Gesetzliche Rentenversicherung

"Beitragssätze dürfen kein Tabu sein"

Drei Frauen sitzen am Kemnader See in Bochum in der Sonne.
Damit alle Rentner ihren Lebensabend auch genießen können, müssen sich die Finanzpolitiker noch einiges einfallen lassen © dpa / picture alliance / Maja Hitij
Markus Kurth (Grüne) im Gespräch mit Dieter Kassel · 09.07.2015
Wie bleibt das Rentenniveau in Deutschland stabil? Die Antwortet lautete ehemals: Riester-Rente. Doch neue Zahlen zeigen, dass sie die Probleme nicht löst. Markus Kurth von den Grünen rüttelt deswegen nun am Tabu der Beitragssätze.
Der rentenpolitische Sprecher der Grünen, Markus Kurth, glaubt nicht daran, dass eine Reform der Riester-Rente die Probleme der Altersversorgung in Deutschland lösen kann. Im Deutschlandradio Kultur sagte er, ein Ausgleich des sinkenden Rentenniveaus über private Vorsorge könne nur begrenzt erfolgen. Wichtig sei vor allem die Stabilisierung der gesetzlichen Rentenversicherung. Indirekt sprach sich Kurth hier für höhere Beiträge aus. "Die Beitragssätze dürfen nicht mehr das Tabu, das Dogma sein", sagte Kurth.
Die Riester-Rente bezeichnete Kurth als in der bisherigen Form gescheitert. Nur jeder Dritte bespare seinen Vertrag, nur jeder Sechste in vollem Umfang. Und der Löwenanteil der Zulagen fließe ohnehin nur an jene, die eine Rente deutlich über der Grundsicherung erwarten könnten. Die ehemaligen Sicherungsversprechen und Erwartungen von rund vier Prozent Rendite würden nicht im Ansatz eingehalten, betonte Kurth: "Das kann uns nicht kalt lassen."

Das Gespräch im Wortlaut:
Dieter Kassel: Jede Rentnerin und jeder Rentner wird jetzt und in Zukunft mehr Rente haben als nach dem alten Recht. Ich habe Sie vorhin raten lassen, wer das gesagt hat, aber es war dann doch ziemlich einfach, als ich den Zusammenhang erwähnt habe. Es war tatsächlich Walter Riester selber, von ihm stammt dieser Satz. Er ist gefallen vor der Einführung eines neuen Rentenmodells, das mit einer Kombination aus gesetzlicher Rentenversicherung und staatlich geförderter privater Vorsorge für mehr Geld im Alter sorgen sollte.
Heute, ungefähr 13 Jahre nach der Einführung der Riester-Rente, haben von ungefähr 36 Millionen gesetzlich Versicherten nur etwa jeder Dritte einen Riester-Vertrag, der tatsächlich bespart wird, wie es in der Fachsprache heißt. Und wie viele Menschen von ihrem Riestern am Ende etwas haben werden, das ist höchst umstritten.
Beim Deutschen Institut für Altersvorsorge in Berlin wird deshalb Namensgeber Walter Riester heute Abend einen Vortrag halten, in dem es um die Frage geht: Braucht die Riester-Rente eine Reform. Und die Antwort auf diese Frage scheint mir so eindeutig, dass ich dem rentenpolitischen Sprecher der Grünen im Deutschen Bundestag, Markus Kurth, lieber gleich eine andere stellen möchte. Aber erst einmal schönen guten Morgen, Herr Kurth!
Markus Kurth: Ja, schönen guten Morgen, Herr Kassel, hallo!
Kassel: Ich sag es mal anders: Ist die Riester-Rente komplett gescheitert?
Kurth: In der bisherigen Form jedenfalls, mit dem Versprechen, das Sie ja dankenswerterweise noch einmal zitiert haben, ist sie – das muss man leider sagen – gescheitert, ja.
Kassel: Warum?
Vier Prozent Rendite waren das Versprechen - die sind obsolet
Kurth: Na ja, Sie haben ja selber gesagt, dass nur jeder Dritte überhaupt einen Riester-Vertrag bespart, und jetzt – festhalten – nur die Hälfte von diesen 'jede dritte Person' bespart ihn auch voll in dem Umfang. Denn dieses angebliche Versprechen, dass man mehr Rente hat als vorher, dass die Niveauabsenkung ausgeglichen wird, gilt ja nur für diejenigen, die auch wirklich in vollem Umfang sparen, also, vier Prozent ihres Bruttogehaltes jedes Jahr auch bezahlen.
Und dann sind noch mal weitere Versprechen verbunden gewesen, nämlich die Erwartung vier Prozent Rendite, wir wissen ja, wo die Zinsen im Moment sind, und außerdem waren die Annahmen damals im Gesetzentwurf, dass nur zehn Prozent Verwaltungskosten anfallen. Auch das wird nicht eingehalten. Kurzum, also, das Sicherungsversprechen, das damals gemacht wurde, auch kann man durchaus sagen im Rausch der damaligen Börsenkurse, Neuer Markt – wir erinnern uns – das wird nicht einmal ansatzweise eingehalten, selbst für diejenigen Personen, die eigentlich alles, in Anführungszeichen, richtig machen, so wie es damals der Gesetzgeber geplant hat. Und das kann uns nicht kalt lassen.
Kassel: Das kann ja eigentlich auch gerade Ihre Partei nicht kalt lassen, denn wenn ich mich jetzt nicht völlig historische täusche, dann war es doch eine rot-grüne Regierung, die die Riester-Rente eingeführt hat.
Kurth: Völlig richtig, völlig richtig. Also, man muss sagen, die Erwartungen, die damals an insbesondere den Kapitalmarkt und seine Entwicklung geknüpft waren, sind, das kann man nach dem Zusammenbruch des Neuen Marktes sagen, nach der Finanzkrise sagen, nicht erfüllt worden. Und da kann man sich natürlich als mitbeteiligte Partei grämen. Tun wir teilweise auch, aber es hat keinen Sinn, da jetzt irgendwie lange hinterher zu jammern. Wir müssen einfach nach vorne sehen und gucken, dass wir auf andere Art und Weise versuchen, das Absinken des Rentenniveaus auszugleichen oder zu stoppen, denn die Riester-Rente kann es nicht ausgleichen.
Kassel: Aber hätte man nicht damals schon absehen können, dass eine Rendite von vier Prozent, überhaupt irgendeine feste Rendite, bei einem Produkt, das abhängig ist von den Entwicklungen am Kapitalmarkt, eine unseriöse Voraussage ist?
T-Aktie: Manfred Krug als Pausenclown des Casino-Kapitalismus
Kurth: Tja, wie hat mal einen Kanzlerkandidat gesagt: 'Hätte, hätte, Fahrradkette'. Sicherlich, ich war damals noch nicht Mitglied des Bundestages, sicherlich hätte man damals mehr Skepsis zeigen können, aber ich erinnere mal daran: Um die Jahrtausendwende, als dieser sogenannte Nemax anstieg, als Manfred Krug als Pausenclown des Casino-Kapitalismus die T-Aktie ans Volk brachte im Werbefernsehen, da war, glaube ich, vielen Personen ein bisschen der Verstand vernebelt. Und ob man das jetzt hätte damals absehen können oder nicht, ist jetzt heutzutage im Jahr 2015, glaube ich, verschüttete Milch.
Kassel: Gut, aber dann reden wir heute darüber, dass etwas, was damals schon viele kritisiert haben, ja eingetreten ist. Ich meine jetzt nicht die Entwicklung an den Aktienmärkten, sondern ich meine, dass diese Regelung ja fast zwangsläufig dazu führt, dass nur die Menschen was davon haben, die ohnehin sich nicht so viele Sorgen um die Rente machen müssen. Denn die, die so wenig verdienen, dass sie am Ende auch nicht viel Rente bekommen, die werden zum einen kaum in der Lage sein, vier Prozent ihres Einkommens einzuzahlen, und die haben außerdem das Problem, wenn sie am Ende ihres Arbeitslebens in die Grundsicherung fallen, dann wird die Riester-Rente ...
Kurth: ...dass die angerechnet wird.
Kassel: Eben. Das heißt, sie zahlen etwas ein, wovon Sie am Ende ja nix haben.
Kurth: Klar, das ist auch der Grund dafür – und das ist ja jetzt erst jüngst in einer Studie dann auch veröffentlicht worden gestern – das ist auch der Grund dafür, dass der Löwenanteil der Zulagen an die Personen fließt, die ohnehin eine relativ stabile Rente, auf jeden Fall deutlich über der Grundsicherung, zu erwarten haben. Und wir haben in der Tat sowohl ein Anreizproblem am unteren Ende, als auch das Problem, dass diejenigen Personen mit niedrigem Einkommen überhaupt Schwierigkeiten haben, diese vier Prozent ihres Einkommens anzusparen.
Das heißt also, dieses systematische Problem am unteren Ende der Einkommensskala muss Politik angehen und versuchen aufzulösen. Ob dies allein mit einer Reform der Riester-Rente gelingt, da wachsen bei mir in den letzten Jahren durchaus die Fragezeichen.
Eine Erhöhung der Zulage am unteren Ende wäre eine Möglichkeit, vielleicht auch einen Freibetrag bei der Grundsicherung einzuführen, aber das zieht ja wieder Folgeprobleme nach sich. Wenn ich einen besonderen Freibetrag einführe für Riester-Rentnerinnen und Riester-Rentner bei der Grundsicherung, stellen sich natürlich gesetzlich Versicherte, die nicht riestern konnten aus Einkommensgründen, die Frage, warum sie nicht auch einen Freibetrag bekommen. Und das wird dann gleich sehr, sehr kompliziert und sehr teuer.
Kassel: Nun hat die Riester-Rente natürlich auch längst ein Imageproblem. Die vielen, die keine haben oder, das sind ungefähr vier Millionen, die im Prinzip einen Vertrag haben, aber gar nix mehr einzahlen, die tun das ja auch deshalb nicht, weil eben dieses Modell in Verruf geraten ist, aber damit ist doch – und ich sage dazu, das finde ich gefährlich – damit ist doch eigentlich auch diese grundsätzliche Idee, die gesetzliche Rente durch eine private Versorgung auszugleichen, in Verruf geraten.
Die Versicherungswirtschaft muss Transparenz herstellen
Kurth: Da sehe ich persönlich allerdings auch die Versicherungswirtschaft in der Pflicht, mehr Transparenz herzustellen. Also, sie hat auch durch dieses unglaubliche Unübersichtlichkeit bei den Produkten, durch die schlechte Vorausberechenbarkeit, was kriege ich nachher am Ende denn wirklich raus, mit dazu beigetragen.
Darum sind wir als Grüne auch der Auffassung, es müsste so eine Art Basisprodukt geben für diejenigen, die privat vorsorgen wollen. Das kann auch von der Rentenversicherung mit verwaltet werden in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft. Die Rentenversicherung Baden-Württemberg hat auch schon durchaus Interesse da zum Beispiel signalisiert.
Aber das ganze Dilemma zeigt eigentlich: Der Ausgleich durch private Vorsorge, die staatlich gefördert ist, kann in der Rentenversicherung nur begrenzt erfolgen. Wichtig ist tatsächlich – und damit fasst man natürlich ein heißes Eisen an, was für viele ein Tabu auch ist im politischen Betrieb – wichtig ist tatsächlich die Stabilisierung des Niveaus der gesetzlichen Rentenversicherung.
Und ich persönlich sage und kämpfe dafür auch in meiner Partei, die Beitragssätze dürfen nicht mehr das Tabu, das Dogma sein, was da alleine vorne ansteht, sondern wir müssen sehen, dass wir aus einem vernünftigen Steuerzuschuss zur gesetzlichen Rentenversicherung, etwa über die Finanzierung der Mütterrente aus Steuern und Beitragssätzen, das Rentenniveau möglichst stabilisieren, weil eben die geförderte private Altersvorsorge das Absenken des Rentenniveaus nicht ausgleichen kann.
Kassel: Walter Riester spricht persönlich heute Abend in Berlin. Egal welche Art von privater Zusatzversicherung es in Zukunft vielleicht geben könnte und sollte, braucht sie nicht vor allen Dingen auch einen neuen Namen? Der Begriff Riester-Rente ist eigentlich verbrannt, oder?
Kurth: Ja, aber tief eingelassen ins öffentliche Gedächtnis, so ähnlich wie Hartz IV, das ist ja auch so ein Begriff.
Kassel: Ja, aber Riester ist eigentlich im Gedächtnis ... nach dem Motto: Bringt nichts, also ...
Kurth: Ja, aber ob man das jemals wegkriegt ... Wahrscheinlich sind eine Reihe von den Politikern, die dann Markennamen geprägt haben, politisch irgendwann ziemlich unglücklich darüber. Ich möchte jedenfalls nicht irgendwie, selbst wenn ich dann mal noch rentenpolitisch größere Karriere mache, mit irgendeinem Produkt verbunden sein.
Kassel: Ich stelle mir das auch schwierig vor, man sagt: Ich hab „gekurthet". Markus Kurth war das, rentenpolitscher Sprecher der Grünen im Deutschen Bundestag, über die Riester-Rente und ihre bisher noch nicht so richtig rühmliche Geschichte. Herr Kurth, vielen Dank für das Gespräch!
Kurth: Gerne, Herr Kassel. Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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