Gesellschaft

Die Vermachtung der Volkswirtschaft

Von Ursula Weidenfeld · 02.03.2014
Der Ökonom Gerhard Schick greift in seinem Buch Wirtschaft und Politik als willfährige Kumpanen an, die nur ihre Machtpositionen sichern wollen. Nur einen Ausweg sieht er: eine neue Bürgerbewegung.
"Machtwirtschaft – nein Danke!": Der Titel spielt mit zwei Begriffen, die Westdeutschland geprägt haben. Einerseits mit der sozialen Marktwirtschaft, dem wirtschaftspolitischen Erfolgsmodell der Fünfzigerjahre. Und andererseits mit dem "Nein Danke!"-Slogan der Anti-Atomkraftbewegung. Über die soziale Marktwirtschaft schreibt Gerhard Schick, sie sei längst zur Machtwirtschaft verkommen. Mit seinem Bezug auf den Gründungsmythos der Grünen gibt er schon im Buchtitel den einzigen Ausweg vor, den er für möglich hält: eine neue Bürgerbewegung.
Der Titel hält, was er verspricht: Schick demaskiert Politik und Wirtschaft als willfährige Kumpanen, die kein Interesse mehr an fairem Wettbewerb, klaren Regeln und kundenfreundlichen Produkten haben. Stattdessen seien sie nur darauf aus, ihre Machtpositionen zu sichern. Und deshalb könne man von ihnen auch nicht erwarten, das Land zum Besseren zu verändern. Das könne nur die Zivilgesellschaft, die den Widerstand gegen die Machtverhältnisse in Wirtschaft und Staat zu ihrer Sache machen soll.
"Ich schreibe dieses Buch, weil wir diese Auseinandersetzung nicht gewinnen können, wenn Sie, liebe Leserin, lieber Leser, nicht stärker Teil davon werden. Das ist meine feste Überzeugung nach acht Jahren parlamentarischer Arbeit im Deutschen Bundestag: Sie müssen mitmachen."
Warum soll der Bürger es besser können, als die Politik?
Warum es sinnvoll sein könnte, sich einzumischen, legt Schick anschließend auf 290 Seiten dar. Warum der aufgebrachte Bürger dabei allerdings erfolgreicher sein sollte als Herr Schick und seine Kollegen Bundestagsabgeordneten, das verrät er leider nicht.
Cover: "Machtwirtschaft – nein danke!" von Gerhard Schick
Cover: "Machtwirtschaft – nein danke!" von Gerhard Schick© Campus
Überall sieht der Ökonom Schick Tendenzen der Vermachtung in der Volkswirtschaft. In seinem Problemaufriss lässt er nichts aus. Vom schädlichen Zucker, der in süßen Schokoriegeln versteckt wird, berichtet er. Von Geflügelmaststationen, die in industriellen Verfahren Hühnerfleisch herstellen. Das sei so ungesund, dass die Mäster selbst für den eigenen Bedarf ein paar glückliche Hühner halten. Von Autoherstellern, die lieber mehr Geld in Lobbyarbeit stecken, als sparsamere Motoren zu bauen. Überall würden die Unternehmen nicht mehr im Wettbewerb nach besseren Produkten und Chancen suchen, sondern nach Regulierungslücken, die sie auf Kosten der Verbraucher, der Steuerzahler, des Gemeinwohls ausnutzen könnten.
Von einem Politiker würde man politische Lösungen erwarten: Weil Unternehmen in einer Marktwirtschaft nichts anderes im Sinn haben, als Gewinn zu erzielen, gibt es ja die Wirtschafts- und Ordnungspolitik. Der Staat soll und muss mit seiner ordnenden Hand dafür sorgen, dass Wettbewerb zwischen den Unternehmen herrscht, dass die Interessen der anderen gewahrt werden, dass Mitarbeiter ordentlich behandelt und bezahlt, dass die Umwelt nicht übermäßig belastet, und dass Gesetze eingehalten werden. Statt die Unternehmen dafür zu verhauen, dass sie gewinnorientiert sind, muss man wohl die Politik dafür verdreschen, dass sie den Ordnungsrahmen für die Wirtschaft nicht ordentlich, konsequent und nachvollziehbar setzt.
Schuldige in Wirtschaft und Politik
Von vielen anderen Politiker-Büchern unterscheidet sich Schicks Buch an diesem Punkt wohltuend. Schick sucht die Schuldigen an der Finanzkrise oder an Fehlentwicklungen nämlich nicht nur in der Wirtschaft, er sucht und findet sie auch in der Politik.
"Wie soll es gelingen, den Staat zum Hoffnungsträger zu stilisieren, während er als wirtschaftlicher Akteur, als Planer, als Ordnungsgeber so kläglich versagt hat?"
Schick beschreibt, wie der Staat gescheitert ist, als er kontrollieren sollte. Er legt dar, wie stümperhaft der Staat in seinen eigenen Banken und Wirtschaftsunternehmen agiert. Er zeigt, wie und wo der Staat als Regulierer versagt. Nur: Eine Lösung hat auch er nicht. Auf diesen Staat macht Schick keine Wette.
"Die Mehrheit der Menschen in diesem Land hat in den letzten Jahren erlebt, dass gerade dort, wo der Staat behauptet hat, ein Gegengewicht zu den privaten Märkten zu bilden, er kläglich gescheitert ist. Er hat genau wie private Akteure versucht, Geld mit Geld zu machen, und ist dabei große Risiken eingegangen, die nachher den Bürgerinnen und Bürgern auf die Füße gefallen sind. Und diesem Staat soll man dann mehr Einfluss geben?"
"Regulierung grundsätzlich neu erfinden"
In den stärksten Kapiteln des Buchs zur Wettbewerbs- und zur Finanzmarktregulierung predigt Schick die neue Einfachheit. Er empfiehlt die Zerschlagung der Großbanken und begründet das mit dem Umstand, dass immer komplexere Regulierungen nicht mehr beherrschbar seien. Sie würden noch nicht einmal von den Politikern verstanden, die sie beschließen. Sie würden von den Aufsichtsbehörden nicht kompetent umgesetzt.
Und die anderen nutzen diese Schwäche aus.
"Wir müssen die Regulierung grundsätzlich neu erfinden. Eine Welt, in der die Gesetze bereits Tausende von Seiten lang und so komplex sind, dass sie nur noch von der Finanzindustrie und von ihrer Lobby selber geschrieben werden können, und in der die einzelnen noch viel wichtigeren Detailausführungsbestimmungen Zehntausende Seiten umfassen, ist weder demokratisch, weil kein Parlamentarier allein zeitlich in der Lage ist, diese vielen Seiten nur zu lesen, geschweige denn zu kommentieren, noch ist es wirksam. Komplexe Systeme sind nicht zu kontrollieren und fördern Ausweichreaktionen, die die Welt noch komplexer machen. Deswegen sind mir einfache, aber harte Regeln wie die Schuldenbremse oder ein Trennbankensystem sympathisch."
Aha. Die Welt ist kompliziert. Sicher, man kann sie sich einfacher machen. Das mag dann tatsächlich sympathischer sein. Aber ist ein simples und sympathisches Gesetz auch ein richtiges Gesetz?
Am Ende bittet Gerhard Schick auch noch die Bürger zur Hilfe in dieser ach so komplexen Welt: "Sie sind herzlich eingeladen, mir mit Rat und Tat zur Seite zu stehen", ruft der Autor seinen Lesern zu.
Und als Leserin rufe ich an dieser Stelle zurück: Aber, Herr Schick! Wozu haben Ihre Wähler Sie denn gewählt? Doch nicht, weil sie glauben, es selbst besser zu können. Den Bürger zur Hilfe zu rufen, ist in einer repräsentativen Demokratie zwar immer erlaubt – aber das kann doch nicht der Rettungsanker eines überforderten Parlaments sein. Machen Sie es doch selbst.

Gerhard Schick: "Machtwirtschaft – nein Danke! Für eine Wirtschaft, die uns allen dient"
Campus Verlag, Frankfurt - New York 2013
288 Seiten, 19,99 Euro

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