Geschichte eines Suizids

Als sich alle vor den Nazis duckten

Ein Seil mit einem Henkersknoten hängt an einem Baum
1941 nahm sich der Schauspieler Joachim Gottschalk das Leben. © picture alliance / ZB
Von Manuela Reichart · 05.12.2014
Im Jahr 1941 hat sich der Schauspieler Joachim Gottschalk selbst getötet - gemeinsam mit seiner jüdischen Frau und seinem kleinen Sohn, um nicht länger den Nazis ausgeliefert zu sein. In einem Buch von Hans Schweikart ist dieses Schicksal nachzulesen.
"Ein Filmvorschlag" – so lautet der Untertitel dieser Erzählung des Film- und Theaterregisseurs und langjährigen Intendanten der Münchner Kammerspiele. Dieser Filmvorschlag wurde dann auch 1947 von dem DEFA-Regisseur Kurt Maetzig aufgegriffen. Der Film "Ehe im Schatten" erzählt die Geschichte eines Schauspielerpaares, das gemeinsam in den Tod geht, weil der Mann sich nicht von seiner jüdischen Frau trennen, sie nicht den Nazi-Schergen ausliefern will.
Für den Film und die Erzählung, die jetzt zum ersten Mal veröffentlicht wird, stand das Schicksal des bekannten und beliebten Schauspielers Joachim Gottschalk Pate. Dessen Ehe mit einer Jüdin war vom Nazi-Regime geduldet worden, bis zu dem Augenblick, in dem - aufgrund unglücklicher Umstände - Goebbels nach einer erfolgreichen Filmpremiere ihres Mannes Meta Gottschalk begrüßte. Dass die Frau, der er Komplimente machte, Jüdin war, wurde ihm später eröffnet. Die Rache des Propagandaministers war grausam: Entweder Scheidung oder Berufsverbot und Wegfall aller Privilegien.
Hans Schweikart *, der auch während des Dritten Reichs erfolgreich arbeitete, hatte mit Gottschalk einen Film gedreht (“Das Mädchen von Fanö“ mit Brigitte Horney, die als eine der wenigen Kollegen sich - gemeinsam mit Gustav Knuth - über Goebbels Verdikt hinwegsetzte und an der Beerdigung des Kollegen teilnahm) und war mit ihm befreundet. Dass und wie auch er sich wohl wegduckte, als es für Joachim und Meta Gottschalk bedrohlich wurde, mag einer der Beweggründe für diesen Text gewesen sein. Schweikart hatte sich mit den Machthabern arrangiert, obwohl er kein Nazi war und vielen Kollegen geholfen hat.
Der Film wurde berühmt, der Text von Schweikart vergessen
Seine Geschichte beginnt mit einer heiteren Sommeridylle 1933 und dem Satz "Heute wissen wir es" und endet mit einem eindrucksvollen Plädoyer gegen "die Müdigkeit, gegen die Nachgiebigkeit, gegen die Zugeständnisse, aus denen sich das Netz weben ließ, in dem sich ein ganzes Volk fing".
In dem kenntnisreichen Nachwort gehen die beiden Filmwissenschaftler der Frage nach den Beweggründen für diesen Text ebenso nach, wie sie die einfachen und entscheidenden Fragen stellen: Wie kam das alles? Warum haben die Kollegen Gottschalks weggeschaut, warum waren die unpolitischen Künstler so sicher, dass alles nicht so schlimm werden würde?
Schweikart selber betonte in seinem Entnazifizierungsverfahren 1946: "Ich habe versucht, die Motive, die viele von uns Künstlern und Schriftstellern veranlassten, in Deutschland zu bleiben, in einem Filmmanuskript aufzuzeigen, das ich nach dem tragischen Tod meines Freundes Joachim Gottschalk im Jahre '42 begonnen und jetzt fertiggestellt habe."
Der DEFA-Film wurde berühmt, der Text von Schweikart vergessen. Er erzählt ebenso schlicht wie eindrucksvoll von Irrtum und Anstand, Liebe und Treue in Zeiten der Gewalt. Es wurde – wie wir heute wissen – alles viel schlimmer.

Hans Schweikart: Es wird schon nicht so schlimm!
Herausgegeben von Carsten Ramm, mit einem Nachwort von Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen
Verbrecher Verlag, Berlin 2014
120 Seiten, 12 Euro

* Wir haben den Namen korrigiert
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