und böse, richtig und falsch gebe es in allen Religionen, sagt der Wissenschaftler Hartmut Zinser. Das Christentum habe jedoch immer Schwierigkeiten gehabt, einen barmherzigen Gott angesichts des Bösen in der Welt zu rechtfertigen.
Ralf Bei der Kellen: Wir wollen heute zum Abschluss der Themenwoche fragen, wie eigentlich die verschiedenen Religionen das Böse fassen - und vor allem, in welche Beziehung zu ihrem Gott oder ihren Göttern sie es stellen. Meine Kollegin Anne Françoise Weber hat vor der Sendung mit dem Religionswissenschaftler Hartmut Zinser gesprochen und wollte zunächst von ihm wissen, ob denn Gut und Böse in allen Religionen entscheidende Kategorien sind oder ob es sich um einen vor allem vom Christentum geprägten Ansatz handelt?

Hartmut Zinser: Die Unterscheidung zwischen gut und böse oder was ist richtig und was ist falsch, gibt es in allen Religionen. Alle Religionen - das ist keine Definition von Religion - geben Antwort auf die Frage: Was darf ich tun, was darf ich nicht tun, was kann ich hoffen? Und darunter gibt es richtige und falsche Entscheidungen. Und natürlich sind diese auch situationsabhängig und sind dann deswegen auch immer nicht eindeutig.

Anne Françoise Weber: Und sind denn der Gott oder die Götter immer gut? Also zumindest bei den antiken Göttern hat man ja so den Eindruck, die hatten - wie wir Menschen - gute und böse Charaktereigenschaften.

Zinser: Es gibt zwei Systeme … kann man, wenn man die Religionen so einteilen wollte, nämlich monotheistische Religionen mit einem absoluten Gott - es gibt auch monotheistische Religionen mit einem gemilderten Gott - und polytheistische, also Vielgötter. In polytheistischen Religionen wie zum Beispiel der antiken griechischen oder römischen, waren die Götter nicht gut. Lesen Sie die Odyssee nach: Poseidon ist hinterhältig, gemein, Schürzenjäger, Zeus interessiert sich für Knaben und betrügt seine Ehefrau. Also Altgötter tun, wie Platon schon feststellte, alles das, was den Menschen verboten ist. Die Götter waren nicht gut, und insofern waren sie auch kein Vorbild. Und deswegen haben Staatstheoretiker dann gesagt, nee, nee, also Homer muss verbannt werden aus dem Schulunterricht. Und manche haben sich ausgedacht, den lassen wir gleich noch im Jenseits bestrafen durch Rutenschläge, und der muss von einem Baum hängen und irgend so ein, und die hatten deswegen das Problem nicht in der Form.

Die Götter waren gut und böse und konnten gemein, hinterhältig, fies sein, rachsüchtig, also alles menschliche Eigenschaften, die man natürlich einem absoluten Gott nicht zuzuschreiben wagt. Es gibt Stellen in der hebräischen Bibel, also im Alten Testament, da hat der Gott noch von diesem was, aber das wird später aufgehoben. Und die monotheistischen Religionen haben das Problem, dass sie ihrem Gott zuschreiben, die Welt geschaffen zu haben, mit allem, was drin ist.

Weber: Und damit auch mit dem Bösen.

Zinser: Und damit haben sie auch das Böse geschaffen. Und das ist aber mit der Vorstellung des guten und barmherzigen Gottes nicht in Übereinstimmung zu bringen. Und dann kommt die Frage: Woher kommt das Böse?

Weber: Und welche Antworten gibt es darauf?

Zinser: Viele. Also im Neuen Testament ist das eigentlich ziemlich unbedarft, da gibt es den Satan, was natürlich dann kein strenger Monotheismus ist.

Weber: Na ja, aber er verliert gegen Gott.

Zinser: Er verliert, aber er ist da, und das Böse gibt es weiter, also bleibt er weiter bestehen. Im Weiteren gibt es dann andere Theorien, nämlich dann mit der strengeren Ausbildung des Monotheismus wird dann von Augustinus die Lehre aufgebracht, das Böse ist der Mangel des Guten, privatio boni. Das erklärt das nicht richtig. Vor allen Dingen erklärt das nicht richtig, dass die Menschen oder viele Menschen auch einen bösen Hang haben. Sie wollen gemein, hinterhältig sein und böse sein, nur um des Bösesein Willens.

Man muss sich klarmachen, gut und böse sind menschliche Eigenschaften, keine natürlichen - also schwarz und weiß, leicht und schwer ist eine natürliche Eigenschaft, hell, dunkel -, gut und böse ist eine moralische Eigenschaft, die vom Menschen geschaffen sind und da natürlich auch von Menschen abhängig sind und abhängig ist, situativ abhängig. Was für den einen gut ist, mag für den anderen böse sein.

Das Christentum hatte immer Schwierigkeiten mit dieser Frage, und bis hin zur Lehre von Leibniz, der Theodizee der Rechtfertigung Gottes angesichts des Bösen in der Welt. Und angesichts großer Katastrophen, gerade im letzten Jahrhundert, stellt sich die Frage, ja, ist denn Gott allmächtig oder nicht. Und wenn er allmächtig ist, wie könne diese und jene Ereignisse dann damit vereinbart sein. Oder ist er nicht allliebend, ist er vielleicht doch hinterhältig, rachsüchtig? Und das ist ein Problem, das haben die großen, also die monotheistischen Religionen, das Judentum, das Christentum, der Islam. Und wenn Sie diese drei Religionen angucken, finden Sie dort überall einen Gegenspieler zu Gott, auch in der hebräischen Bibel schon: Diabolos ...

Weber: Satan.

Zinser: Satan ...

Weber: Iblis ...

Zinser: Iblis, Luzifer. Und da gibt es natürlich dann verschiedene Theorien. Im Islam ist es der gefallene Engel, der sich nicht erklärte, sich vor den Menschen niederzuknien, andere Theorien gibt es auch, und das Spannende ist, dass die antike christliche Gnosis genau eine Klärung für dieses Böse liefern wollte, aber die ist mit der Einzigartigkeit Gottes nicht richtig vereinbar. Und das ist eine von den Theologen nicht zu klärende oder bis heute nicht geklärte Frage. Demgegenüber haben es polytheistische Religionen einfach, da gibt es einfach böse Götter. Kali zum Beispiel im indischen System ist böse, nach unseren Kriterien.

Weber: Es gibt aber im Hinduismus und auch im Buddhismus doch eher so einen Urgrund des Seins, der auch nicht wirklich gut oder böse ist.

Zinser: Im Buddhismus gibt es das schon, denn da gibt es ja das Alles-ist-Leiden, und das Leiden ist böse, und die Quelle des Leidens liegt wesentlich - oder nicht nur, aber vielfältig - in zwischenmenschlichen Beziehungen und entspringt aus bösen, wenn man so will, Handlungen.

Im Hinduismus ist es anders, dort ist ein anderes System. Die haben sich dieses Wiedergeburtssystem ausgedacht, man sammelt sozusagen gute und schlechte Punkte auf seiner jenseitigen Kreditkarte, und je nachdem wird man wiedergeboren, und wenn man nur noch ganz gute hat, dann kann man aus dem Kreislauf der Wiedergeburten erlöst werden. Dieses Modell hat der Buddhismus auch übernommen, es ist ein anderes System, das hat da mit den Göttern nichts zu tun. Deswegen kommt der Buddhismus auch ohne Gott aus. Das ist sozusagen eine natürlich Ordnung, logisch. Die Frage, was dann gut und böse ist, ist im Einzelfall umstritten. Im Krieg zum Beispiel dürfen Buddhisten auch töten, zum Beispiel im Krieg in Sri Lanka und im Bürgerkrieg auf Ceylon.

Weber: Na ja, gut. Erlaubte Krieger und heilige Krieger hat's auch in monotheistischen Religionen schon gegeben.

Zinser: Oh oh, viel mehr, viel mehr als dort.

Weber: Es gab auch Religionen, die das Böse als zweite kosmische Macht definiert haben, zum Beispiel der Zoroastrismus, das scheint sich aber verloren zu haben - selbst in dieser Religion scheint da so eine Tendenz weg zu gehen.

Zinser: Also der Zoroastrismus oder die Parsen oder ursprünglich persische Religion, die hatte mit Zarathustra ein doppeltes System, Ahura Mazda und Ahriman, und die sind im ewigen Kampf miteinander, und es ist Aufgabe der Gläubigen, das Gute zu unterstützen und so dem Bösen einen Untergang zu bereiten. Es ist also ein klassischer Dualismus, der erste, und den findet man in dieser ausgeprägten Form selten. Und die Zoroastrier selber haben es heute ... vertreten diese Position nicht mehr.

Weber: Warum nicht? Ist das ein Unbehagen des Menschen, dass es da so ein absolut Böses als eigene Macht geben könnte?

Zinser: Ja, das ist offensichtlich ein Unbehagen, das sie dann mit ihren Tendenzen zum Monotheismus und zu einem absoluten Gott nicht so ganz vereinbaren können. Also es gibt in diesen reflektierenden Religionen, die also so was wie auch eine Theologie ausgebildet haben, setzen die sozusagen Denkstrukturen in Gang. Die haben Sie zum Beispiel auch bei den griechischen Philosophen. Wenn man sich denkt, wie muss ein Begriff Gottes aussehen. Und damit kommen dann weltweit also doch zu nicht gleichen, aber in vielfachen ähnlichen Ergebnissen, und dazu gehört eben, dass das Böse mit einem Gott, einem wirklich guten monotheistischen Gott nicht vereinbar ist. Oder Sie haben so was wie bei der Epikureern-Antike, da gibt es die Götter, es ist dort ein Plural, sie sind auch gut, aber sie interessieren sich nicht für den Menschen, und deswegen ist es völlig sinnlos, sie zu befragen in Orakeln oder ihn zu opfern und an sie Gebete zu richten.

Weber: Es gibt das moderne Phänomen des Satanismus, wird da das Böse als Gottesersatz genommen?

Zinser: Eine schwer zu beantwortende Frage, weil ich hab Forschungen dazu gemacht, und der Satanismus ist hauptsächlich ein literarisches Phänomen. Aber wie immer, wenn so was in der Literatur ist, dann gibt es Leute, die meinen, sie müssen das jetzt auch ausführen. Es ist mir allerdings bei meinen Forschungen nie geglückt, eine schwarze Messe auf einem Friedhof oder so zu beobachten. Zweimal war ich eingeladen dazu, aber es löste sich jeweils in Gelächter auf, weil wir … die jungen Leute meinten, wir wollen mal dem Professor vorführen, wonach er so mehrfach intensiv gefragt hat. Es gibt's aber. Also nur mit den Methoden, die mir zur Verfügung stehen, kann ich nicht greifen.

Es gibt Leute, die sind sehr gut im Internet, die können solche Gruppen im Internet aufführen, da sind Sperren drin, wie das funktioniert, kann ich Ihnen nicht erklären, da fragen Sie Ihre Internettechniker. Es gibt sie, aber sie sind tatsächlich einzelne Figuren. Und ich sag mal so: Sonderlinge hat es in allen Zeiten und immer gegeben. Und das Gute verlangt von einem ja Gehorsam - das steht ja auch im gewissen Widerspruch zur Freiheit. Und insofern kann man zumindest in der pubertären Protesthaltung - und bei manchen dauert die dann bis zum Grabe - ja sich zum Bösen hingezogen fühlen. Ich glaube, weil das Böse eine moralische Kategorie ist, die gesellschaftlich produziert ist, ist sie gesellschaftlich abhängig, und es schränkt uns ja ein. Es ist böse, freie Liebe zu haben, hat man mich in meiner Jugend gelehrt, Sex nur in der Ehe.

Weber: Da zeigt sich aber auch, dass das Böse seine Bedeutung verschiebt im Laufe der Zeit.

Zinser: Ja. Damals hieß es, hat Biermann gesungen, "und was verboten ist, das macht uns gerade scharf", heute gibt es ganz andere Dinge, und die Generation heute hat große Schwierigkeiten. Wir wussten, wogegen wir protestieren mussten. Die heute wissen das gar nicht so genau. Und damit radikalisieren sie sich und setzen sich etwas merkwürdig … und damit kommen dann auch solche Versuche zustande, mit schwarzen Messen vielleicht des Bösen oder des Absoluten teilhaftig zu werden.

Weber: Jedenfalls bleibt das böse ein Grundproblem des Menschen und der Religion. Vielen Dank, Hartmut Zinser, Religionswissenschaftler von der Freien Universität Berlin.

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