Geschichte

Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg

Jüdische Freiwillige bereiten sich auf ihren Dienst als Sanitäter vor, Tscheljabinsk, Russland.
Jüdische Freiwillige aus Russland bereiten sich auf ihren Dienst als Sanitäter vor. © picture alliance / Itar-Tass
Von Thomas Klatt · 25.07.2014
Der Zusammenbruch der Habsburger Monarchie war für die Juden eine Katastrophe, da sie zuvor in relativer Sicherheit und Harmonie lebten. Mit diesem "Weltunteruntergang" beschäftigt sich eine Ausstellung im Jüdischen Museum Wien.
Der Kulturhistoriker Marcus Patka hat die Ausstellung "Weltuntergang" im Jüdischen Museum Wien kuratiert. Der Zusammenbruch der Habsburger Monarchie war für die jüdischen Untertanen eine Katastrophe. Jahrzehntelang lebten sie zuvor in relativer Sicherheit und Harmonie. Patka:
"Diese Ausstellung heißt Weltuntergang, weil für die Juden der österreichisch-ungarischen Monarchie war es ein solcher."
"Erst unter Kaiser Franz-Joseph haben die Juden ihre vollständigen Bürgerrechte erhalten, Recht auf Ansiedlung, auf Landbesitz, es hat sich die jüdische Bevölkerung in Wien vervielfacht und es ist ja dann auch die großartige Ringstraßenkultur entstanden, wovon die Stadt ja heute noch zehrt."
Juden waren in ihrem Glauben und Ritus ganz anders akzeptiert als etwa in Deutschland, wo diese vor allem konvertieren mussten, wenn sie im Staat Karriere machen wollten. Der österreichische Monarch selbst hat sich für Religionsfreiheit und -gleichheit eingesetzt. Patka:
"In Bezug auf seine Armee hat er gesagt, meine Soldaten sollen gläubig sein. Demnach waren die Juden der loyalste Teil seiner Untertanen. Viele von ihnen sind mit Begeisterung für ihren Kaiser in den Krieg gezogen. Österreich war weltweit das erste Land, in dem eine Militärpflicht für Juden eingeführt wurde, bereits 1788 unter Kaiser Joseph II., ursprünglich nur beim Train, beim Fuhrwerk, aber dann rasch auch in allen Waffengattungen. Im Gegensatz zur preußischen Armee, Juden konnten auch wenn sie nicht christlich konvertiert waren bis in die allerhöchsten militärischen Ränge, also bis in den Generalsrang aufsteigen, also das hat es in Deutschland in der Form nicht gegeben zu dieser Zeit."
Zahlreiche Belege enger Freundschaft
In den Vitrinen der Ausstellung sieht man zahlreiche Belege enger Freundschaft. Thorah-Aufsätze aus dem Burgenland etwa, die mit einem großen Doppeladler geschmückt waren. Der österreichische Kaiser war auch Schutzpatron der Juden in Palästina. Patka:
"Was relativ unbekannt ist, ist, dass die jüdische Bevölkerung Jerusalems vor dem Ersten Weltkrieg, und das war ein Zehntel der Stadtbevölkerung, 50.000 Menschen, diese Juden waren österreichische Staatsbürger."
Bis nach Palästina konnte sich der Kaiser also auf seine jüdischen Untertanen verlassen. Sie zogen im August 1914 begeistert für das Vaterland in den Krieg.
"Es sind im 1. Weltkrieg an die 300.000 jüdische Soldaten in die k.u.k.-Armee eingezogen worden, etwa 10 Prozent sind gefallen, es gab sehr wenige Berufsoffiziere. Aber der Anteil bei den Reserveoffizieren, der lag bei doch fast 20 Prozent. Weil es eben in der Gesellschaft, gerade wenn man von einer benachteiligten Minderheit kommt doch einen sehr hohen Status gebracht hat, wenn man doch eine Offiziersuniform hat und man dient seinem Vaterland und nachdem schon in den ersten Kriegswochen und -monaten sehr viele Berufsoffiziere gefallen sind, sind diese jüdischen Reserveoffiziere nachgerückt und wurden Kompaniekommandant oder ähnliches und haben dann dort auch ihren Mann gestanden."
Latenter Antisemitismus in Deutschland
Der latent vor allem in Deutschland grassierende Antisemitismus warf Juden Feigheit vor, würden diese sich doch vor dem Einsatz an der Front drücken. Das veranlasste die deutsche Heeresleitung im Oktober 1916 dazu, die Juden in den eigenen Reihen zu zählen, um solchen Vorwürfen und damit der drohenden Instabilität der Truppe den Nährboden zu entziehen.
Die Empörung, dass preußische Generäle solchen antisemitischen Lügen überhaupt Gehör schenkten, war bei deutschen Juden groß. Solch eine Judenzählung hat es in Österreich-Ungarn nie gegeben. Die k.u.k.-Monarchie konnte sich solche Ressentiments auch kaum leisten, war das Riesenreich doch eine Ansammlung vieler Völker, Ethnien und Religionen.
"Es gab in seinem Reich eben Christen, Protestanten, griechisch-Orthodoxe und auch Muslime, und wir haben hier in der Ausstellung Belege, dass Juden und Muslime im selben Regiment quasi Schulter an Schulter gekämpft haben, das war das Bosniaken-Regiment, und der Kaiser hat sich ja auch mehrfach geweigert den Karl Lueger als Wiener Bürgermeister anzugeloben, weil dieser eben ein bekannter Antisemit war und das in seinem Wahlkampf eingesetzt hat."
Nicht nur die Loyalität gegenüber dem Kaiser ließ die Juden in den Krieg ziehen. Hinzu kam die Sorge um die Glaubensgeschwister und Verwandten in den Ost-Provinzen.
"In Russland wurden die Juden wirklich geknechtet"
"Man hat ja nach Russland geschaut und dort wurden die Juden ja wirklich geknechtet und verfolgt und es kam immer wieder zu Pogromen und die Wiener Juden während des Krieges, die konnten nicht verstehen, dass eine aufgeklärte Nation wie Frankreich jetzt mit dem erzreaktionären zaristischen Russland eine Kriegskoalition eingeht und hat bis 1917 sehr viel Werbung gemacht, Amerika möge doch auf Seiten der Mittelmächte in den Krieg eintreten unter der dortigen jüdischen Bevölkerung, schaut wie es den Juden hier geht und wie es ihnen in Russland geht."
Die Frontlinie überrollte geradezu das größte jüdische Siedlungsgebiet in Galizien. Es kam zu schrecklichen Pogromen. In Videoprojektionen kommen auch Experten zu Wort, etwa die Judaistin Gabriele Kohlbauer-Fritz:
"Es ist so, dass die jüdischen Flüchtlinge vor allem nach Wien kommen wollten, weil sie zum Teil auch schon Verwandte und Bekannte in Wien hatten und weil es dieses Traumbild von Wien gab als irdisches Jerusalem. Wien war die Kaiserstadt, die Juden in Galizien waren auch sehr kaisertreu und ganz loyal ergebene Untertanen. Kaiser Franz-Joseph, der schon mythisch erhöht wurde und in der jüdischen Legende als Ephraim Jossele genannt wurde, weil man hatte ihn wirklich als einen persönlichen Schutzherrn empfunden."
Kriegseinsatz theologisch für Rabbiner zu rechtfertigen
Schätzungsweise eineinhalb Millionen Juden waren aktiv am Ersten Weltkrieg beteiligt, sie dienten praktisch an allen Fronten. Zu lesen ist in der Ausstellung etwa der Bericht, wie ein zaristisch-jüdischer Soldat einen am Boden liegenden Österreicher mit dem Bajonett töten wollte. Als dieser in seiner Todesangst das "Sch'ma Jisrael" anstimmte, erstarrte der russische Glaubensbruder vor Schreck. Aber da es sich aus Sicht aller Mächte jeweils um einen Verteidigungskrieg handelte, war der Kriegseinsatz theologisch letztlich auch für Rabbiner zu rechtfertigen. Allein in der k.u.k.-Armee dienten bis zu 130 Militärrabbiner. Der Militärhistoriker Peter Steiner:
"Wenn man sich Fotos anschaut, sie haben alle drei goldene Streifen an beiden Unterarmen, das ist nicht das Kennzeichen eines Militärrabbiners, sondern das Dienstgradabzeichen, das ihn identifiziert als eines Angehörigen des Hauptmannranges."
Die Militärrabbiner waren nicht nur für die Habsburger Untertanen, sondern prinzipiell für alle Juden zuständig, an der Front wie eben auch hinter den Linien. Ausstellungskurator Marcus Patka:
"Ihre Aufgabe war, die Verwundeten in den Spitälern zu betreuen, aber auch die jüdischen Kriegsgefangenen, herzzerreißend ein Brief aus Tirol, wir haben hier Kriegsgefangene, auch 30 fromme Juden aus Russland, bitte schickt uns für drei Tage eine Bibel und Gebetsumhang, wir schicken das nachher auch wieder zurück."
Verlorener Krieg wurde den Juden angelastet
Zum Ende des Krieges wurden dann auch in Österreich der Deutsch-Nationalismus und Antisemitismus immer stärker. Der verlorene Krieg wurde nun den Juden und ihrer vermeintlich angeborenen Feigheit angelastet. Antijüdische Karikaturen und Schmähschriften verbreiteten sich rasch. Der Kaiser dankte ab, die Gemeinden waren verunsichert und orientierungslos.
Vor allem junge Juden planten nun ein neues Leben in Palästina. Denn anders als noch ihre Eltern hatten sie nun kämpfen gelernt. Es entstand eine völlig neue von den Pfadfindern und der bündischen Jugend her geprägte jüdische Pädagogik. Der Historiker Dan Fischman:
"Eine der primären Aufgaben, die die zionistische Bewegung nach dem Weltkrieg gesehen hat, war die Ausbildung der Jugend und die Erfüllung des zionistischen Ideals, Allija zu machen, nach Palästina das Land aufzubauen im Sinne des Muskeljudentums, das Aufbrechen dieses klassischen, teilweise auch antisemitischen Bildes des Schtetl-Juden, des Jeschiwe-Buchschreibers, des Juden, der nur lernt und im Stüberl sitzt, damit aufzubrechen und die Körperlichkeit in den Vordergrund zu stellen."
Nicht wenige der k.u.k.-Soldaten beteiligten sich nach dem Krieg am Aufbau der paramilitärischen Haganah. Später wurden sie zu wichtigen Offizieren in der neuen israelischen Armee. In Österreich selbst schlossen sich 1932 die verbliebenen Weltkriegs-Veteranen zum Bund Jüdischer Frontsoldaten zusammen. Nicht mehr Kampf, sondern Völkerverständigung war nun das Ziel. Patka:
"Es gab 1936 in Wien einen Weltkongress jüdischer Frontkämpfer und da sind französische, polnische und amerikanische Soldaten gekommen und haben Flaggenparade gemacht am Zentralfriedhof in Wien und haben sich über die Gräben des Ersten Weltkrieges die Hand gereicht, das wäre nirgendwo anders möglich gewesen, und man hat zumindest auf jüdischer Seite versucht über alle Grenzen hinweg zusammenzuarbeiten."
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