Geschichtsband

Politkarriere eines NS-Schlächters

Heinz Reinefarth (1903-1979) war als Höherer SS- und Polizeiführer an der brutalen Niederschlagung des Warschauer Aufstands 1944 beteiligt.
Heinz Reinefarth (1903-1979) war als Höherer SS- und Polizeiführer an der brutalen Niederschlagung des Warschauer Aufstands 1944 beteiligt. © picture alliance / dpa-Zentralbild
Von Klaus Pokatzky  · 14.05.2014
In Polen gilt der SS-General als der "Henker von Warschau". Doch nie musste sich Heinz Reinefarth in der jungen Bundesrepublik vor Gericht verantworten. Der Schweizer Historiker Philipp Marti sieht darin einen exemplarischen Fall für den Umgang mit der NS-Vergangenheit nach dem Krieg.
Als er 1979 auf Sylt starb, widmete ihm der größte Ort der Insel einen Nachruf: "Sein erfolgreiches Wirken für die Stadt Westerland wird unvergessen bleiben." Unvergessen bleibt Heinz Reinefarth aber auf jeden Fall in Polen als der "Henker von Warschau": im August 1944 vom "Reichsführer SS" Heinrich Himmler in die von deutschen Truppen besetzte polnische Hauptstadt entsandt, im Range eines SS-Gruppenführers und Generalmajors der Polizei. Auftrag: den Warschauer Aufstand der Polnischen Heimatarmee niederringen und die Stadt dem Erdboden gleich machen.
Heinz Reinefarth? In Deutschland fallen uns Hans Globke und Theodor Oberländer ein, wenn wir an alte Nazis denken, die in der jungen Bundesrepublik nahtlos Karriere machten: Adenauers Chef des Kanzleramts und seinen Vertriebenenminister. Heinz Reinefarth aber ist vergessen – obwohl der Generalleutnant der Waffen-SS eine bemerkenswerte Nachkriegskarriere machte: Bürgermeister von Westerland und Mitglied des schleswig-holsteinischen Landtages; als Mitglied des CDU-Koalitionspartners Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten.
Ein junger Historiker leuchtet den Fall Reinefarth noch mal aus?
Dem jungen Schweizer Historiker Philipp Marti (Jahrgang 1979) und dem kleinen Wachholtz Verlag aus Neumünster ist es zu verdanken, dass der Fall Reinefarth noch einmal genau ausgeleuchtet wird.
Heinz Reinefarth, geboren 1903 im damals preußischen und nach dem Ersten Weltkrieg polnischen Gnesen als Sohn eines Landgerichtsrates, "besaß den Habitus des großbürgerlichen Ehrenmannes, er war gebildet, hatte angenehme Umgangsformen und die Fähigkeit, Vertrauen zu erwecken", wie Philipp Marti ihn charakterisiert.
1932 wird er Mitglied der NSDAP und der SS, macht aber keine Karriere im nationalsozialistischen Partei- und Staatsapparat, sondern führt lieber das auskömmlich-bürgerliche Leben eines Rechtsanwalts und Notars in Cottbus. Die Karriere kommt im Krieg: als Generalinspekteur der Verwaltung im Reichsprotektorat Böhmen und Mähren, als Höherer SS- und Polizeiführer im Reichsgau Wartheland – und schließlich als "Henker von Warschau" mit Zehntausenden Toten.
Nach dem Krieg berät er in alliierter Gefangenschaft die Amerikaner in Fragen der sowjetischen Taktik; dann wird er Bürgermeister von Westerland, schließlich Landtagsabgeordneter. 1957 macht ein DDR-Film seine braun-blutige Vergangenheit publik. Es folgen staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren, die eingestellt werden; nie muss sich Reinefarth vor Gericht verantworten. Zwar wird er zum Rückzug aus der Politik gezwungen, kann aber wieder als Rechtsanwalt arbeiten und bekommt als Nachruf von der Stadt Westerland sein unvergessliches erfolgreiches Wirken attestiert.
Er profitiert vom Kalten Krieg und einer täterfreundlichen Justiz
Philipp Martis "biografische Studie zum öffentlichen und juristischen Umgang mit der NS-Vergangenheit" beschreibt dieses deutsche Juristenleben in schweizerischer Nüchternheit, aber gut zu lesen – als exemplarischen Fall des Umgangs mit der NS-Vergangenheit in der jungen Bundesrepublik: wie erst nur die Adenauer kritischen, dann aber zunehmend auch Adenauer freundliche Medien sich des Falles Reinefarth annehmen.
Wie sich langsam und zögerlich eine mühevolle Zusammenarbeit zwischen deutschen und polnischen Ermittlungsbehörden entwickelt. Und wie Reinefarth davon profitiert, dass diese Kooperation im allerkältesten Kalten Krieg noch in den Kinderschuhen steckt; wie er davon profitiert, dass bundesdeutsche Justiz und Polizei von alten Nazis durchsetzt sind. Er stirbt 1979 als "zwar freigesprochene, aber ausrangierte öffentliche Persönlichkeit". Für die Beerdigung muss allerdings nach Keitum ausgewichen werden - der Westerländer Pastor verweigert sich, weil Reinefarth 1942 aus der evangelischen Kirche ausgetreten war.

Philipp Marti: Der Fall Reinefarth
Eine biografische Studie zum öffentlichen und juristischen Umgang mit der NS-Vergangenheit
Beiträge zur Zeit- und Regionalgeschichte, Band 1
Wachholtz Verlag, Neumünster/Hamburg 2014
400 Seiten, 24 Euro